Heinrich Vierordt – Heimatdichter, Kriegstreiber und Unterstützer des Nationalsozialismus (Teil I)

Die Abbildung zeigt eine Zeichnung von Heinrich Vierordt (1845-1945) vor der Pyramide auf dem Karlsruher Marktplatz von 1935.

Zeichung von Heinrich Vierordt auf dem Karlsruher Marktplatz. Aus: Der Führer am Sonntag vom 29. September 1935 – zum Digitalisat.

Michael Fischer 30.10.2024

DOI: https://doi.org/10.58019/w31x-q053

Der Name Vierordt ist vielen Karlsruhern ein Begriff: der Bau des Vierordtbades in der Karlsruher Innenstadt wurde durch eine Spende des Bankiers Heinrich Vierordt ermöglicht und trägt seit 1873 ihm zu Ehren seinen Namen. Sein Enkel mit dem gleichen Namen, Heinrich Vierordt (1855–1945), war zu seinen Lebzeiten ein populärer Karlsruher Heimatdichter, ist aber heute weitgend in Vergessenheit geraten. Er hat im Laufe der Jahrzehnte eine sehr unterschiedliche Bewertung erfahren – vom allseits geachteten Verfasser badischer Heimatgedichte über den nationalistischen Kriegsdichter zum Befürworter der nationalsozialistischen Diktatur. Eine öffentliche Kontroverse um seine historische Einordnung veranlasste die Stadt Karlsruhe 2017, die nach ihm benannte Straße in Karlsruhe-Palmbach auf den Großvater umzuwidmen.

Im Bestand der Badischen Landesbibliothek befinden sich eine Vielzahl der Werke und Gedichte von Heinrich Vierordt. Einzelne Titel wurden (bzw. werden noch) digitalisiert und in den Digitalen Sammlungen im Volltext zugänglich gemacht. Auch ein Teil seines Nachlasses wird in der Badischen Landesbibliothek aufbewahrt.

Ein Heimatdichter und seine Verbundenheit mit dem Land Baden

Heinrich Vierordt wurde als ältester von vier Söhnen eines badischen Offiziers 1855 in Karlsruhe geboren. Er legte 1877 nach Stationen in Wertheim, Freiburg, Konstanz und Karlsruhe sein Abitur ab und absolvierte anschließend einen einjährigen Militärdienst beim Badischen Leib-Grenadier-Regiment Nr. 109 in Karlsruhe und Durlach. Ab 1878 studierte er an den Universitäten Berlin, Leipzig und Heidelberg Germanistik und wurde 1882 an letzterer zum Dr. phil. promoviert. Die wohlhabende finanzielle Lage seiner Familie ermöglichte Vierordt ausgedehnte Studienreisen durch Baden und Deutschland sowie ins europäische Ausland – vor allem nach Skandinavien, Frankreich, Italien und Griechenland. Auch konnte er so sein Dasein als Privatier und Dichter finanzieren. Gegenstand seiner Dichtung waren neben Alltagsbegebenheiten und Reiseerlebnissen vor allem idealisierende, sehnsuchtsvolle Verse über seine Heimat Baden und Deutschland, die ganz den Leseinteressen des wilhelminischen Zeitgeists entsprachen, so dass er große Popularität erlangte. Zu seinem 50. Geburtstag wurde ihm von Großherzog Friedrich I. der Titel eines Hofrates verliehen. 1925 veröffentlichte er den ersten Band seiner Lebenserinnerungen unter dem Titel Buch meines Lebens (1935 folgte der zweite Band), die auch heute noch einen interessanten lokalgeschichtlichen Einblick in die Sicht- und Lebensweise des Bürgertums in Kaiserreich und Weimarer Republik vermitteln. Vierordt war verheiratet mit der Kirchen- und Konzertsängerin Anna Helbing, deren Vater der badische Prälat der Evangelischen Landeskirche in Baden Albert Helbing und spätere Präsident des Evangelischen Oberkirchenrats war.

