Ferne – Auf fremden Kontinenten
Die Anfänge der Sammelbilder fallen in die Hochzeit des europäischen Kolonialismus. Kolonialvölker, Kolonialwirtschaft und Kolonialkriege spielten eine große Rolle in den Bilderserien aller Firmen, die den Konsumenten ja gerade auch Kolonialwaren – Kaffee, Kakao, Tabak, Kokosfett etc. – zu verkaufen versuchten. So die Firma Hartwig & Vogel, die seit 1870 in Dresden Schokolade herstellte und Bernhard Dernburg als den höchsten deutschen Kolonialbeamten 1907 mit Sammelbildern nach Deutsch-Ostafrika begleitete. Die Kolonialbilder-Serien transportierten ein rassistisches Menschenbild und die Überzeugung von der Überlegenheit der Europäer. Insbesondere die Karikaturen als akkulturiert dargestellter Afrikaner, die den Lebensstil ihrer Kolonialherren imitieren, geben die Kolonialvölker der Lächerlichkeit preis.
Als es 1919 vorbei war mit den deutschen Kolonien, blieben sie im Rahmen eines entschiedenen Kolonialrevisionismus ein populäres Thema, das nach der nationalsozialistischen Machtergreifung noch an propagandistischer Schärfe gewann – mit einem klaren Ziel, 1936 im Kolonialalbum des Zigarettenbilderdienstes unmissverständlich formuliert: „Die volle Gleichberechtigung im Kreise der Völker, die der Führer Adolf Hitler zum leitenden Grundsatz der deutschen Politik erhoben hat, muß sich auf die Kolonien erstrecken. Die Rückgabe der alten deutschen Schutzgebiete ist eine Frage der nationalen Ehre.“
Nach 1945 war das vorbei. Exotische Reisen in ferne Erdteile wurden zur Domäne des Jugendbuchs. Jeweils 100 Bilder umfassten die Sanella-Alben zu Afrika, Amerika, Australien und Asien, die die Margarine-Union 1952–1953 für ein heranwachsendes Publikum herstellen ließ. Es ist ein ganz normaler Jugendlicher, der sich auf große Fahrt zu fremden Kontinenten begibt, den Spuren der Entdecker vergangener Jahrhunderte folgt, dabei aber die gebahnten Wege einer touristischen Infrastruktur nutzt und modernste Verkehrsmittel besteigt – und ganz nebenbei geographisches und historisches Wissen vermittelt.
Explizit wollte Sanella das „gute Jugendbuch“ fördern. Die Kombination aus Abenteuererzählung und Wissensvermittlung wollte jeden Anschein von Herablassung gegenüber dem Fremden vermeiden, aber natürlich reproduzierte sie trotzdem die gewohnten Klischees und bediente den „neokolonialen“ touristischen Blick. Unterstützt wurde das Sammeln durch Abstreichlisten mit den Seriennummern, die sich auf der Gegenseite als Stundenpläne tarnten.

Rette sich, wer kann!
Kinderszenen XXIV.
[Antwerpen]: Liebig's Company, [1898].
Italienische Ausgabe.
Fumagalli Nr. 571.
Die mehrteilige Liebigbilder-Serie „Kinderszenen“ wurde nicht in allen Teilen auch in deutscher Sprache produziert. Diese humoristische Darstellung von afrikanischen Kindern, an deren Spiel mit Seifenblasen sich ein Elefant beteiligt, gab es nur auf Italienisch, Französisch und Holländisch.
Badische Landesbibliothek: 121 F 282 R

Bilder aus Afrika.
[Antwerpen]: Liebig's Company, [1906].
Druckerei Fritz Schnell & Co., Nürnberg.
Arnhold/Spielhagen Nr. 674.
- Beim Photographen
- Sonntagsritt
- Ständchen
- Preiskegeln
- Familienidylle (hier abgebildet)
- Hindernissreiten
Die hier karikierten Schwarzafrikaner gehören in die Kategorie „zivilisierte Wilde“. Sie haben sich an ihre Kolonialherren assimiliert, aber komisch bleibt das doch: ein Zerrbild europäischer Überheblichkeit.
Badische Landesbibliothek: 121 F 226 R

Erste Dernburg-Reise nach Ostafrika.
Aus: Album Nr. 3, Serie 61.
Dresden: Hartwig & Vogel, [ca. 1909].
Die Süßwarenfabrik Hartwig & Vogel in Dresden stellte von 1870 bis zur Enteignung 1948 Schokolade, Kakao, Konfitüren und Bonbons her. Um das Jahr 1909 gab sie zehn Alben mit lithographierten Sammelbildern heraus, zunächst im Liebig-Format, dann im Automatenformat. Eine ihrer Serien widmete sie der Reise des Staatssekretärs im Reichskolonialamt, Bernhard Dernburg, nach Deutsch-Ostafrika im Jahr 1907.
Badische Landesbibliothek: 120 H 2018 R

