Der Bundschuhführer Joß Fritz zwischen Nationalismus und Exilliteratur

Zu sehen ist eine Collage, die aus einem freigestellten Bild der Statue von Joß Fritz am Joß-Fritz-Brunnen in Untergrombach im Vordergrund und einer mittelalterlichen Karte im Hintergrund besteht.

Statue von Joß Fritz am Joß-Fritz-Brunnen in Untergrombach vor der im 16. Jahrhundert entstandenen Schwarzwaldkarte Silva Nigra des Kartographen Sebastian Münster (1488–1552, BLB, Go 88 cart), Quelle: BLB.

Thomas Adam, 20.3.2025

DOI: https://doi.org/10.58019/FS1M-VK14

Anlässlich der Veranstaltung Joß Fritz – Rebell, Agitator und Phantom vom Oberrhein im Rahmen des 500. Jahrestages des Deutschen Bauernkrieges erscheint im BLBlog eine Artikelserie zur literarisch-künstlerischen Bearbeitung der historischen Figur des Joß Fritz und der Bundschuh-Bewegung.

In der ideologisch aufgeladenen ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gerät der Bauernführer Joß Fritz endgültig zwischen alle Stühle – oder um es deutlicher zu sagen: von den Eiferern aller Schattierungen wird er auf ihre jeweilige Seite gezwungen. Ob Rechts oder Links, alle versuchen, die Erinnerung an den konspirativen Bundschuh und seinen „Mastermind“ aus Untergrombach für sich zu vereinnahmen. Vor dem Hintergrundmotiv des Bauernkrieges werden Joß Fritz nun Worte und Parolen in den Mund gelegt, die Schlagworte der jeweiligen Zeit und politischen Ideologie sind, nicht aber die eines Menschen der Epochenschwelle um 1500.

1902 – als wäre es zum 400. Jahrestag der Untergrombacher Bundschuhverschwörung gemeint gewesen – erschien der Roman Das neue Wesen von Ludwig Ganghofer, der Joß Fritz im Allgäu des Jahres 1525 in Erscheinung treten lässt. Heimat, Volk und Nation rückt Ganghofer in den Vordergrund, und so ist es kein Zufall, dass der Roman im wilhelminischen Deutschland gefällige Aufnahme fand und zwölf aufeinanderfolgende Auflagen erlebte. Was da gesprochen und gedacht, was da einem Bauernführer des 16. Jahrhunderts angedichtet (oder besser noch: unterstellt) wurde, das ist nichts anderes als ein Spiegel des Kaiserreiches zur Jahrhundertwende mit all seinem Nationalismus und seiner Selbstbeweihräucherung. Hinauswerfen aus dem Land solle man, so verkündet einer der Protagonisten des Romans, „was undeutsch ist“, und sammeln, „was deutsches Blut hat!“ Alle Klassen, Arm und Reich, sind da unterschwellig solidarisch in dem einen, von allen gewollten Ziel, „unser wankendes Reich zu stützen“.

Illustration von Adalbert Franz Seligmann, zu sehen sind zwei Männer, einer von ihnen legt dem anderen die Hand auf die Schulter. Ersterer sieht überrascht darüber aus und hält sich erschrocken die Hand auf die Brust.

Abb. 1: Die Sicht des Künstlers: Joß Fritz (rechts) trifft einen früheren Mitverschworenen, dem zur Strafe für die Teilnahme am verbotenen Geheimbund beide Schwurfinger der rechten Hand abgehauen worden sind. Illustration von Adalbert Franz Seligmann zu Ludwig Ganghofers Roman Das neue Wesen, dessen Erstausgabe 1902 erschien, genau vier Jahrhunderte nach dem Bundschuh von Untergrombach. (Vorlage und Reproduktion: Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Sig. D.D.oct.3250, S. 42)

 

1925 siedelte der Freiburger Heimatforscher Wilhelm Fladt sein Schauspiel Bauernkrieg im Breisach von 1525 an. Mit Hunderten Mitwirkenden wurde es bei den dortigen Historischen Festspielen aufgeführt – zum 400. Jahrestag der Ereignisse, wohlgemerkt der fiktiven, weitgehend der Fantasie des Autors entsprungenen Ereignisse. Zusammen mit seiner Frau taucht Joß Fritz auch hier wieder, ehe er sich Vertrauten zu erkennen gibt, als Unbekannter auf, als Vagabund, der mit Musik zum Tanz aufspielt. Über die Krise der Zeit spricht er, über Verweltlichung und die Geldgier der Menschen: „Wenn im heiligen Evangeli steht: Du sollst den Nächsten lieben wie dich selbst! verstehen sie es so: Sorg für dich so, daß es dir mindestens wie deinem Nächsten geht!“ Sein Plan, Bürgermeister und Rat von Breisach zu überrumpeln und in der Stadt die Macht an sich zu reißen, mündet in blutigen Kampf und in die Rufe des ungestümen Joß Fritz: „Die Ernte kommt!“ und „Hie Bundschuh!“ Nach der Niederschlagung des Komplotts und einer konzilianten Rede des Bürgermeisters über die Versöhnung der Stände durch „den Glauben an das große heilige Brudertum“ endet das Stück in einem vielstimmigen dreimaligen „Heil“-Ruf des versammelten Volkes. Auf der Bühne standen dabei jüdische Breisacher, die später in Konzentrationslagern starben, neben zwei Mitbegründern der NSDAP-Ortsgruppe.