Sein wohl am meisten rezipiertes heimatdichterisches Werk ist das Gedicht Ans Land Baden, das er 1890 veröffentlicht hatte und welches eine so große Verbreitung erfahren hatte, dass es „jedem badischen Schulbub bekannt" gewesen ist. Die Badische Woche schrieb bspw. 1920 über eine Veranstaltung, bei der unter anderem Ans Land Baden gesungen worden war:„Doch als der letzte Ton [des zuvor gespielten Marsches, Anm. d. Verf.] verklungen, hoben die mit stürmischen Herzblut geschriebenen Verse Heinrich Vierordts „Ans Land Baden“ an, die in so wenigen Worten hineinleuchten in unsere Stammesart, in unser Empfinden, in unsere Treue zur liebgewordenen Heimat, die ein echter Badener nie vergießt, und weilte er auch noch so fern."  Das Lied hatte neben dem Badnerlied eine besondere identitätsstiftende Funktion für das Land Baden und wurde auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch rezipiert. Es existieren zahlreiche Vertonungen – unter anderem von Ludwig Keller (1847–1930), vom Freiburger Komponisten Franz Philipp (1890–1972) und vom als Lehrer tätigen Otto Graf. In der Diskussion um die Gründung eines Südweststaats 1950/51 wurde neben dem Badnerlied auch Ans Land Baden immer wieder als identitätsstiftende badische Hymne ins Spiel gebracht – unter anderem schickte Otto Graf einen Autographen seiner Vertonung an den badischen Staatspräsidenten Leo Wohlleb. Das Lied Ans Land Baden ist hier in einer Aufnahme von 1967 zu hören.

Zwischen Nationalismus, Chauvinismus und Propaganda: Heinrich Vierordt als Kriegsdichter

Bestimmten in den ersten Jahrzehnten seiner dichterischen Tätigkeit vor allem Themen und Stoffe zur badischen und deutschen Heimat die Lyrik Vierordts, wurde diese mit zunehmender Zeit jedoch immer politischer und nahm oft Bezug auf Themen der Nationalstaatsgründung und -formierung, der deutschen Geschichte sowie auch der Kriege von 1870/71 und 1914. Ein ebenfalls sehr bekanntes Gedicht von Vierordt ist im Kontext der nach der Entlassung von Reichskanzler Bismarck (1890) bzw. dessen Tod (1898) rasch einsetzenden Bismarck-Verehrung zu verstehen: Es lautete schlicht An Deutschland und war im Zusammenhang seiner Veröffentlichung im Jahre 1914 auch als politisch-programmatischer Aufruf zum Krieg zu verstehen:

An Deutschland ! -

Deutschland, wenn deine Feinde dräuen,
Ström' an die Gruft deines toten Leuen
Und hol' ihn du
Zu Friedrichsruh
Aus der Totenruh'
Und setze, mit Helm und Harnisch bewehrt,
Bismarck auf ein gepanzertes Pferd
Und führ' ihn in die Feldschlacht mit
Wie die Spanier den Leichnam des großen Cid!
Wenn sie die buschigen Augenbrauen,
Die stachlichten, unter dem Stahlhelm schauen,
Scheucht Entsetzen und Grauen ihr stiebend Heer
Hinter sich in das Nordermeer...

In einer Würdigung zu einem 60. Geburtstag wurde Vierordt in Bühne und Welt, der Verbandszeitschrift des Deutschen Bühnenverbandes, von Heinrich Lilienfein in den Rang eines „Propheten“ erhoben. Vierordt habe in seiner Dichtung vorbildlich die deutsche Geschichte und ihre großen Männer im nationalen Geiste thematisiert und damit dazu beigetragen, für den seit der Jahrhundertwende drohenden Weltkrieg zu mobilisieren. Der Erste Weltkrieg habe Vierordt schließlich „auf seinem Posten gefunden – auf dem Posten, auf dem er seit Anbeginn seiner Laufbahn stand." Ausgerechnet in einem Text, der den Zusammenhang von nationaler Dichterkunst und Weltkrieg anhand von Vierordt behandelte, wurde allerdings nicht auf jenes Gedicht eingegangen, das Vierordt sogar international bekannt gemacht hatte. Im August 1914 hatte er ein fanatisches Kriegsgedicht mit dem programmatischen Titel Deutschland, hasse! veröffentlicht, von dem hier die eindrücklichsten Strophen zitiert seien:

O du Deutschland, jetzt hasse! mit eisigem Blut
Hinschlachte Millionen der teuflischen Brut,
Und türmten sich berghoch in Wolken hinein
Das rauchende Fleisch und das Menschengebein!
 
