Zum 1. Mai 2024

Frédérique Renno 30.4.2024 18.40 Uhr

DOI: https://doi.org/10.58019/x1y5-hr39

Maifeiertag, Tag der Arbeit, moving day, Internationaler Kampftag der Arbeiterklasse, Feiertag des Weltproletariats – der gesetzliche Feiertag am 1. Mai hatte im Laufe der Geschichte unterschiedliche Bezeichnungen. Aber haben Sie sich schon einmal überlegt, wo der Feiertag am 1. Mai seine Wurzeln hat?

Antworten auf diese Frage gibt unter anderem die Berichterstattung in der Presse, natürlich mit verschiedenen Sichtweisen und Bewertungen der Ereignisse, je nachdem, welcher politischen Richtung die jeweilige Zeitung damals zugeneigt war. Der folgende Text bietet daher einen kurzen Abriss zu den verschiedenen Begebenheiten am 1. Mai. Anhand der digitalisierten Zeitungen in der Badischen Landesbibliothek lässt sich nachverfolgen, wie die badische Presse von den Ereignissen zum 1. Mai seit bald 140 Jahren berichtete. 

1. Mai 1886

Am Dienstag, dem 4. Mai 1886, findet sich im Badischen Beobachter (Ausgabe Nr. 98) folgende Notiz in der Rubrik „Amerika“:

New-York, 1. Mai. An verschiedenen Orten findet unter den Arbeitern eine Bewegung zu Gunsten der Beschränkung der Arbeitszeit auf acht Stunden täglich statt. Einige Arbeitgeber haben die Forderung bewilligt, andere dieselbe abgelehnt. Die Arbeiter der letzteren drohen mit sofortiger Einstellung der Arbeit. Die Bewegung ist namentlich stark in Chicago, wo mehrere tausend Strikende [sic] die Straßen durchziehen. 

Am gleichen Tag berichtet auch die Karlsruher Zeitung (Ausgabe Nr. 104) von einer Bewegung unter den Arbeitern in Amerika, vor allem in Chicago, die sich für bessere Arbeitsbedingungen, insbesondere eine Arbeitszeitbeschränkung auf acht Stunden pro Tag, einsetzt: 

Der Screenshot zeigt einen Ausschnitt der Karlsruher Zeitung vom 4. Mai 1886.

Ausgabe der Karlsruher Zeitung vom 4. Mai 1886, Nr. 104, S. [2]. – zum Digitalisat

Im Laufe der Tage nimmt die Berichterstattung zu, und immer mehr Informationen gelangen über die badischen Zeitungen zu den Menschen (siehe auch das Durlacher Wochenblatt und Der Landbote). Was aber war geschehen? 

Zu Beginn des Jahres 1886 gab es einen Aufruf der nordamerikanischen Arbeiterbewegung zu einem Generalstreik am 1. Mai 1886. Hauptziel war es, eine Arbeitszeit von acht Stunden pro Tag durchzusetzen – üblich waren zu dieser Zeit mindestens zehn, teilweise auch elf und zwölf Stunden pro Arbeitstag. Der 1. Mai wurde gewählt, da er zum einen traditionell als moving day galt, also als Stichtag, zu dem Arbeitsverträge abgeschlossen, beendet und aufgehoben wurden. Damit verbunden waren häufig ein Arbeitsplatzwechsel und der Umzug in einen anderen Wohnort, um dort neue Arbeit zu finden. Zum anderen konnten Arbeiter in Australien zum 1. Mai 1856, also bereits 30 Jahre früher, einen Achtstundenarbeitstag bei vollem Lohnausgleich erreichen. 

Am 1. Mai 1886 und in den darauffolgenden Tagen streikten und demonstrierten tausende Arbeiter überall in den USA; dabei kam es in Chicago zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Streikenden und der Polizei. Diese Ereignisse, bei denen mehrere Menschen auf beiden Seiten ihr Leben verloren, werden in der Geschichte als Haymarket Affair bezeichnet. Drei Jahre später riefen die Delegierten auf dem Gründungskongress der Sozialistischen Internationalen, dem weltweiten Zusammenschluss sozialistischer und sozialdemokratischer Parteien und Organisationen, den 1. Mai als „Kampftag der Arbeiterbewegung“ aus. Damit wurde die Tradition der internationalen Arbeiterbewegung und der Gewerkschaften begründet, den 1. Mai als Protest- und Gedenktag zu begehen. 