Deutsche Kolonien.
Dresden: Cigaretten-Bilderdienst Dresden, 1936.
1936 brachte der Cigaretten-Bilderdienst Dresden dieses Sammelalbum heraus, das alle ehemaligen deutschen „Schutzgebiete“ mit 280 Bildern illustrierte. Sie zeigen Landschaft und Tierwelt, die kolonialen Nutzpflanzen wie Kokos, Kaffee, Bananen, Baumwolle, Sisal oder Kautschuk, aber auch die „Eingeborenen“ und deren Kultur, außerdem die Schutztruppen und ihren Kampf gegen die Aufstände der kolonisierten Völker.
Verbunden war dies mit einer klaren Zielstellung: „Die volle Gleichberechtigung im Kreise der Völker, die der Führer Adolf Hitler zum leitenden Grundsatz der deutschen Politik erhoben hat, muß sich auf die Kolonien erstrecken. Die Rückgabe der alten deutschen Schutzgebiete ist eine Frage der nationalen Ehre.“
Hier abgebildet: Elefantenjagd
Badische Landesbibliothek: 60 B 410
Schenker unbekannt

Afrika. Jürgen Hansen erlebt den schwarzen Erdteil.
Hamburg: Margarine-Union AG, 1952.
(Sanella-Bilder).
Die Margarine Sanella wird seit 1904 produziert. Während des Zweiten Weltkriegs gab es nur Einheitsmargarine auf Lebensmittelkarten. 1948 ging die Margarine-Union in Hamburg mit der Marke Sanella wieder an den Start.
Als erstes der Sanella-Alben erschien der Band über Afrika. Der Hamburger Schiffsjunge Jürgen Hansen bereist alle Regionen des Kontinents. Das Album ist zugleich ein frühes Zeugnis des entstehenden interkontinentalen Tourismus. Die Prägung durch alte Denkmuster bleibt dabei unverkennbar: Afrika bleibt ein „postkolonialer Erlebnisraum“ (Judith Blume).
Badische Landesbibliothek: 124 F 121
Geschenk von Hans Jürgen Charwat, Karlsruhe

Mittel- und Südamerika. Conny Pünnebergs abenteuerliche Reise.
Hamburg: Margarine-Union AG, 1952.
(Sanella-Bilder).
In die Reiseberichte sind postkartengroßen Bilder eingebettet, um die halbwüchsigen Leser bei Laune zu halten: das Sammelalbum als Ganzes ist zum illustrierten Jugendbuch geworden.
Hier reist der fünfzehnjährige Conny Pünneberg zu seinem Onkel nach Mexiko und von dort aus durch ganz Mittel- und Südamerika.
Badische Landesbibliothek: 124 F 120
Geschenk von Hans Jürgen Charwat, Karlsruhe

Australien. Jims Abenteuer im Land der trockenen Flüsse.
Idee und Gesamtregie: A. H. F. Seekamp.
Hamburg: Margarine-Union AG, [1953].
(Sanella-Bilder).
Im dritten Band geht es nach Australien und Neuseeland. Es berichtet der sechzehnjährige Jim Bradley, dessen Urgroßvater hierher ausgewandert war.
Badische Landesbibliothek: 124 F 215
Geschenk von Hans Jürgen Charwat, Karlsruhe
Aus Urheberrechtsgründen nicht digitalisiert.

China, Tibet, Japan. Tom Birkenfeldt abenteuert durch den Fernen Osten.
Idee und Gesamtregie: A. H. F. Seekamp.
Hamburg: Margarine-Union AG, [1953].
(Sanella-Bilder).
Im vierten Band reist Tom Birkenfeldt von Berlin aus zu seinem Vater, der als Maschinenbauingenieur in Shanghai eine große Turbine in einem Elektrizitätswerk aufbaut. Die beiden treffen sich auf der Hälfte der Reise in Nanking. Davor und danach erlebt Tom ein einziges großes Abenteuer.
Badische Landesbibliothek: 124 F 122
Geschenk von Hans Jürgen Charwat, Karlsruhe
Aus Urheberrechtsgründen nicht digitalisiert.

