Franz Moraller und die NS-Zeitung Der Führer

Franz Moraller, Hauptschriftleiter der NS-Zeitung Der Führer (1940) - Zum Digitalisat

Michael Fischer, 22.1.2025

DOI: https://doi.org/10.58019/9h84-tr69

In der sechsteiligen Vortragsreihe „Lebensspuren der NS-Zeit“ der Badischen Landesbibliothek stellt die BLB im Winterhalbjahr 2024/25 Persönlichkeiten vor, die in den Jahren 1933 bis 1945 von den Verfolgungsmaßnahmen des NS-Regimes persönlich betroffen waren oder aber auf der anderen Seite Akteure dieses Regimes gewesen sind und die alle auf die ein oder andere Weise mit der Badischen Landesbibliothek in Beziehung stehen.

Franz Moraller war einer der maßgeblichen Köpfe der NS-Zeitung Der Führer (1927–1945), die sich als Druckexemplar im Bestand der BLB befindet und in den Digitalen Sammlungen der BLB nutzbar ist. Moraller gehörte zur Führungsebene der badischen NSDAP und war ein enger Weggefährte des „Führer[s] vom Oberrhein“ Robert Wagner – die über Moraller veröffentlichte Literatur ist jedoch spärlich.
 

Wie Franz Moraller zum Journalisten wurde

Wie so viele Redakteure von NS-Zeitungen hatte auch Moraller keinen journalistischen Hintergrund: Moraller wurde 1903 in Karlsruhe als Sohn des Uhrmachers Theodor Moraller geboren. Er besuchte bis zur Obersekunda ein humanistisches Gymnasium und absolvierte anschließend eine Uhrmacherlehre.

Moraller war seit 1923 Mitglied der nationalsozialistischen Sturmabteilung (SA) und während deren zeitweisen Verbot Mitglied in den Ersatzorganisationen „Völkische Jugend“ und „Schlageterbund“. 1923 nahm er am „Deutschen Tag“ in Bruchsal teil, einem zahlenmäßig sehr überschaubaren Treffen der völkischen Rechtsextremen in Baden. Die NSDAP war nach dem gescheiterten Hitler-Ludendorff-Putsch im November 1923 ebenfalls verboten worden. Nach der Haftentlassung Hitlers wurde sie 1925 wiedergegründet – so auch in Baden durch Gauleiter Robert Wagner. Seit der Wiedergründung fungierte Moraller als Assistent von Wagner, arbeitete aber bis 1927 auch in seinem bürgerlichen Beruf als Uhrmacher. Moraller trat der NSDAP schließlich im Oktober 1927 mit der Mitgliedsnummer 69.449 bei. Die NSDAP blieb in Baden allerdings bis 1930 eine Randerscheinung, in der (letzten) Landtagswahl im Oktober 1929 erhielt sie lediglich knapp 7% der Stimmen. 1927 wurde Moraller von Robert Wagner in die Schriftleitung der im November 1927 erstmals erschienen NS-Gauzeitung Der Führer berufen.

Es spricht Bände über das zur Verfügung stehende Personal, wie der gelernte Uhrmacher seine Stellung als Schriftleiter erhalten hatte: Die Erstausgabe sollte einen möglichst auffälligen Leitartikel („mit einer Bombenüberschrift“) bekommen, so dass Gauleiter Wagner alle Mitglieder der Gauleitung einen Entwurf für einen Leitartikel schreiben ließ. Der 24-jährige Moraller sendete auch einen Entwurf ein, der dann (angeblich zufällig) von Wagner in der Sitzung der Gauleiter verlesen wurde. Bei dem nach den Propagandamaßstäben der nationalsozialistischen Bewegung hervorragenden Artikel zogen die anderen Einreichenden ihre Entwürfe zurück und „damit war Moraller Sieger“. Er wurde Teil der Schriftleitung des Führers

