Klein aber fein – Die Sammlung orientalischer Handschriften in der Badischen Landesbibliothek

Annika Stello 15.12.2023 16.45 Uhr

DOI: https://doi.org/10.58019/4etf-e119

Nur wenige orientalische Handschriften gehören zu der ansonsten recht umfangreichen Handschriftensammlung der Badischen Landesbibliothek. Trotz seiner geringen Größe genießt der Bestand jedoch überraschend große Bekanntheit. Wie es dazu kam, soll hier im Überblick wiedergegeben werden.

Die Karlsruher Sammlung orientalischer Handschriften umfasst nach der Zählung des Karlsruher Handschriftenkatalogs von 1892 gerade einmal 34 Nummern, mit eingerechnet wurden dabei 14 hebräische und aramäische Handschriften. Sieht man von diesen ab, bleiben zwanzig Nummern mit arabischen, persischen und osmanischen Stücken (Cod. Rastatt 201–326, Cod. Durlach 36, 37 und 142 sowie Cod. Karlsruhe 316, 1172 und 1226), zu denen in den letzten Jahrzehnten noch zwei weitere als Geschenke hinzukamen (Cod. Karlsruhe 3374 und 3375, erworben 2016). Die Sammlung wird immer wieder pauschal als „Karlsruher Türkenbeute“ bezeichnet und wurde in diesem Kontext mehrfach beschrieben.

Die Abbildung zeigt eine Seite der um 1600 entstandenden Geschichte der Propheten und Herrscher in osmanisch-türkischer und persischer Sprache, aber geschrieben in arabischer Schrift.

Geschichte der Propheten und Herrscher, um 1600, geschrieben in osmanisch-türkischer und persischer Sprache, aber in arabischer Schrift. Badische Landesbibliothek, Cod. Rastatt 201, Bl. 16v. – zum Digitalisat

Allerdings gehören lediglich acht der 22 Einheiten gesichert in diesen Kontext, über die übrigen 14 und ihre Herkunft ist weitaus weniger bekannt. Hinzu kommt, dass die 1892 vorgenommene Zusammenfassung des sog. „Archiv des Osman Pascha“, also der Handschriften Cod. Rastatt 211, 212 und 216–326, in einer gemeinsamen Katalogbeschreibung einen verzerrten Eindruck des Umfangs vermittelt. Auf der anderen Seite sind gerade innerhalb dieses zusammenhängenden Archivbestands umfangreiche Kriegsverluste zu beklagen. Worin also besteht die kleine Karlsruher Sammlung orientalischer Handschriften, woher kommt sie, und worauf gründet sich ihre Bekanntheit?

Die „Türkenbeute“

Tatsächlich ist die Herkunft vieler Bände ungeklärt. Weitestgehend aufgearbeitet ist sie vor allem für die Stücke, die tatsächlich zur „Türkenbeute“ gehören.

Die Abbildung zeigt ein Amulett in arabischer Sprache auf einem fast vier Meter langen, undatierten Papierstreifen.

Amulett in arabischer Sprache auf einem fast vier Meter langen Papierstreifen (Teilabschnitt), undatiert. Badische Landesbibliothek, Cod. Rastatt 204. – zum Digitalisat

Diese stammen alle aus dem Besitz der verschiedenen markgräflich-badischen Teilnehmer an den Kriegen gegen die Osmanen im 17. Jahrhundert und wurden Teil der Hofsammlungen in deren jeweiligen Residenzen. Ein Name fällt dabei besonders häufig, nämlich der des „Türkenlouis“. Diesen Spitznamen hatte sich Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden-Baden (1655–1707) während seiner Karriere im kaiserlichen Militär des römisch-deutschen Reiches erworben. Er hatte sich in den Feldzügen gegen die Osmanen in den 1680er Jahren dermaßen hervorgetan, dass er 1686 mit gerade einmal 31 Jahren zum Feldmarschall befördert wurde und 1689 den Oberbefehl über die mit den Türken befassten Truppen erhielt. Seine Erfolge gipfelten im Sieg bei der Schlacht von Slankamen 1691, die ihm den höchstmöglichen und seinerzeit äußerst selten verliehenen Rang eines Generalleutnants sowie den Spitznamen „Türkenlouis“ einbrachte. Es verwundert also nicht, dass die badische Türkenbeute, die zunächst im Residenzschloss in Rastatt gezeigt wurde, primär mit seinem Namen verbunden ist und dass sie zeitweise sogar vollständig als Beute dieser Schlacht betrachtet wurde.

