Was macht eigentlich eine Papierrestauratorin?
Magdalena Liedtke und Christiane Schwab 13.9.2023 12 Uhr
DOI: https://doi.org/10.58019/4f04-2e37
Magdalena Liedtke (ML) und Christiane Schwab (CS) sind Restauratorinnen in der Badischen Landesbibliothek. Was genau ihren Beruf ausmacht, erfahren Sie im folgenden Interview.
Ihr seid Papierrestauratorinnen. Was macht man da eigentlich so den ganzen Tag?
Wir arbeiten zusammen mit zwei Buchbinderinnen im Team Bestandserhaltung in der Badischen Landesbibliothek. Wir kümmern uns darum, die Bestände zu pflegen und sie für die Zukunft zu erhalten. Das betrifft die historischen und die Sondersammlungen, aber auch alles, was in der Badischen Landesbibliothek sonst langfristig aufbewahrt werden soll.
Wie seid Ihr in diesem Job gelandet?
ML: Nach dem Abitur habe ich eine handwerkliche Buchbinderlehre absolviert und anschließend eine dreijährige Fachschule für Restaurierungstechnik besucht. Die Schule war ein Pilotprojekt zur Ausbildung von Restauratorinnen und Restauratoren, die es heute in dieser Form nicht mehr gibt. Heute studiert man zum Beispiel an der Technischen Hochschule Köln oder an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart einen der Studiengänge für die verschiedenen Fachbereiche, zum Beispiel „Gemälde und gefasste Skulpturen“, „Textilien und Archäologische Fasern“ oder auch seit ca. 30 Jahren den Studiengang „Schriftgut, Grafik, Fotografie und Buchmalerei“. Mehr Informationen dazu gibt es bei unserem Berufsverband, dem Verband deutscher Restauratoren.
Magdalena Liedtke, Restauratorin in der Badischen Landesbibliothek. Foto: Badische Landesbibliothek
CS: Ich hatte schon immer ein Faible für Bücher und mein Vater hatte in einer seiner kunsthistorischen Zeitschriften einen Bericht über einen Buch-und Papierrestaurator gelesen und mich darauf aufmerksam gemacht. So war die Idee geboren. Wie meine Kollegin machte ich nach dem Abitur eine handwerkliche Buchbinderausbildung mit dem Ziel, irgendwann einmal Restauratorin zu werden. Ich wollte auf jeden Fall ein Handwerk erlernen.
Glücklicherweise konnte ich meine Ausbildung hier in der Buchbinderei der Badischen Landesbibliothek absolvieren und habe schon damals der Restauratorin immer wieder gerne über die Schulter geschaut. Nach der Gesellenprüfung habe ich dann ein halbes Jahr in der Restaurierungswerkstatt der BLB und in einer privaten Restaurierungswerkstatt mitgearbeitet. Anschließend war ich für fast zwei Jahre in der Zentralen Restaurierungswerkstatt des Landes Baden-Württemberg in Tübingen tätig, das ist heute das Institut für Erhaltung von Archiv- und Bibliotheksgut in Ludwigsburg als Teil des Landesarchivs Baden-Württemberg. Im Rahmen dieser Anstellung habe ich alle Abteilungen der Buch-, Papier-, Pergament- und Siegelrestaurierung durchlaufen und mich fortgebildet. Diese Möglichkeit gibt es heute leider nicht mehr. Heute ist ein längeres Praktikum in einer Restaurierungswerkstatt und ein anschließendes Studium für den Beruf der Restauratorin notwendig.
Christiane Schwab, Restauratorin in der Badischen Landesbibliothek. Foto: Badische Landesbibliothek
Was macht Euch an diesem Job in der Kultur besonders Spaß? Was sind die Herausforderungen?
Die Vielseitigkeit bringt immer viel Abwechslung.
Bei der Restaurierung an den Büchern haben wir es mit vielen verschiedenen Materialien zu tun, wie Papier, Pergament, Farben, Leder, Holz, Metall, Klebstoffe. Deshalb müssen wir uns in Herstellungsprozessen, Materialkunde und Alterungsverhalten gut auskennen. Ein kurzes Beispiel, ohne zu sehr ins Detail zu gehen: Papier ist nicht gleich Papier. Im 15. Jahrhundert wurden bei der Papierherstellung Lumpen verwendet. Ab etwa 1850 verwendete man dafür Holzschliff. Diese Papiere sind durch den Herstellungsprozess säurehaltig, verbräunen und werden brüchig. Heute wird Papier aus Zellulose produziert. Durch geeignete chemische Zusätze ist es frei von Säuren und in der Regel alterungsbeständig.