Die „Bombenüberschritt“ des Artikels lautete: „Das Bataillon hört auf den Landsturmmann Remmele! Grossherzog Friedrich, grösster Lump Badens, komm‘ heraus!“ und erschien in der Ausgabe vom 12. November 1927 (also gar nicht in der Erstausgabe). Moraller versuchte sich darin in einer historischen Bewertung der Novemberrevolution, in dem er deren sozialdemokratischen Anführern vorwarf, diese nicht gründlich genug durchgeführt zu haben: weder hätten diese den „Kapitalismus zertrümmert“, die Armut beseitigt noch die Freiheit gebracht. Moraller kündigte an, dass sich jedoch bald eine (nationalsozialistische) Volksbewegung gegen diese „Novembermänner “ erheben werde. Auf den durchaus antikapitalistische „Schwur“ folgte eine Liste mit vielen an der Novemberrevolution beteiligten Personen jüdischer Abstammung, damit auch jedem Leser klar wurde, wer nach Moraller Schuld am Ausbleiben einer ‚wirklichen‘ Revolution hatte. Insbesondere die pathetische und brutale Sprache Morallers ist auffällig. 1934 hieß es zu dieser: „Es liegt nicht in der Absicht der Schriftleiter, für das ‚gebildete Bürgertum‘, sondern für das schaffende, werktätige Volk zu schreiben. Es sind keine rhetorisch in allen Feinheiten zurechtgefeilte Aufsätze, sondern das kommt aus brennendem, heißem Herzen.“  
 

Moraller vor Gericht

Morallers Hetzartikel brachten ihn bald auch in juristische Schwierigkeiten. Beispielsweise wurde Moraller 1928 mit zwei weiteren Nationalsozialisten angeklagt, die Farben der Republik beleidigt zu haben. Moraller hatte einen (nicht von ihm selbst verfassten) Artikel mit dem Titel „Wer zieht die schwarz-rot-goldene Fahne auf?“ im Führer veröffentlicht, in dem 14 Gebäude notiert wurden, die am Badischen Grenadiertag statt den (von den Republikfeinden genutzten) alten Reichsfarben, also Schwarz-Weiß-Rot, die neue Reichsflagge, also Schwarz-Rot-Gold, geflaggt hatten (und sich damit zur Republik bekannt hatten bzw. deren offizielles Hoheitszeichen verwendeten). Allein das wurde von den Nationalsozialisten bereits als Skandal betrachtet. Zusätzlich wurde in dem Artikel behauptet, dass es sich bei den 14 Gebäuden sämtlich um jüdische „Wohnungs- bzw. Firmeninhaber“ gehandelt habe. Der Führer resümierte: „Wenn wir nun behaupten würden, die neue Reichsflagge sei eine Judenfahne, so würden wir gegen das Republikschutzgesetz verstoßen, deshalb behaupten wir es nicht.“ Moraller wurde zu einer Strafe von 500 Reichsmark verurteilt, ein Geldwert, der ihn bzw. die junge Zeitung in große Nöte brachte. Im Führer wurde ausführlich über den „Republikschutzprozeß Moraller“ berichtet. 

Ein weiterer Prozess gegen Moraller (und den Gauleiter Wagner) aus den Jahren 1929/30 war die so genannte „Prügelei im Darmstädter Hof“: Am Abend einer Kundgebung gegen den Young-Plan waren führende Karlsruher Nationalsozialisten, darunter Wagner und Moraller, in der Gaststätte Darmstädter Hof in Streit mit deutschen und französischen Teilnehmern einer Eisenbahn-Fachkonferenz geraten und hatten dabei eine Schlägerei mit etlichen Verletzten angezettelt. Am 6. März 1930 wurde Franz Moraller vom Schöffengericht Karlsruhe wegen „erschwerter Körperverletzung, Beleidigung und fahrlässiger Körperverletzung“ zu einer Geldstrafe von 200 Reichsmark verurteilt. Robert Wagner, dessen Immunität vom badischen Landtag am 30. Januar 1930 aufgehoben worden war, erhielt „wegen erschwerter Körperverletzung und Beleidigung“ eine Geldstrafe von 100 Reichsmark und eine an den Reichsbahnoberinspektor Lassen zu zahlende Geldbuße in Höhe von 150 Reichsmark. Das Thema wurde im Landtag behandelt, eine diplomatische Krise wurde befürchtet, trat aber nicht ein. Der Volksfreund kommentierte die Verhandlung süffisant unter der Überschrift „Hakenkreuzhelden vor Gericht“

Diese beiden Prozesse reihen sich in andere Karlsruher Auseinandersetzungen in der Endphase der Weimarer Republik ein: sei es die so genannte „Hoelz-Schlacht“ anlässlich eines Auftritts des kommunistischen Politikers Max Hoelz im März 1929 in der Karlsruher Festhalle, der Tod des NSDAP-Mitglieds Paul Billet im Mai 1931 oder die so genannte „Karlsruher Rathausschlacht“ im gleichen Monat.

