Karten in der Literatur
Von Utopia bis hin zur Schatzinsel
Karten bilden nicht nur reale geographische Räume, sondern auch fantastische Sphären ab. In der Literatur können Karten dem Leser als Orientierungshilfe dienen. In zahlreichen Werken lassen sich fiktive Raumbeschreibungen finden: Zum Beispiel in den Karten von Liliput in Jonathan Swifts Gulliver’s Travels, der legendären Schatzinsel von Robert Louis Stevenson oder den fantastischen Welten von Hogwarts, Oz und Mittelerde.
Ein besonderes Highlight ist die berühmte Karte der Insel Utopia aus dem gleichnamigen, 1516 erschienenen Werk von Thomas Morus (1478–1535). Schauplatz der Handlung ist die imaginäre Insel Utopia, anhand derer Raphael Hythlodeus, der fiktive Erzähler der Geschichte, eine zum damaligen Europa alternative Staatskonzeption schildert. Die Schrift Utopia wurde in der Literatur namensgebend für ein eigenes Genre, die sog. Utopie. Sie beschreibt eine ideale Form menschlichen Zusammenlebens, die zwar denkbar, jedoch nicht realisierbar ist. Auch der satirische Roman Gullivers Reisen (1726) des irischen Schriftstellers Jonathan Swift (1667–1745) knüpft mit seinen enthaltenen Karten an die Tradition der Utopie an.
Ein weiteres Stück Weltliteratur schuf der englische Schriftsteller Daniel Defoe (1660–1731), als er sich in seinem Roman Robinson Crusoe auf den Erlebnisbericht eines schottischen Seefahrers bezog und eine erfundene Geschichte anhand von Karten äußerst realistisch gestaltete. Die im Buch enthaltene Weltkarte zeigt die fiktive Reiseroute des Protagonisten Robinson Crusoe und verstärkt so beim Leser die Illusion, dass es sich um eine wahre Begebenheit handelt.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebte der moderne Abenteuerroman eine Blütezeit. Hauptzielgruppe waren erstmals Jugendliche. Zu den berühmtesten Werken zählt Robert Louis Stevensons Schatzinsel, welche 1883 erstmals veröffentlicht wurde. Schlüssel der Handlung ist eine Karte der legendären Schatzinsel, auf welcher der verstorbene Kapitän Flint seinen vergrabenen Schatz vermerkt hat.
Lit.: Vgl. Ausst.-Kat. Fakten oder Fantasie?: Karten erzählen Geschichten! / Michael Recke, Michael Remmers, Corinna Roeder, Oldenburg 2017.
Literarische Orte – Wo geht's nach Liliput?
Thomas Morus: De optimo rei publicae statu deque nova insula Utopia
Frankfurt am Main, 1601
Diese Schilderung einer idealen Gesellschaft stammt von dem Engländer Thomas Morus (1478–1535) und wurde erstmals im Jahr 1516 veröffentlicht. Im Zentrum steht die fiktive Erzählung eines Seemannes, der lange Zeit beim Volk der Utopier gelebt hat. Morus beteiligte sich am philosophischen Diskurs seiner Zeit und beschrieb eine Gesellschaft, die sich an rationalen Grundsätzen von Gleichheit und dem Streben nach Bildung orientiert und in der kein Privateigentum existiert. Der Roman etablierte damit die literarische Gattung der Utopie und arbeitete ein fiktives Staatsmodell heraus.
Württembergische Landesbibliothek, Pol. Oct. 3575
zum Digitalisat der Bayerischen Staatsbibliothek
Jonathan Swift: Des Capitains Lemuel Gulliver Reisen in unterschiedliche entfernte und unbekannte Länder
Hamburg, 1731
Gullivers Reisen ist ein satirischer Roman des irischen Schriftstellers Jonathan Swift (1667–1745), in dem dieser seine Verbitterung über zeitgenössische Missstände zum Ausdruck bringt. Geschildert werden die insgesamt vier Reisen des Schiffsarztes und späteren Kapitäns Lemuel Gulliver. Auf der Insel Liliput lernt er winzige Einwohner kennen, auf der Insel Brobdingnag lebt Gulliver unter Riesen. Jede seiner Reisen ist mit einer Karte bebildert, die topographische Bezüge zu einer real existierenden Insel aufweist wie z.B. zur Inselwelt des Indischen Ozeans oder zur Nordwestküste Nordamerikas.