Restaurierung eines Briefes aus dem Reinhold-Schneider-Archiv. Foto: Badische Landesbibliothek
Darüber hinaus arbeiten wir bei den Aufbewahrungs- und Lagerungsbedingungen der Bestände im Haus mit. Das bedeutet, wir helfen bei der Überwachung des Klimas in den verschiedenen Magazinen, bei Verpackung und Reinigung von einzelnen Büchern und Bestandsgruppen und auch bei der Sichtung und Reinigung antiquarischer Neuzugänge.
Bei Ausstellungen im Haus und bei Kooperationen mit anderen Einrichtungen sind wir ebenfalls beteiligt: Wir sind in die konservatorische Betreuung involviert, das heißt, auch hier geht es um optimale Lichtverhältnisse, Klimaprüfung, Transportbedingungen, Präsentation der Bestände zum Beispiel mit Buchstützen etc. Bei empfindlichen Leihgaben für externe Ausstellungen reisen wir durchaus mal als Begleitung an den Ausstellungsort mit.
Zudem arbeiten wir bei Digitalisierungsprojekten von Handschriften, Inkunabeln und besonders empfindlichen und gefährdeten Objekten mit der Digitalisierung zusammen, sind bei der Notfallvorsorge der BLB dabei und in der Schädlingsprävention und -überwachung und – falls notwendig – der Schädlingsbekämpfung aktiv.
Buchrücken vor und nach der Restaurierung. Foto: Badische Landesbibliothek
Was war bisher Euer persönliches Highlightprojekt?
Wir haben immer wieder größere und kleinere Projekte mit interessanten Fragestellungen neben den vielfältigen Alltagsaufgaben. Zwei Beispiele fanden wir besonders spannend:
Vor einigen Jahren haben wir gemeinsam ein Konzept für die Lagerung und die bessere Benutzbarkeit der sogenannten Reichenauer Fragmente entwickelt. Diese Fragmente, das sind unvollständige Teile, Einzelblätter und Schnipsel aus Einbänden von anderen Handschriften aus der ehemaligen Klosterbibliothek Reichenau, sind teilweise über 1000 Jahre alt. Sie wurden vor fast 100 Jahren in Kartoneinbände eingeklebt und auf diese Weise aufbewahrt. Die Kartoneinbände waren säurehaltig, was für eine langfristige Schädigung der Fragmente sorgte.
Reichenauer Fragmente im säurehaltigen Kartoneinband (links), aus dem Karton herausgelöst (Mitte) und in Passepartouts aus Museumskarton zwischen Leinenfäden gespannt (rechts). Foto: Badische Landesbibliothek
Im Rahmen eines Projekts wurden sie herausgelöst, digitalisiert und in Passepartouts aus Museumskarton zwischen Leinenfäden gespannt. Wenn das Digitalisat als Informationsquelle nicht ausreicht, können sie so von beiden Seiten betrachtet oder ausgestellt werden, ohne dass man sie berühren muss. Sie lagern jetzt in säurefreien Umschlägen in Archivkästen und bleiben hoffentlich noch lange der Nachwelt erhalten.
Sorgfältiges Befestigen der Reichenauer Fragmente mit Leinenfäden. Foto: Badische Landesbibliothek
2016 haben wir ein studentisches Projekt im Studiengang Restaurierung der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart unterstützt und beraten. Es ging um sogenannte Malschichten in den Handschriften Cod. Lichtenthal 26 und Cod. Durlach 2. Beide Handschriften enthalten reichhaltige Buchmalereien mit kräftigen Farben, deren Stabilität wir untersucht haben. Farbe besteht aus vielen kleinen Farbpigmenten und Bindemittel. Je nachdem, wie gut diese Farben auf dem Pergament haften, sind sie stabil, haften also gut, oder weniger stabil. Mit dem Mikroskop konnten wir die Malschichten aus nächster Nähe betrachten, uns mit der Zusammensetzung der Farben auseinandersetzen und uns den Herstellungsprozess vergegenwärtigen. Zudem ging es darum, eine optimale Arbeitsabfolge für die Dokumentation der Schäden und Malschichtfestigung zu entwickeln.