Der Nationalsozialismus an der Macht und neue Aufgaben für Moraller

Morallers journalistische Karriere beim Führer endete vorerst nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Baden, als er im März 1933 zum Pressechef der neuen nationalsozialistischen Landesregierung berufen wurde. Bereits im Juli 1933 übernahm er eine weitere neue Aufgabe, nämlich die Leitung der Landesstelle des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) in Baden. Goebbels war zufrieden mit Morallers Arbeit, am 3. November 1933 notierte er in seinem Tagebuch: „Mein Mann Moraller macht einen tadellosen Eindruck.“

Im Oktober 1934 ernannte Goebbels Moraller dann zu einem der drei Geschäftsführer der Reichskulturkammer in Berlin. Die Reichskulturkammer war eine auf Betreiben von Goebbels gegründete Institution der nationalsozialistischen Kulturpolitik, mit der vor allem die Gleichschaltung aller Bereiche des in Kammern organisierten Kulturlebens durchgesetzt werden sollte. Moraller war geschäftsführend als „Reichskulturwalter“ in einer der zentralen Stellen der deutschen Kulturpolitik tätig und entwickelte sich zu einem umtriebigen Funktionär – gut illustriert bei der Eröffnungsrede der zweiten badischen Gaukulturwoche vom 9. bis 17. Oktober 1937 im Karlsruher Rathaussaal.

Allerdings war Goebbels mit Morallers Arbeit schnell unzufrieden und auch im Kompetenzkampf mir der KdF-Organisation von Robert Ley erfüllte Moraller die Erwartungen von Goebbels nicht: „Moraller kann sich nicht gegen K.d.F. durchsetzen. Er ist schlapp und weich“, notierte Goebbels am 10. März 1938 in sein Tagebuch. Am 30. November 1938 entschied Goebbels, ihn von der Geschäftsführung der Reichskulturkammer abzuziehen. Scheinbar war Moraller den Aufgaben und Herausforderungen einer Funktionärsstelle in der Reichshauptstadt nicht gewachsen gewesen. Auch seine kurzzeitige Tätigkeit als „Kommissar“ bei der Gleichschaltung des Rowohlt-Verlags in Stuttgart war nur von wenig Erfolg gekrönt. 

Rückkehr zum Führer und das Ende des „Dritten Reichs“

Im Sommer 1940 kehrte Moraller an seine alte Wirkungsstätte zurück und wurde mit der Hauptschriftleitung des Führers betraut. Die Zeitung, die Moraller 1933 verlassen hatte, war ein Agitations- und Kampfblatt mit einer relativ geringen Auflage (1932: 12.300) gewesen – 1940 war Der Führer Staatspresse und besaß eine große Redaktion, ein imposantes, 1939 neu errichtetes Verlagsgebäude sowie eine Auflage von ca. 100.000 Exemplaren.

Moraller betätigte sich während des Krieges als eifriger Propagandist der NS-Ideologie und nahm als Mitglied einer Propagandakompanie der Wehrmacht am Feldzug gegen die Sowjetunion teil. Neben Frontberichten war eine  Aufgabe der Propagandakompanien, den jeweiligen Feind gemäß der ideologischen Vorgaben in den schlimmsten Farben zu malen. Im Falle der Sowjetunion war dies zum einen der slawische „Untermensch“ und zum anderen der kommunistische Erzfeind. In einem Führer-Kriegsbericht Morallers mit dem Titel „Der Befehl des Kommissars“ schilderte er die Einnahme der weißrussischen Stadt Polozk an der Düna am 16. Juli 1941. In Morallers Bericht wurde die Wehrmacht mehr oder weniger als Befreier der Stadt vom „bolschewistischen“ Terror dargestellt – die Stadt sei menschenleer gewesen, die Einwohner vor dem Befehl eines sowjetischen Kommissars, die Stadt angesichts des deutschen Einmarschs in Brand zu setzen, in die umliegenden Wälder geflohen: „Wieder einmal hat die unmenschliche Kriegführung der Bolschewisten, die dem Gegner nur Schutt und Zerstörung zurücklassen will und in ihrer Primitivität glaubt, uns so den Sieg entreißen zu können, zehntausende von Sowjetbürgern kalt und rücksichtslos dem sicheren Verderben preisgegeben.“ Dieser trübe Propagandabericht wirkt in der Rückschau umso makabrer, als dass die Einwohnerschaft von Polozk mehrheitlich aus Juden bestand, die im weiteren Kriegsverlauf im Holocaust ermordet werden sollten und in Folge der durch Moraller geschilderten Einnahme der Stadt rund 200 Angehörige der städtischen Elite von deutschen Truppen erschossen wurden.