Württembergische Landesbibliothek, Fr. D. oct. 1499-1/3
Weltkarte mit der Reiseroute von Robinson Crusoe
In: Daniel Defoe: La Vie Et Les Avantures Surprenantes De Robinson Crusoe
Leiden, 1754
Die Karte zeigt die angebliche Reiseroute des Schiffbrüchigen Robinson Crusoe aus dem 1719 erstmals erschienenen Roman Robinson Crusoe. Die Hauptfigur des Romans überlebte jahrelang auf einer einsamen Insel und stellte sich Abenteuern mit Kannibalen und Piraten. Er gestaltet die Insel zu einem lebenswerten Lebensraum in Anwendung seines Verstandes und Vertrauen in Gott und agierte damit als aufgeklärter Mensch.
Der englische Schriftsteller Daniel Defoe (1660–1731) nutzte für seinen Abenteuerroman den Erlebnisbericht des schottischen Seefahrers Alexander Selkirk, der von 1704 bis 1709 alleine auf einer Insel im Südatlantik lebte.
Landesbibliothek Oldenburg, SPR XIV 2 153: 1
Karte vom Land der Zufriedenheit
In: Philipp Balthasar-Sinold gen. von Schütz: Die glückseeligste Jnsul auf der gantzen Welt, oder Das Land der Zufriedenheit, Dessen Regierungs-Art/ Beschaffenheit/ Fruchtbarkeit/ Sitten derer Einwohner/ Religion/ Kirchen-Verfassung, und dergleichen
Frankfurt, 1728
Dieser erstmals im Jahr 1723 erschienene utopische Roman von Philipp Balthasar Sinold von Schütz (1657–1742) ist von der protestantischen Bewegung des Pietismus beeinflusst.
Das im Roman angeblich entdeckte und hier auf der Karte dargestellte Land der Zufriedenheit ist eine große Insel im nördlichen Pazifik, die außen von Felsen umgeben, im Inneren aber fruchtbar und klimatisch begünstigt ist. Hier soll ein Volk, das direkt von Noah abstammt, in schlichter Frömmigkeit, Bescheidenheit und Tugendhaftigkeit völlig abgeschottet von der Außenwelt leben.
Landesbibliothek Oldenburg, SPR XIII 3 A 46,1
zum Digitalisat der Bayerischen Staatsbibliothek
Moderne Ausgaben von Abenteuerromanen und Fantasy-Literatur
Robert Louis Stevenson: Die Schatzinsel
Frankfurt am Main, 1955; Wien, 1976; Schönau, 1992; Stuttgart 2012
Der schottische Schriftsteller Robert Louis Stevenson (1859–1894) griff für seinen Roman Die Schatzinsel auf Seefahrer- und Piratengeschichten früherer Jahrhunderte zurück. Im Zentrum der Handlung steht die legendäre Karte der Schatzinsel, auf welcher der verstorbene Kapitän Flint seinen vergrabenen Schatz eingezeichnet hat und die dem siebzehnjährigen Jim Hawkins in die Hände fällt. Die Insel, die Flint angeblich um 1754 vor der Küste Mexikos entdeckt hatte, wird zum Schauplatz des Geschehens.
Stevenson selbst zeichnete eine Skizze der Schatzinsel, die in vielen Buchausgaben abgedruckt ist.
