‚Pressefreiheit‘ – die Digitalen Sammlungen der Badischen Landesbibliothek erleichtern Forschungen zur Wortgeschichte

Lothar Jordan (Gastautor) 16.2.2024 15.30 Uhr

DOI: https://doi.org/10.58019/mq5v-d369

Es gehört zu den Grundproblemen der Wortgeschichte und der Begriffsgeschichte, die erste Verwendung von Termini nachzuweisen. Dieses Problem stellte sich auch für die Arbeit an meinem Buch Pressefreiheit. Studie zur Geschichte von Wort und Begriff (2023 erschienen). Die Digitalen Sammlungen der Badischen Landesbibliothek waren hilfreich, um zu dokumentieren, wo und wann der Terminus ‚Pressefreiheit‘ in dieser Form gebraucht wurde.

Lange war der Terminus ‚Pressefreiheit‘, der ein wesentliches Grundrecht demokratisch verfasster Gesellschaften markiert, der Aufklärung, dem 18. Jahrhundert, zugerechnet worden. Damals gab es – von einem Solitär abgesehen – aber nur die Termini ‚Freiheit der Presse‘ und ‚Preßfreiheit‘. Sie bedeuteten die Freiheit der Druckerpresse und umfassten alle ihre Produkte, während ‚Pressefreiheit‘ die Freiheit der Druckmedien und zudem, insbesondere in der jüngsten Zeit, die Freiheit des Journalismus meint. Es kam erschwerend hinzu, dass in der historischen (nicht nur in der begriffsgeschichtlichen) Forschung zu diesem Thema trotz des Bedeutungsunterschiedes auch da ‚Pressefreiheit‘ zitiert wurde, wo eigentlich ‚Preßfreiheit‘ gestanden hatte. Das gilt selbst für etliche Bibliothekskataloge, vergleiche beispielsweise die Einträge im Gemeinsamen Verbundkatalog zu den Titeln Neueste Proben der Pressefreiheit in Bayern (München 1828) oder Ueber die unbeschränkte Pressefreiheit eines Oberst Gustafssons (Aachen/Leipzig 1833) (Stand: 13.2.2024).

Seit 1978 (im Kern bereits seit 1966) ruhte die wort- und begriffsgeschichtliche Forschung zu ‚Pressefreiheit‘ und zu den Termini, die ihr vorausgehen, weitestgehend. Immerhin legte sich das Etymologische Wörterbuch des Deutschen 1989 auf einen Entstehungszeitraum des Wortes ‚Pressefreiheit‘ fest: „20. Jh.“. Es fixierte damit lakonisch eine innovative Reflexion seiner Wortgeschichte. Ihre Ergebnisse bleiben aber vage.

In den vordigitalen Zeiten hätte der Versuch einer systematischen Präzisierung nur mithilfe der Sichtung riesiger Mengen von Druckwerken (und nur von solchen ist hier die Rede) durchgeführt werden können. Erst in jüngster Zeit hat das Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache, ein Projekt der Berlin-Brandenburgischen Akademie der deutschen Sprache, konkrete Belege für die frühe Verwendung von ‚Pressefreiheit‘ gebracht, und zwar ab 1908 – in der 1. Beilage des „Vorwärts“ Berliner Volksblatt, 25. Jg., Nr. 175 vom 29. Juli 1908. 

Der Screenshot zeigt einen Ausschnitt der 1. Beilage des „Vorwärts“ Berliner Volksblatt vom 29. Juli 1908.

1. Beilage des „Vorwärts“ Berliner Volksblatt vom 29. Juli 1908, o. S. – zum Digitalisat

Hier war durch die Möglichkeiten der Digitalisierung Bewegung in die Sache gekommen. Es stand damit fest, dass ‚Pressefreiheit‘ ein moderner Begriff und keiner des 18. Jahrhunderts war.

Die Rubrik Zeitungen in den Digitalen Sammlungen der Badischen Landesbibliothek war mir eine wesentliche Hilfe, diesen Forschungsstand zu verbessern. Fast alle Zeitungsseiten sind mit OCR-Volltexterkennung bearbeitet, sodass mit Stichwörtern in den Zeitungen gesucht werden kann. Auf diese Weise ließ sich eine Reihe früher, bisher in der Forschung unbekannter Nachweise auffinden, darunter die bis dahin früheste Verwendung des Begriffs ‚Pressefreiheit‘ in der Mittagsausgabe der Badischen Presse vom 28. November 1905, Nr. 279 (S. 2).

 Der Screenshot zeigt einen Ausschnitt der Mittagsausgabe der Badischen Presse vom 28. November 1905.

Mittagsausgabe der Badischen Presse vom 28. November 1905, S. 2. – zum Digitalisat

Mit diesem Treffer waren auch die historischen Kontexte gegeben, in denen das neue bzw. dann junge Wort ‚Pressefreiheit‘ erschien, Kontexte, die für ein Verständnis dieser sprachlichen Innovation wichtig waren. Knapp zusammengefasst: Durch den Aufschwung der Massenpresse in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde das Wort ‚Presse‘ immer häufiger synonym mit ‚Tagespresse‘ verstanden. Damit einher ging – auch international ‒ der Aufschwung des Journalismus und des journalistischen Selbstbewusstseins. Die Spannung zwischen Presse und Politik wuchs, die Presse insistierte häufiger selbstbewusst auf ‚ihrer‘ Freiheit, zumal ihr insbesondere bei militärischen Fragen immer noch eine Zensur gegenüberstehen konnte. Gerade die Situation in England wurde von der deutschen Presse genau verfolgt, da dieses Land als Vorreiter der Pressefreiheit galt. Detailliertere Informationen dazu finden sich in den Publikationen, die am Ende des Textes angegeben sind.

Es ist möglich, dass sich inzwischen und in Zukunft frühere Belege für den Begriff ‚Pressefreiheit‘ als die Nennung in der Badischen Presse aus dem Jahr 1905 finden lassen. Ein Hauptergebnis meiner Studie, dass nämlich ‚Pressefreiheit‘ ein modernes Wort und nicht ein Wort des 18. Jahrhunderts ist, würde dadurch nicht erschüttert. Ebenso bleibt die Erkenntnis bestehen, dass sich das Wort in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts allmählich durchsetzte, und dass bei der Ablösung des Wortes ‚Preßfreiheit‘ durch ‚Pressefreiheit‘ die revolutionären Ereignisse in Deutschland 1918/19 eine wesentliche Rolle spielten. Zum Verständnis dieses Ablösungsprozesses waren im Übrigen die statistischen Funktionen eines anderen Digitalisierungsprojektes, Historische Presse der deutschen Sozialdemokratie online der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, hilfreich.

Doch ist natürlich eine weitere Präzisierung der Wortgeschichte von ‚Pressefreiheit‘ sowie der vorausgehenden Termini ‚Freiheit der Presse‘ und ‚Pressefreiheit‘ wünschenswert. Ich stelle mir vor, dass bei einer solchen Verbesserung, die aus der weiter zunehmenden Digitalisierung von Büchern und Zeitungen hervorgehen wird, ein oder mehrere Blogs vorläufig die Funktion einer zweiten verbesserten Auflage des Buches übernehmen könnten. Damit würde es auch zu einer Verkürzung der Zeitspanne zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und Veröffentlichung kommen, die in den Geisteswissenschaften ja vergleichsweise lang ist.

Literatur

Weitere aktuelle Literatur in der BLB zu dieser Thematik:

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