O du Deutschland, jetzt hasse! geharnischt in Erz:
Jedem Feind ein Bajonettstoß ins Herz!
Nimm keinen gefangen! mach jeden gleich stumm!
Schaf zur Wüste den Gürtel der Länder rundum!
 
O du Deutschland, jetzt hasse! im Zorn glüht das Heil:
Und zerspalt’ ihre Schädel mit Kolben und Beil!
Diese Räuber sind Bestien, sind Menschen ja nicht,
Mit der Faustkraft vollstrecke des Herrgotts Gericht!
 
O du Deutschland, jetzt hasse! und Hieb nun und Stoß!
Bataillone, Batterien, Geschwader los, los!
Aus den Trümmern der Welt steig’, auf ewig dann frei
Von dem Wahn, von dem Fluch deiner Ausländerei!

Bei dem Gedicht handelt es sich um ein eindrucksvolles Zeitdokument des 1914 allgegenwärtigen Nationalismus, Militarismus und Chauvinismus, in dem ein zumindest regional bekannter und viel gelesener Dichter besonders roh und vulgär zum Krieg aufstachelte und in bürgerlichen Kreisen oftmals zustimmend rezipiert wurde. Das Gedicht erregte im In- und Ausland das „weiteste Aufsehen“. So wurde es beispielsweise von der nationalliberalen Badischen Landeszeitung am 29. August 1914 anlässlich des deutschen Sieges in der sogenannten „Schlacht bei Tannenberg“ abgedruckt – offenbar in der Absicht, den Sieg und die Berichte von den Kriegsschauplätzen lyrisch zu untermalen. Auch der Sinsheimer Landbote, eine Lokalzeitung des politischen Mainstreams, druckte das Gedicht unkommentiert in der Ausgabe vom 5. September 1914.

Im Oktober 1914 wurde das Gedicht unter dem Titel Kriegsruf von der Karlsruher Buchhandlung und Druckerei Müller & Gräff als Einblatt nachgedruckt und für 10 Pfennig vertrieben. Ein Exemplar wurde an Kronprinz Rupprecht von Bayern an die Front gesendet, von wo aus dieser sich für diesen Beitrag zum „vaterländischen Unternehmen“ hoch erfreut zeigte. Mit diesem Dank sei dem in letzter Zeit „ob seiner nationalen Haltung viel angegriffenen Dichter eine besondere Ehrung“ zuteilgeworden, kommentierte das Durlacher Wochenblatt.

Und tatsächlich hatte Vierordt neben zustimmender Rezeption auch einige negative Reaktionen erfahren. Der Erlös des Kriegsrufs sollte dem Roten Kreuz zugutekommen, wogegen sich allerdings Protest formierte, da es von einigen Zeitgenossen als unpassend empfunden wurde, dass einer medizinisch-humanitären Hilfsorganisation Gelder aus dem Verkauf eines hetzerischen Kriegsgedichtes zukommen sollten.

Der populäre Karlsruher Mundartdichter Fritz Römhildt veröffentlichte im November 1914 unter seinem Pseudonym Romeo im Karlsruher Tagblatt eine lyrische Replik, in der vom „Haß“, wie Vierordt ihn predige, abgeraten wurde und die (jedoch auch militaristische) Parole „Siege und verachte“ ausgegeben wurde. Vierordt antwortete auf die Kritik abermals in Gedichtform, diesmal in der Badischen Landes-Zeitung:

Begeistr’ung, Empörtheit, schau ich in Masse
Vor mir ob des Sturmsangs „Deutschland, hasse!“
Gutmütig bin ich, treu, ehrlich und stet
Ein Mensch noch mit Morgen- und Nachtgebet –
Doch des Teufels, wenn es um Deutschland geht!