Badische Landesbibliothek, 58 A 3797; 96 A 50 612 8 und 112 A 9471
Jules Verne: Zwei Jahre Ferien
Frankfurt am Main, 1968 und Stuttgart, 1989
Die fantastischen Romane des französischen Schriftstellers Jules Verne (1828–1905) gelten als Vorläufer des Science-Fiction. In seinem 1888 in zwei Teilen erschienenen Abenteuerroman Deux ans de vacances knüpft Verne an das schon bewährte Erzählmodell des Robinson-Romans an und lässt eine Gruppe von 14 Schülern aus dem neuseeländischen Internat Chairman auf einer Insel im Pazifik stranden, der sog. Chairman-Insel. Von dieser Insel existiert wiederum eine detaillierte Karte, die den Protagonisten des Romans in die Hände fällt.
Die erste deutschsprachige Ausgabe erschien 1889 unter dem Titel Zwei Jahre Ferien.
Badische Landesbibliothek, 66 A 4042,15 und 89 A 11926
J.R.R. Tolkien: Der Herr der Ringe
Stuttgart, 1977
Mit der 1954 vollendeten Romantrilogie The Lord of the Rings wurde der englische Mythenforscher und Professor J.R.R. Tolkien (1892–1973) zum Begründer der Fantasy-Literatur.
Nach dem Erfolg des Vorgängerromans Der Hobbit arbeitete Tolkien über 15 Jahre an einer Fortsetzung der Geschichte in der sagenhaften Welt von Mittelerde. Die Ringtrilogie ist in einem geschlossenen fiktiven Weltbild angesiedelt, wobei Mittelerde Teil eines Kontinents unbekannten Ausmaßes ist. Neben geographischen Gegebenheiten spielen bei der Beschreibung der einzelnen Landstriche und ihrer Bewohner auch historische Ereignisse eine bedeutende Rolle. Die wichtigste Stadt ist Minas Tirith.
Badische Landesbibliothek, 78 A 8845,1
Karen Wynn Fonstad: Historischer Atlas von Mittelerde
Stuttgart, 1994
Dieser umfassende Atlas illustriert die unterschiedlichen Handlungsorte von J.R.R. Tolkiens Trilogie Herr der Ringe und stellt die Entwicklung von Mittelerde bis zum Beginn des Vierten Zeitalters dar. Über 100 Karten zeichnen die Reiserouten der beiden Hobbits Bilbo und Frodo nach und geben Einblick in die verschiedenen Landschaften und Städte der Romane.
Neben geologischen Karten sind auch politische Karten zum Kampfgeschehen sowie Klimakarten und Karten der unterschiedlichen Vegetationszonen in dem Band enthalten und bieten dem Leser fundiertes Hintergrundwissen zu den Romanen von Tolkien.
Badische Landesbibliothek, 115 B 161
George R.R. Martin: Das Lied von Eis und Feuer
München, 2012
Der fiktive Handlungsort der Fantasy-Saga Das Lied von Eis und Feuer ähnelt der Welt des europäischen Mittelalters. Schauplatz der Romane ist der Kontinent Westeros, über den sich die Sieben Königslande erstrecken. Die einzelnen Teile des Reiches unterscheiden sich deutlich hinsichtlich Kultur, Religion, Gesellschaftsordnung und Klima. Enthalten sind in den Romanausgaben auch Übersichtskarten von Westeros und den angrenzenden Gebieten sowie der größten Städte wie z.B. Königsmund.
Die bekannte auf den Büchern beruhende Verfilmung trägt den Titel Game of Thrones.
Badische Landesbibliothek, 112 A 9733,6
Walter Moers: Der Bücherdrache
München, 2019
In seinen insgesamt sieben Zamonien-Romanen siedelt der Schriftsteller Walter Moers die Handlungen auf dem fiktiven Kontinent Zamonien an. Zamonien wird als später untergegangener Kontinent in der Mitte des Atlantiks beschrieben. Der zuletzt in dieser Reihe erschienene Roman Der Bücherdrache stammt aus dem Jahr 2019 und knüpft an Ereignisse der vorangegangenen Teile an.
Mit jedem neuen Roman aus dem Zamonien-Zyklus kommen neue Orte und Landschaften hinzu, die in verschiedenen klimatischen Zonen angesiedelt sind.
Badische Landesbibliothek, 119 A 30388
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