Am 1. Mai 1890 streikten und demonstrierten Arbeiter weltweit, auch in Deutschland. In den Zeitungen gab es Berichte über die Vorbereitungen und Streikankündigungen, so beispielsweise in der Karlsruher Zeitung (Nr. 117) vom 30. April 1890 oder auch in der Badischen Presse (Nr. 100), ebenfalls vom 30. April 1890. Weiterhin wurden Kundgebungen offiziell über die Presse verboten. So veröffentlichte das Karlsruher Tagblatt (Nr. 117, Erstes Blatt) am 30. April 1890 auf der Titelseite folgende „Bekanntmachung“: 

Der Screenshot zeigt einen Ausschnitt des Karlsruher Tagblatts vom 30. April 1890.

Ausgabe des Karlsruher Tagblatts vom 30. April 1890, Nr. 117, Titelseite. – zum Digitalisat

1. Mai 1919

Nach Ende des Ersten Weltkrieges beschloss der Rat der Volksbeauftragten (bestehend aus der SPD und der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei, kurz USPD) im November 1918 eine Arbeitszeitregelung von acht Stunden pro Tag, der 1. Mai wurde im April 1919 von der Weimarer Nationalversammlung zum gesetzlichen Feiertag erklärt. Dieses Gesetz galt nur für das Jahr 1919, da eine weitere Regelung nach internationalen Absprachen getroffen sowie nach Friedensschluss und Verabschiedung der Verfassung entschieden werden sollte. Allerdings war die Einführung des 1. Mais als Feiertag umstritten: Er war nach wie vor der Tag der Arbeiterbewegung. Die Parteien der Weimarer Republik konnten sich nicht einigen, da die SPD als Arbeiterpartei innerhalb der Koalition Rücksicht auf die bürgerliche Zentrumspartei und die liberale Deutsche Demokratische Partei (DDP) nehmen musste. Als trauriger Höhepunkt dieser Zeit gilt der sogenannte Blutmai 1929: Während der ersten Mai-Tage ging die Polizei in Berlin mit aller Härte gegen nicht genehmigte Kundgebungen und Streiks der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) vor. Darüber berichteten auch die Zeitungen in Baden, so titelte die Badische Presse (Nr. 202) am 2. Mai 1929: 

Der Screenshot zeigt die Titelseite der Badischen Presse vom 2. Mai 1929.

Ausgabe der Badischen Presse vom 2. Mai 1929, Nr. 202, Titelseite. – zum Digitalisat

Aufschlussreich ist auch die Titelseite des Volksfreunds (Nr. 101), ebenfalls vom 2. Mai 1929. Der Volksfreund wurde 1899 als Parteizeitung der badischen SPD gegründet. Mit zwei deutlich voneinander getrennten Berichten wird klar zwischen den Demonstrationen und Streiks zum 1. Mai von der Arbeiterbewegung und den „KPD-Verbrechen“ differenziert und damit auf die vollendete Spaltung der Arbeiterbewegung hingewiesen: 

Der Screenshot zeigt die Titelseite des Volksfreunds vom 2. Mai 1929.

Ausgabe des Volksfreunds vom 2. Mai 1929, Nr. 101, Titelseite. – zum Digitalisat

1. Mai 1933

Bereits kurz nach Antritt bestimmte die neue Hitler-Regierung im April 1933 den 1. Mai zum gesetzlichen Feiertag und benannte ihn als „Feiertag der nationalen Arbeit“. Ziel war es, damit die Arbeiter in die nationalsozialistische ‚Volksgemeinschaft‘ zu integrieren. In der lokalen Presse in Baden wurde dies begeistert aufgenommen. So titelte der Badische Beobachter (Nr. 111), das Parteiorgan der Zentrumspartei, am 30. April 1933 in großen Lettern: „Der deutsche 1. Mai!“ und lobte

die Ablehnung des sozialistischen Maifeiertagsgedankens […] weil der Stoß ins Herz des Bolschewismus geführt wird, der den ersten Tag des Wonnemonats dazu benützte, den internationalen Klassenkampfgedanken wie eine Brandfackel in das gefährdete Gebäude der alten und unbrauchbaren kapitalistischen Weltordnung zu werfen. […] Ein sozial gesundes Volk, in dem jeder Arm sich regt zum Wohl des Ganzen, ist für die Nationalwirtschaft wichtiger als ein Volk der klaffenden Gegensätze zwischen reicht und arm, Arbeitern und Arbeitslosen.