1930 erschien erstmals der Roman Engel Hiltensperger von Georg Schmückle, dank hinreichend nationalistischer Tendenz auch im nationalsozialistischen Deutschland weiter aufgelegt. Hier ist Joß Fritz vor allem ein Heimatloser, der Deutschland nach dem Breisgauer Bundschuh von 1513 fluchtartig verlassen musste und „der sich zehn Jahre lang halbtot gesehnt“ hat, so sehr, dass ihm „das Heimweh das Herz will abdrucken“. Zuletzt stirbt er, ein Landsknecht, im Februar 1525 auf den Wällen von Pavia; vernichtend schlugen in dieser Schlacht die kaiserlichen Truppen Karls V. das Heer des französischen Königs im Kampf um die Vorherrschaft über Italien. Während seiner letzten Atemzüge kehrt Fritz in tiefem Zweifel vom evangelischen zum alten Glauben zurück und erbittet die Beichte. Ein Beutelchen Erde vom Boden des väterlichen Besitzes trägt er bei sich. Sein letzter Wunsch ist nur der, es möge mit ihm bestattet werden.

„Am Ticino begruben sie ihn, das Säcklein mit Erde aus Untergrombach auf dem Herzen.“

 

Eine entscheidende Rolle spielt Joß Fritz auch in zwei Werken, die immerhin noch zu den ernsthafteren literarischen Auseinandersetzungen mit der Bauernkriegszeit im nationalsozialistischen Deutschland gerechnet werden können. Einmal ist da Franz Hauptmanns 1936 uraufgeführtes, noch vom Expressionismus beeinflusstes Bühnenwerk Bauernkrieg. Der Bundschuhführer gerät in diesem Kammerspiel, dessen Handlung über drei Akte hin ohne Wechsel auf den Schauplatz einer engen Bauernstube beschränkt bleibt, zur wenig rühmlichen Schlüsselfigur. Erst stachelt er einen zunächst widerstrebenden Bauern zur Rebellion gegen die Obrigkeit auf. Dann betrügt er ihn mit seiner Frau, und nur der aus diesem Grund entstehende Tumult verhindert den geplanten Mord am Kurfürsten von Sachsen, der mit seinem Gefolge just während jener Nacht Obdach in der Bauernhütte gefunden hat. Seine Hinrichtung vor Augen, macht der Bauer eine innere Wandlung durch, findet zum wahren Gottesglauben, zum inneren Frieden, bereit, sogar dem „Schänder“ seiner Frau zu vergeben. Der Kurfürst ist ergriffen. Gegen geltendes Recht begnadigt er alle drei – den Bauern, seine Frau und selbst Joß Fritz –, und der Bundschuhführer zieht mit seiner neuen Geliebten von dannen. Bei aller ästhetisierenden Gespreiztheit und religiösen Sehnsucht rechnet dieses Werk doch immerhin zu jenen, die im NS-Staat von menschlichen Hoffnungen und Sehnsüchten berichten und hinausgehen über die bloße Inszenierung nordischer Kempen und arischer Recken.

Und da ist zum anderen Karl Brögers 1934 entstandener Roman Guldenschuh, den der zeitweilig im KZ inhaftierte ehemalige Nürnberger SPD-Stadtrat in einem Grenzbereich zwischen Arbeiterdichtung und, wie er selbst programmatisch festhielt, „Heimatkunst“ verfasste. Der Bundschuhführer tritt uns hier im Jahr 1499 als Landsknecht entgegen, und dieser Joß Fritz ist als eine Kraftnatur sicher nicht sehr weit entfernt vom Standardtypus der völkischen Blut-und-Boden-Literatur. Aber immerhin deutet sich erkennbar die Skepsis des Autors gegenüber dem Nationalsozialismus an, wenn es gegen Ende heißt, erst der nächsten Generation stehe „wieder die ganze Welt und die ganze Zukunft offen“.