Sanella-Stundenplan: China, Tibet, Japan.
1953.
Die Stundenpläne der Firma Sanella lenkten auf der Vorderseite nur mit einfachen Strichzeichnungen von den Lernstunden ab. Auf der Rückseite trugen sie das viel Wesentlichere, nämlich eine Liste der Seriennummern zum Abstreichen für die Sammelbilderalben.
Badische Landesbibliothek: 120 H 9000

Sanella-Stundenplan: Quer durch Australien.
1953.
Badische Landesbibliothek: 120 H 9001

Robinson Crusoe.
Nach dem alten Roman von Johann Heinrich Campe nacherzählt von R. Diederichs mit vielen Bildern und Zeichnungen.
Weinheim an der Bergstraße: 3 Glocken-Werk, 1963.
Seit 1884 produziert die Firma 3 Glocken, gegründet als Erste Badische Teigwarenfabrik Wilhelm Hensel, Nudeln im badischen Weinheim. Ihre berühmteste Erfindung ist wahrscheinlich die Nudelform „Sputnik“, die Ende der 1950er Jahre den Markt eroberte. Im Jahr 2000 fusionierte 3 Glocken mit den Schwabennudelwerken von Birkel in Endersbach, die seit 1980 ein Werk in Mannheim unterhielten. Der Standort Weinheim wurde 2006 geschlossen. Seit 2014 gehören die Marken 3 Glocken und Birkel einem italienischen Lebensmittelkonzern. Die Nudeln werden immer noch in Mannheim produziert.
Beide Nudel-Firmen produzierten in den 1960er Jahren auch Sammelbilderalben. Im gleichen Stil wie die ungemein erfolgreichen Sanella-Alben der Hamburger Margarine-Union gab 3 Glocken 1963 dieses Album mit 80 Sammelbildern heraus. Es richtete sich an die Zielgruppe der Fünfzehnjährigen. Als dummer Junge zieht Robinson von Hamburg aus los – als reifer Mann kommt er wieder nach Hause …
Badische Landesbibliothek: 124 F 505
Aus Urheberrechtsgründen nicht digitalisiert.
Literatur speziell zu den Sanella-Alben
- 111 Jahre Fett nach Maß: Zeitdokumente von Napoleon bis heute erzählen die Geschichte der Margarine und anderer Pflanzenfette am Beispiel von Rama, Sanella, Palmin. Hamburg: Union Deutsche Lebensmittelwerke, [1980].
115 A 11026 - Birgit Pelzer, Reinhold Reith: Margarine. Die Karriere der Kunstbutter. Berlin: Wagenbach, 2001.
101 A 4679 - Judith Blume: Wissen und Konsum. Eine Geschichte des Sammelbildalbums 1860–1952. Göttingen: Wallstein Verlag, 2019. S. 305–362: SANELLA: Reisen, Jagen, Sammeln – Das Album als „gutes Jugendbuch“.
119 B 1548
Literatur speziell zum kolonialen bzw. touristischen Kontext
- Dorle Weyers: Eroberte Länder – kultivierte Fremde. In: Dorle Weyers, Christoph Köck: Die Eroberung der Welt. Sammelbilder vermitteln Zeitbilder. Detmold: Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Westfälisches Freilichtmuseum Detmold, 1992. (Schriften des LWL-Freilichtmuseums Detmold, Westfälisches Landesmuseum für Volkskunde / Westfälisches Freilichtmuseum. 9). S. 68–97.
121 B 338 - Dorle Weyers, Christoph Köck: Mit Abdulla durch die Welt und mit Birkel zum Mond. Zum kulturellen Sinn des Werbemediums Sammelbild. In: Arbeit, Freizeit, Reisen. Die feinen Unterschiede im Alltag. 3. Arbeitstagung der DGV-Kommission Tourismusforschung vom 23. bis zum 25. März 1994. Hrsg. von Christiane Cantauw. Münster [u.a.]: Waxmann, 1995. (Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland. 88). S. 21–40.
Nicht im BLB-Bestand - Melanie Leucht und Franz Rudolf Menne: Konstruktion und Konzeption von Menschen afrikanischer Herkunft in Sammelbildern. In: Koloniale und postkoloniale Konstruktionen von Afrika und Menschen afrikanischer Herkunft in der deutschen Alltagskultur. Hrsg. von Marianne Bechhaus-Gerst ... Frankfurt a.M.: Lang, 2006. Bd. 1, S. 285–297.
Nicht im BLB-Bestand - Joachim Zeller: Bilderschule des Herrenmenschen. Koloniale Reklamesammelbilder. Berlin: Links, 2008.
112 A 4890 - Joachim Zeller: Koloniale Bilderwelten. Zwischen Klischee und Faszination. Kolonialgeschichte auf frühen Reklamesammelbildern. Augsburg: Weltbild, 2010.
124 B 753 - Judith Blume: Wissen und Konsum. Eine Geschichte des Sammelbildalbums 1860–1952. Göttingen: Wallstein Verlag, 2019. S. 140–163 zum Kolonialismus der Liebigbilder.
119 B 1548 - Christoph Hagebeucker: Exotik im Dritten Reich. Das Koloniale in populären Medien und die Mobilisierung der Deutschen. Hamburg: Kovač, 2019. (Studien zur Zeitgeschichte. 113).
121 A 2862
Text: Dr. Julia Freifrau Hiller von Gaertringen
© Badische Landesbibliothek 2025