Wenngleich es auch im politischen Mainstream kritische Stimmen zu Vierordt gegeben hatte, kam die schärfste Kritik von politisch-künstlerischen Außenseitern:

So beurteilte der anarchistische Schriftsteller Erich Mühsam das Werk Vierordts in seinem Tagebuch als „blutrünstiges Hunnentum [...], das garzu geeignet ist, den Ruf der Deutschen als Barbaren und Vandalen im Ausland zu befestigen“.

Die pazifistische Karlsruher Schriftstellerin Johanna Haueisen nahm in einem von ihr 1915 veröffentlichten Gedichtband mit dem Gedicht Deutschland, Deutschland, hasse nicht! ebenfalls direkt Bezug auf Vierordt, wurde aber kaum von der Öffentlichkeit wahrgenommen.

Auch in der von Franz Pfemfert herausgegeben expressionistischen Zeitschrift Die Aktion wurde auf Vierordts Gedicht und insbesondere seine widersprüchlichen Aussagen zu Frankreich aufmerksam gemacht. Sein Kriegsgedicht wurde spöttisch als „Bardensang“ ironisiert und diesem ein – zwar schon älteres, aber pikanterweise ebenfalls 1914 (zweit-)veröffentlichtes – Gedicht über Heinrich Heine gegenübergestellt, in dem Vierordt noch bekundet hatte, er selbst habe (bei seinen Reisen durch Frankreich) die „Freundschaft dieses Volks genossen“ und „für ewig es ins Herz geschlossen“ – ein durchaus als Opportunismus zu bezeichnendes Verhalten, das den Rezensenten „sprachlos“ machte. Der französische Antikriegsaktivist, Schriftsteller und spätere Nobelpreisträger Romain Rolland zählte Vierordt zu den „verbrecherischen Dichtern, die durch verlogene Berichte zum Hass anstacheln“.

Die im Nachhinein wirkmächtigste Rezeption erfuhr Vierordts Gedicht allerdings in einem Werk der Weltliteratur: Jaroslav Hašek zitierte Vierordt in seinem berühmten Schelmenroman Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk als abschreckendes Beispiel für einen brutalen, mitleidlosen, etwas tumben und dabei aber einflussreichen Kriegstreiber.

Wie umstritten das Gedicht in der bürgerlichen Öffentlichkeit war, illustriert auch die Tatsache, dass in einer 1917 erschienen Gedichtsammlung des Badischen Frauenvereins, die von der Großherzogin Luise explizit zur Verwendung auf „vaterländischen Versammlungen“ herausgegeben wurde, also durchaus propagandistische Wirkung entfalten sollte, nicht das blutrünstige Deutschland, hasse! veröffentlicht wurde. Stattdessen wurde mit Der Kinder Rheinwacht Vierordts naives Lob einer militarisierten Kriegsgesellschaft abgedruckt. In dieser können es sogar die Kleinsten – vom Dichter mit großväterlichem Wohlwollen goutiert – kaum erwarten, es ihren Vätern gleichzutun und (vermeintlich) begeistert in den Krieg gegen Frankreich ziehen. In dem Band finden sich zwar mehrheitlich nachdenklichere Gedichte, die angesichts der sich 1917 bereits als schwieriger abzeichnenden militärischen Lage auch im Ton zurückhaltender werden, jedoch auch viele Durchhalte- und Mobilisierungsversuche, unter anderen ein Werk des späteren Nationalsozialisten (und Vater des Verlobten der RAF-Terroristin Gudrun Ensslin) Will Vesper mit dem Titel Mahnung.

Abschließend ist festzuhalten, dass Vierordt zwar auch von eingen Zeitgenossen für seine Kriegsdichtung kritisiert wurde, er insgesamt aber breit und in der Regel zustimmend rezipiert wurde – zumindest in den bürgerlichen Schichten. Vierordt trug mit seiner Dichtung zum vorherrschenden Nationalismus und Chauvinismus bei und mobilisierte für den Krieg.

Im zweiten Teil zu Heinich Vierordt wird dessen politischer Lebensweg in den Fokus genommen.

 

Verwendete Literatur

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