1936 schließlich erschien Quirin Engassers voluminöser Joß-Fritz-Roman Der Ursächer, geschrieben mit der Tendenz, die Uneinigkeit der Bauern als Ursache ihrer Niederlage zu benennen und den (deutschen) Zusammenhalt einzufordern. Eine Volksbewegung benötigt einen charismatischen Führer – das lässt der damals dem Nationalsozialismus nahestehende Elsässer Engasser seinen Joß Fritz wissen. Entsprechend positiv und entsprechend ideologisiert lasen sich denn auch die Besprechungen über den Ursächer in deutschen Feuilletons. Engassers Joß Fritz entwickelt und entfaltet sich erst im Lauf des Romans, ist anfangs ein aufbrausender, unerfahrener Titelheld, den allenfalls seine rhetorische Begabung aus der Masse der Untergrombacher Bauern heraushebt, ein Titelheld auch, der zwar im weiteren Leben durch ständige Rückschläge geprägt wird, der besonnener und taktischer vorzugehen lernt, der aber doch am Ende voll Ungeduld und Selbstüberschätzung seine Kameraden Mitte Mai 1525 in eine der blutigsten Schlachten des Bauernkrieges, jene bei Lupstein im Elsass, laufen lässt und selbst mit ihnen ins Verderben rennt.

Auf Seiten der Linken vollzog sich eine ähnliche Vereinnahmung. Im Jahr 1928 porträtierte Erich Müller den Bundschuhführer als einen Vorkämpfer dessen, was zu jener Zeit der sowjetrussische Bolschewismus war, und „was heute Hammer und Sichel für die Entrechteten bedeutet, war damals der Bundschuh: Wahrzeichen der Ausgebeuteten und Symbol neuer Gläubigkeit“.

Zu sehen ist eine Fotografie der Autoren Gustav Regler, samt seinen Kollegen Ernest Hemingway und Ilja Ehrenburg. Sie tragen schwarze Baskenmützen, um ihre Zugehörigkeit zur  internationalen spanischen Brigade zu zeigen.

Abb. 4: Rechts auf der Aufnahme: Gustav Regler (1898–1963), Autor des Joß-Fritz-Romans Die Saat, als Freiwilliger der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg mit seinen Schriftstellerkollegen Ernest Hemingway (Mitte) und Ilja Ehrenburg (links). (Vorlage und Reproduktion: Cassowary Colorizations)

 

1936 erschien im Amsterdamer Querido Verlag, der sich stark der Literatur von Exilschriftstellern annahm, Gustav Reglers Die Saat  – bis heute der literarisch bedeutsamste, freilich gleichfalls stark ideologisch gefärbte Joß-Fritz-Roman. Rasch folgten Übersetzungen in mehrere Weltsprachen, wovon die französischen und spanischen Ausgaben den Titel La Passion trugen – im Spanischen Pasión – de Joss Fritz. Regler, als Staatsfeind Nr. 19 ins Pariser Exil geflüchtetes KPD-Mitglied, deutete wie manch anderer die Traditionslinie des Bauernkrieges als Kampf gegen Willkür und Unterdrückung, als Widerstand gegen ein diktatorisches Regime. Schließlich bedurfte gerade die deutsche Linke, die 1933 ihre vielleicht gravierendste und dramatischste Niederlage erlitten hatte, der positiven Erinnerung daran, dass es auch in der eigenen Geschichte Zeiten und Menschen von revolutionärer Observanz gegeben hatte. Wichtiger noch: Joß Fritz war es dieser Lesart nach gelungen, die erste funktionierende Untergrundorganisation in Deutschland aufzubauen, konspirativen Widerstand zu leisten und aufständisches Bewusstsein zu entwickeln. Außerdem macht ihn sein Verschwinden am Vorabend des Bauernkrieges zu einer mythischen Gestalt, zu einer Erlöserfigur, zu einem Typus Mensch, auf dessen Wiederkehr gehofft werden darf – die Saat (deshalb der deutsche Titel) liegt im Boden, sie wird aufgehen und die gegenwärtige Tyrannei vernichten.

Aber es ist doch auch ein zerrissener Joß Fritz, den der Exilautor seinen Lesern präsentiert, einer, der die Zuversicht sucht, aber zeitweilig in tiefer Resignation befangen ist, einer, der mit Gott hadert und sich endgültig von ihm abwendet, ja sich zu dessen Feind erklärt. Kurz: Joß Fritz ist ein Lernender, Suchender und zumindest zeitweilig ‚Angefochtener‘, kein markiger (sozialistischer) Held.

Dies hat dem Autor die Kritik linker Mitstreiter eingebracht, dass er den Heroen der Bundschuhbewegung derart verzerre und weichzeichne und ihm Züge von Entmutigung und Zweifel ins Gemüt schreibe. Nie würde der historische Joß Fritz so unklar und halblaut gesprochen haben, monierte ein Glaubensfreund Reglers, wie er es in der Saat tue. Andere kritisierten, es wäre in der damaligen Lage politisch wie künstlerisch klüger gewesen, den Roman nicht mit dem bedrückenden Ereignis des Scheiterns enden zu lassen.

Der dritte Teil der Artikelserie wird sich mit der Vereinnahmung des Bundschuhs und Joß Fritz durch verschiedene politische Bewegungen beschäftigen.

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