Auch das bürgerlich-liberale Karlsruher Tagblatt (Nr. 119) vom 30. April 1933 feierte den 1. Mai mit dem Motto „Ehrt die deutsche Arbeit! Zum deutschen Fest des 1. Mai“: 

Der Screenshot zeigt die Titelseite des Karlsruher Tagblatts vom 30. April 1933.

Ausgabe des Karlsruher Tagblatts vom 30. April 1933, Nr. 119, Titelseite. – zum Digitalisat

Die Badische Presse (Nr. 201), der deutschen Volkspartei (DVP) nahe, stellt den 1. Mai als „Fest des geeinigten deutschen Volkes, ein Feiertag der nationalen Arbeit“ heraus: 

Der Screenshot zeigt die Titelseite der Badischen Presse vom 30. April 1933.

Ausgabe der Badischen Presse vom 30. April 1933, Nr. 201, Titelseite. – zum Digitalisat

Dazu gehört aber auch, dass bereits einen Tag später, am 2. Mai 1933, die Gewerkschaften zerschlagen und gleichgeschaltet wurden. 

Und vor 90 Jahren wurde der 1. Mai ab 1934 durch eine Gesetzesnovelle zum Nationalen Feiertag des deutschen Volkes bestimmt. Der ursprüngliche Kampftag der internationalen Arbeiterbewegung war damit endgültig uminterpretiert und stand nun ganz im Zeichen der nationalsozialistischen Propaganda. 

1. Mai 1946

Am 1. Mai 1945 erfuhr die Bevölkerung über das Radio vom Suizid Hitlers; eine Woche später kapitulierte die Wehrmacht, und die NS-Herrschaft war beendet. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bestätigte der alliierte Kontrollrat im April 1946 den 1. Mai als gesetzlichen Feiertag. Dies wurde auch in der badischen Presse kommentiert, so zum Beispiel von Hermann Henseler im Südkurier (Nr. 69) vom 30. April 1946. Mit der Überschrift des Badener Tagblatts (Nr. 35) ebenfalls vom 30. April 1946 wird zugleich auch deutlich, wie der vormalige erst sozialistische, dann nationalsozialistische Kampftag nun zu einem „Fest der Arbeit und der sozialen Befreiung“ wird: 

Der Screenshot zeigt einen Ausschnitt des Badischen Tagblatts vom 30. April 1946.

Ausgabe des Badischen Tagblatts vom 30. April 1946, Nr. 35, Titelseite. – zum Digitalisat

1. Mai 2024

In den Jahrzehnten der deutschen Teilung war der 1. Mai in beiden deutschen Staaten ein Feiertag. Während in der DDR der „Internationale Kampf- und Feiertag der Werktätigen für Frieden und Sozialismus“ gefeiert wurde und die Legitimation der politischen Führung im Vordergrund stand, entwickelte sich der 1. Mai in der BRD zu einem Tag der individuellen Freizeitgestaltung und für kulturelle Veranstaltungen. 

Heute ist der 1. Mai in der Bundesrepublik Deutschland nach den Feiertagsgesetzen der Länder ein gesetzlicher, arbeitsfreier Feiertag. Zwar präsentieren sich die Gewerkschaften immer noch gerne, aber die Veranstaltungen haben sich deutlich verändert: Neben politische Kundgebungen treten interreligiöse Formate, kulturelle Angebote und Mai-Brauchtum wie das Maibaum-Aufstellen oder auch individuelle Ausflüge und Kurzreisen. 

Mögen Sie einen schönen Feiertag verbringen – und vielleicht mit der einen oder dem anderen zum Ursprung des Tags der Arbeit ins Gespräch kommen. 

 

Ausgewählte Literatur: 

 

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