Franz Moraller wird zum Hauptschriftleiter des Führers ernannt - Zum Digitalisat

Im September 1942 kehrte Moraller wieder nach Karlsruhe zurück und übernahm zusätzlich zur Hauptschriftleitung des Führers die Hauptschriftleitung der elsässischen Straßburger Neuesten Nachrichten im unter deutscher Zivilverwaltung stehenden Elsass.

Das militärische Ende des nationalsozialistischen Deutschlands erlebte der zweifache Hauptschriftleiter, ehemalige hochrangige Kulturfunktionär und ‚alte Kämpfer‘ Moraller als Kommandant einer Volkssturmeinheit, dem „Panzerjagdzug Karlsruhe“. Mit dem Kommando dieses aus wenigen Hitlerjungen bestehenden Panzerjagdzuges war Moraller vom städtischen Verwaltungsdirektor betraut worden. Am 21. April 1945 wurde Moraller in Engen bei Konstanz von französischen Truppen als „deliquant grave“ (also als „schwerer Straftäter“) und hoher Parteifunktionär verhaftet und in Lahr-Dinglingen interniert. Am 8. Juli 1947 wurde er in die Gefangenschaft nach Metz überführt.

Im Fragebogen der französischen Militärbehörden stellte sich Moraller primär als Journalist und Kulturmensch dar, der bei Reden vor allem zu kulturellen Fragen (und nicht zu propagandistischen und politischen) gesprochen haben wollte – was angesichts seiner Tätigkeiten in Staat, Partei und SA nicht der Wahrheit entsprach. Auch wollte er glaubhaft machen, dass er in seinen Zeitungsartikeln politische Fragen im Rahmen einer „kritischen Beleuchtung“ begleitet habe.

Im Sommer 1950 verwiesen die französischen Ankläger Moraller an einen Militärgerichtshof, dort sollte er abgeurteilt werden. Hauptsächlich wurde ihm vorgeworfen, als Hauptschrfitleiter der Straßburger Neuesten Nachrichten französische Staatsbürger bzw. Elsässer zum Eintritt in die Wehrmacht aufgefordert zu haben („Zwangsrekrutierung von Elsässern“). Moraller legte Berufung gegen die Weiterverweisung an den Militärgerichtshof ein. Der Karlsruher Presseclub (also die Karlsruher Vertretung der lokalen Presse) verabschiedete 1952 eine Resolution an den französischen Hohen Kommissar, in der auf das Schicksal Morallers hingewiesen wurde und seine Freilassung gefordert wurde bzw. gefordert wurde, ihm ein ordentliches Gerichtsverfahren zukommen zu lassen. Der Hohe Kommissar setzte sich dann auch tatsächlich für Moraller ein und dieser wurde im Mai 1953 gegen eine Zahlung von 500.000 Francs Kaution auf Widerruf entlassen. Am 17. Mai 1956 beschloss der Kassationshof in Paris, das Verfahren einzustellen. Morallers Entnazifizierungsverfahren wurde am 9. Juli 1953 ebenfalls eingestellt.

Von 1958 bis 1968 war Moraller für die Bertelsmann-Verlagsgruppe in Gütersloh tätig. Der maßgebliche Schriftleiter des Führers, glühende Nationalsozialist und mit allen Wassern gewaschene Propagandist trat nach seiner Freilassung politisch nie mehr in Erscheinung.

Die Geschichte und Entwicklung der Zeitung Der Führer wird im BLBlog in den nächsten Monaten in einem eigenen Artikel behandelt.

Literatur:

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