Buchmalereien aus dem Stundenbuch der Markgräfin Susanna von Brandenburg, Cod. Durlach 2, Bl. 41v und 42r. – zum Digitalisat der Badischen Landesbibliothek
Was wissen die meisten Menschen nicht über Euren Beruf?
Viele Menschen wissen nicht, dass wir die Schrift meistens nicht lesen können und wir auch keine Schrift oder Malerei hinzufügen.
Bei einer Restaurierung geht es in erster Linie darum, die originale Substanz so weit wie möglich zu erhalten, sodass sie bei einer Benutzung nicht weiter Schaden nimmt. Dabei arbeiten wir nicht nur mit dem einzelnen Buch, sondern oft besteht die Aufgabe darin, die Umgebungsbedingungen entsprechend zu gestalten, also für passende klimatische Bedingungen, gute Lichtverhältnisse und schonende Aufbewahrung zu sorgen.
Liegende Aufbewahrung in Kästen. Foto: Badische Landesbibliothek
Eine wichtige Aufgabe ist es, die Kolleginnen und Kollegen in der Bibliothek für diese Themen zu sensibilisieren. So können schon bei der Benutzung der Bestände Schäden aufgedeckt und weitere vermieden werden.
Trockenreinigung eines Buches. Foto: Badische Landesbibliothek
Was war bisher Euer skurrilstes, lustigstes oder erinnerungswürdigstes Erlebnis auf der Arbeit?
ML: Ein Ereignis, an das ich mich immer erinnern werde, war die erste Präsentation der Nibelungenlied-Handschrift C in der BLB, nachdem sie 2001 mit Mitteln der Landesbank, der Kulturstiftung der Länder, der Bundesregierung und privaten Spenden angekauft wurde: Die Menschen standen Schlange, um einen Blick auf das Buch in der streng bewachten Vitrine zu werfen. Im Winter 2003/2004 gab es eine gemeinsame Ausstellung zum Nibelungenlied im Karlsruher Schloss, die von der Badischen Landesbibliothek und dem Badischen Landesmuseum erarbeitet wurde. Aber noch vorher konnte die Handschrift C für eine Woche im Lesesaal Sammlungen der Landesbibliothek bewundert werden, natürlich unter enormen Sicherheitsvorkehrungen.
Erste Seite des Nibelungenlieds, Cod. Donaueschingen 63. – zum Digitalisat der Badischen Landesbibliothek
Auch ein Live-Interview bei der Sendung „Kaffee oder Tee“ beim SWR war recht aufregend. 2015 wurde ich eingeladen, in der Rubrik „Seltene Berufe“ zu erzählen, was ich als Restauratorin so mache. Wir Restauratorinnen arbeiten üblicherweise hinter den Kulissen. So war es sehr ungewohnt, vor der Kamera zu stehen, aber auch interessant, einen Einblick in die Produktion einer Fernsehsendung zu bekommen.
CS: Eine Kurierfahrt war für mich ein besonderes und auch skurriles Erlebnis. Eine großformatige historische Landkarte in einem Holzrahmen sollte in eines der deutschen Nachbarländer transportiert werden. Es war für mich die erste Kurierfahrt ins Ausland, der erste Flug, das erste Mal, dass ich Kurier für eine so große, wertvolle Karte war. Die Karte reiste im LKW und ich mit dem Flugzeug hinterher.
Vor Ort stellten wir dann fest, dass die vorgesehene Vitrine für die Karte mit Holzrahmen zu klein war! Die Karte aus dem Rahmen zu nehmen, kam aus konservatorischen Gründen aber nicht infrage. Ich musste den Kollegen vor Ort dann irgendwie vermitteln, dass sie eine größere Vitrine brauchen, weil die Karte sonst nicht hätte ausgestellt werden können. Das haben sie tatsächlich hinbekommen, und am nächsten Morgen war eine passende Vitrine vorhanden. Ich konnte also beruhigt nach Karlsruhe zurückfahren.
Dieser Blogbeitrag ist ein Crossposting. Sie können diesen Text auch auf dem Blog von Kultur in Karlsruhe einsehen.
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