Allerdings ist das nur ein Teil der Wahrheit. Denn auch andere Männer aus dem Haus Baden nahmen an den Kriegen teil und brachten orientalische Stücke mit nach Hause. Vieles stammt ursprünglich gar nicht aus dem Besitz des Türkenlouis, sondern aus dem seines Onkels Hermann (1628–1691), der ebenfalls im kaiserlichen Heer gedient hatte und 1682 zum Präsidenten des Hofkriegsrats aufgestiegen war. Damit saß er an zentraler Stelle, um Zugriff auf Gegenstände, Bücher und anderes zu erhalten, das durch den Kontakt mit dem osmanischen Reich in Europa greifbar wurde. Als er 1691 starb, hinterließ er seine Sammlungen, darunter auch zahlreiche Kriegstrophäen, seinem Neffen, wie Ernst Petrasch in seinen Ausführungen zur Karlsruher Türkenbeute 1991 beschrieb (S. 25f.). Von den Handschriften der Karlsruher Türkenbeute stammt also der größte Teil gar nicht direkt aus dem Besitz des berühmt gewordenen Türkenlouis, sondern aus dem Erbe seines Onkels. Auch ein anderer Onkel des Türkenlouis sowie vor allem Ludwigs Frau Sibylla Augusta von Sachsen-Lauenburg brachten Orientalia mit nach Rastatt.

Die Markgrafschaft Baden, die 1535 durch Erbteilung in zwei Territorien zerfallen war, wurde 1771 wiedervereinigt. Mangels männlicher Erben fiel der Besitz der Markgrafen von Baden-Baden, zu denen auch der Türkenlouis gehört hatte, an die Verwandtschaft von Baden-Durlach – einschließlich des beweglichen Inventars im Residenzschloss Rastatt. Die Turcica, die dort in der „Türkischen Kammer“ seit einiger Zeit wirksam präsentiert wurden, zogen endgültig erst 1859 nach Karlsruhe um, wie Ernst Petrasch in seinem Beitrag zur Geschichte der türkischen Trophäensammlung des Markgrafen Ludwig Wilhelm von Baden 1952 ausführte (S. 574–578).

Der Screenshot zeigt die Präsentation der großen Türkenbeute-Sammlung im Badischen Landesmuseum.

Präsentation der großen Türkenbeute-Sammlung im Badischen Landesmuseum

Allerdings wurden einzelne Teile von ihnen, darunter auch Handschriften, seit 1774 aus verschiedenen Anlässen einzeln nach Karlsruhe gebracht, wo sie dann meist verblieben. Doch auch aus dem Haus Baden-Durlach hatten mehrere Männer an den Türkenkriegen teilgenommen und entsprechende Beutestücke mit heimgebracht. Im noch recht neuen Residenzschloss in Karlsruhe wurden nun die Rastatter Handschriften mit den Handschriften aus der Durlacher Hofbibliothek zusammengestellt. Erst als die Karlsruher Hofbibliothek unter ihrem Direktor Wilhelm Brambach ab 1872 ihre Verwaltung zu modernisieren begann, versuchte man, die Handschriften wieder nach ihren ursprünglichen Provenienzen zu ordnen, also die eigentlich aus Rastatt kommenden von denen des Durlacher Hofs zu trennen.

Die „anderen“

In die Amtszeit Wilhelm Brambachs fällt auch der Beginn der Handschriftenkatalogisierung in der nunmehr verstaatlichten Hof- und Landesbibliothek in Karlsruhe. Ziel war die Publikation ausführlicher gedruckter Beschreibungen mit für diese Zeit sehr hohem Standard. Als einer der ersten Bände erschienen „Die orientalischen Handschriften“, beschrieben von Samuel Landauer (hebräische, arabische und persische) und Paul Horn (osmanische und andere) mit Ergänzungen von Seligmann Baer (zu verschiedenen Hebraica), alles namhafte Wissenschaftler und Kenner der Materie. Der Katalog erfasste auch die nicht direkt der Türkenbeute zuzuordnenden Handschriften, zeittypisch allerdings ohne sich mit der Provenienz zu befassen. Zu diesen „anderen“ Handschriften gehören mehrere Korane und Gebetbücher des 17. und 18. Jahrhunderts, teilweise auch jüngeren Datums, mit eher unscheinbarer Ausstattung. Auch eine Handschrift historischen Inhalts und verschiedene erbauliche Texte finden sich hier.

