Die RAF und die BLB

Julia von Hiller 23.11.2021 22.00 Uhr

DOI: https://doi.org/10.58019/yx0c-ab20

Am 7. April 1977, morgens auf der Fahrt zum Dienst am Bundesgerichtshof in Karlsruhe, wurde Generalbundesanwalt Siegfried Buback von RAF-Terroristen ermordet. Den Dienstwagen steuerte Bubacks Fahrer Wolfgang Göbel; außer Buback saß auch Georg Wurster, damals Leiter der Fahrbereitschaft der Bundesanwaltschaft, im Auto.

An der Kreuzung Linkenheimer Landstraße (heute Willy-Brandt-Allee) und Moltkestraße kam der Wagen an einer roten Ampel zum Stehen. Da hielt neben ihm ein Motorrad mit zwei Personen, die aus einem halbautomatischen Gewehr fünfzehn Schüsse auf die Insassen des Wagens abgaben; sie wurden alle drei tödlich getroffen. Nach dem Attentat rollte der Wagen auf abschüssiger Fahrbahn noch einige Meter weiter. Die Attentäter auf dem Motorrad flüchteten. Zu der Tat bekannte sich anschließend das „Kommando Ulrike Meinhof“ der Roten Armee Fraktion.

In der Badischen Landesbibliothek, damals noch im Pavillon-Bau am Nymphengarten, sagte die Bibliothekarin der Leihstelle zu Direktor Elmar Mittler: „Das war doch bestimmt der Günter Sonnenberg“. Und Direktor Mittler entnahm die Anmeldekarten des ermordeten Generalbundesanwalts und des tatverdächtigen Günter Sonnenberg aus der Benutzerkartei und überführte sie ins Bibliotheksarchiv. Denn wenn das stimmte, war klar: Die Badische Landesbibliothek hatte die Terroristen mit der Literatur versorgt, die sie zur Vorbereitung der Tat benötigt hatten.

Benutzerkarte des Studenten und RAF-Terroristen  Günter Sonnenberg

Benutzerkarte von Günter Sonnenberg als Benutzer der Badischen Landesbibliothek, ausgestellt am 5. April 1976

Günter Sonnenberg hatte sich am 5. April 1976 als Student zur Benutzung der Badischen Landesbibliothek angemeldet. Aus Karlsruhe gebürtig wohnte er Mitte der 1970er Jahre mit Adelheid Schulz, Christian Klar und Knut Folkerts –alle später als RAF-Terroristen verurteilt – in einer Karlsruher Wohngemeinschaft. Ob auch diese Mitbewohner Nutzer der BLB waren, wissen wir heute nicht mehr, denn der Zusammenhang der Personen war damals nicht evident und die gegebenenfalls damals existierenden Benutzerkarten sind nicht erhalten.

Im Rahmen der Service-Entwicklung hatte Direktor Mittler zu dieser Zeit die Sofortausleihe eingeführt, d.h. dass jede Bestellung auf den – damals noch vollständig magazinierten – Bestand in den Vormittagsstunden sofort ausgeführt wurde. Sobald die bestellten Bände aus dem Magazin eingetroffen waren und verbucht werden konnten, wurde der Name des Bestellers ausgerufen, alle ebenfalls auf ihre Bestellungen Wartenden konnten die Namen hören. Diesen Service haben die Terroristen nie in Anspruch genommen. Sie kamen stattdessen am Nachmittag, wenn die Bücher im Abholbereich der Leihstelle bereitgelegt waren und die Benutzer sich an den Abholschalter wenden mussten. Die dort tätige Bibliothekarin hatte bemerkt, dass der Student Sonnenberg regelmäßig kriminologische und kriminalistische Fachliteratur entlieh, etwa aus dem Lübecker Verlag für Polizeiliches Fachschrifttum.

Vier Wochen nach dem Buback-Attentat, am Morgen des 3. Mai 1977, geriet Günter Sonnenberg zusammen mit Verena Becker in Singen nahe der Schweizer Grenze in eine Polizeikontrolle, als sich beide in die Schweiz absetzen wollten. Sie eröffneten einen Schusswechsel mit der Polizei und versuchten in einem gekaperten Auto zu flüchten. Bei ihrer Festnahme wurde die Tatwaffe des Buback-Attentats sichergestellt. Vermutlich war es Sonnenberg, der das Motorrad fuhr, von dem aus das Buback-Attentat verübt wurde. Er hatte jedenfalls, wie sich herausstellte, das Motorrad gemietet. Im „Deutschen Herbst“ 1977 war Sonnenberg einer der Häftlinge, die durch die Entführung von Hanns Martin Schleyer freigepresst werden sollten. Im April 1978 wurde er zu zweimal lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, 1992 aus gesundheitlichen Gründen auf Bewährung entlassen.

Benutzerkarte von Siegfried Buback

Benutzerkarte von Siegfried Buback als Benutzer der Badischen Landesbibliothek, ausgestellt am 14. Juni 1976

Siegfried Bubacks BLB-Anmeldekarte wurde erst am 14. Juni 1976 ausgestellt. Vielleicht ist sie nicht die erste, denn Buback war schon seit 1963 an der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe tätig. Seit 1974 war er Generalbundesanwalt am Bundesgerichtshof und damit in höchster Verantwortung für die Strafverfolgung von Delikten gegen die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere also auch von terroristischen Gewalttaten.

Die Bundesanwaltschaft war bis 1998 räumlich mit untergebracht im ehemals Erbgroßherzoglichen Palais als dem Sitz des Bundesgerichtshofs, also direkt gegenüberliegend dem Bibliotheksgebäude im Nymphengarten – nur wenige Meter jenseits der Ritterstraße, an der beide Institutionen Anlieger waren. Für die Landesbibliothek war das eine durchaus gefährliche Nachbarschaft: In der Nacht des 25. August 1977 missglückte ein Sprengstoffanschlag der RAF auf die Bundesanwaltschaft, für den die Terroristen gewaltsam in eine Wohnung in der Häuserzeile an der Blumenstraße eingedrungen waren. Die Häuser wurden dann aus Sicherheitsgründen aufgekauft und leergezogen. Heute befindet sich an dieser Stelle der 2003 bezogene Neubau der Bibliothek des Bundesgerichtshofs. In der Nacht des versuchten Attentats war nur ein Bibliothekar in der Nähe: Elmar Mittler, der im Pavillonbau die neue Ausstellung „Alchymie und Heilkunst“ vorbereitete.

Die Ermordung Bubacks und seiner Mitarbeiter durch Mitglieder der Roten Armee Fraktion (RAF) war der Auftakt des Terrorjahres 1977, dem im Herbst die Ermordung Hanns Martin Schleyers, die Entführung des Lufthansa-Flugzeugs Landshut und die Selbstmorde der inhaftierten Anführer der ersten RAF-Generation im Gefängnis von Stammheim folgten.

***

Die originalen Anmeldekarten von Siegfried Buback und Günter Sonnenberg sind in der aktuellen Ausstellung 250 Jahre ÖFFENTLICH zu sehen, die Ihrer Aufmerksamkeit empfohlen sei - wenn nicht vor Ort, dann virtuell

Buback, Siegfried
Mord
Sonnenberg, Günter
Rote-Armee-Fraktion
Badische Landesbibliothek
Ausweiskarte

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