Die Abbildung zeigt die Beschreibung einer Handschrift von Jacob Jonas Björnståhl auf dem Vorsatzblatt von 1774.

Beschreibung der Handschrift von Jacob Jonas Björnståhl auf dem Vorsatzblatt, 1774. Badische Landesbibliothek, Cod. Durlach 142. – zum Digitalisat

Da sich das Forschungsinteresse der letzten Jahrzehnte meist auf die Türkenbeute konzentrierte – die neben den Büchern vor allem auch aus musealen Gegenständen besteht – blieben diese „anderen“ Handschriften weitgehend unbeachtet. Das war jedoch nicht immer so: Im 18. Jahrhundert etwa berichtete der schwedische Orientalist Jacob Jonas Björnståhl (1731–1779) von seinem Besuch in Karlsruhe im Winter 1773/1774 begeistert von den Stunden, die er in der dortigen Hofbibliothek verbrachte. Einige Stücke, die er dort gesehen hatte, erwähnte er besonders, darunter Cod. Durlach 37 und Cod. Durlach 142: Beide zählen heute nicht mehr zu den Türkenbeute-Handschriften. Obwohl Björnståhl auch von diesen einige zu sehen bekam, darunter die heutzutage aufgrund ihrer einzigartigen Bildausstattung wohl berühmteste (Cod. Rastatt 201), schienen sie ihm offenbar nicht gleichermaßen erwähnenswert.

Schein und Sein

Die Karlsruher Sammlung orientalischer Handschriften ist erstaunlich weit bekannt, obwohl sie so klein ist und größere Kriegsverluste erlitt. Die Bekanntheit bezieht sich heute im Wesentlichen allerdings nur auf einige Spitzenstücke und den Kontext der Feldzüge gegen die Osmanen. Dabei existieren die bis heute berühmtesten Stücke aus dieser Sammlung gar nicht mehr: Es sind jene schon 1892 zu einer Einheit zusammengefassten Dokumente eines regionalen osmanischen Verwaltungsarchivs, die den Zweiten Weltkrieg sämtlich nicht überlebten. Die kunstvolle Umverpackung dieser nicht mehr vorhandenen Schriftstücke jedoch existiert noch und weckt seit Jahrzehnten immer wieder neues Interesse bei Kunsthistorikern und Ausstellungskuratoren. Und so bleibt am Ende ein Kuriosum bestehen: Die kostbar gestalteten Briefbeutel und Brieftaschen, Non Book Material sozusagen, sind die am häufigsten nachgefragten Stücke aus der Sammlung orientalischer Handschriften der Badischen Landesbibliothek, obwohl ihr Inhalt verloren ging.

Die Abbildung zeigt einen Brokatbriefbeutel aus dem 17. Jahrhundert.

Brokatbriefbeutel, 17. Jahrhundert. Badische Landesbibliothek, Cod. Rastatt 230. – zum Digitalisat

Die Sammlung orientalischer Handschriften der Badischen Landesbibliothek birgt jedenfalls noch etliche offene Fragen. Diese tun sich vor allem jenseits der Stücke auf, die spätestens seit einer großen Ausstellung 1991 offiziell zur Karlsruher Türkenbeute gezählt werden. Denn für sie fehlen meist nicht nur neuere Forschungen, sondern weitestgehend auch jegliche Informationen zur Provenienz. Dies wiederum liegt ganz wesentlich an der Ausrichtung der Katalogbeschreibungen von 1892, die den Gepflogenheiten ihrer Zeit entsprechend auf die Provenienz kaum eingehen. Und so gibt es auch in einer kleinen Sammlung mit auf den ersten Blick wenig origineller Geschichte sicherlich noch Manches zu entdecken. Die im Lauf der Jahre 2022/2023 erfolgte Digitalisierung und die seit Kurzem online zu findende Erfassung der Sammlung im neuen Portal für orientalische Handschriften Qalamos wird dazu hoffentlich beitragen.

Literatur

 

Dieser Blogbeitrag ist ein Crossposting. Sie können diesen Text auch auf dem Qalamos-Blog einsehen.

Handschrift
Orient
Badische Landesbibliothek

Nicht unterstützter Web-Browser!

Ihr verwendeter Web-Browser ist veraltet und kann daher einige der modernen Funktionen der Webseite www.blb-karlsruhe.de nicht unterstützen.
Um diese Webseite nutzen zu können und sich sicher im Internet zu bewegen, verwenden Sie bitte einen der folgenden Web-Browser:

Mozilla inc., Firefox
Google inc., Chrome
Google inc., Chromium