Zwischenzonen
Für die Ausstellung MultiMediale 2 des ZKM | Zentrum für Kunst und Medien entstand 1991 das multimediale Werk Zwischenzonen. Zeichen – Szenen – Zustände, das Tanz, Sprache, Video, Musik und vorproduzierte Klang-Samples zu einer interdisziplinären, interaktiven „musiktheatralischen Aktion“ verbindet.
Joachim Krebs geht es hier darum, den weiten Raum des ‚Dazwischen‛ zu erobern: nicht nur den Raum zwischen verschiedenen Medien bzw. Kunstformen, sondern auch andere Räume wie den zwischen Natur und Technik oder zwischen Individuellem und Allgemeingültigem.
Überhaupt ist sein Schaffen ‚umfassend‛ im besten Sinne: niemals unpolitisch, immer von hohem künstlerischen Anspruch wie auch von Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Umwelt gekennzeichnet. Das Streben nach dem ‚Universellen‛, nach einer gelungenen Synthese zwischen scheinbaren Gegensätzen, führte ab den 1990er-Jahren zum einen zu einer immer größeren Vermischung und Durchdringung verschiedener Künste zugunsten von neuen multimedialen Präsentationsformen. Zum anderen führte es aber auch zu veränderten Vorgehensweisen beim Komponieren: Statt (nur) eigene, also ‚subjektive‘ Motive, Melodien, Themen, Klänge zu erfinden, greift Joachim Krebs nun auch auf ‚objektive‛ Aufnahmen aus seiner Umwelt zurück – es entsteht ein großes Archiv von aufgenommenen Klang-Samples, die dem Komponisten als objektivierte Materialbasis dienen.
Freilich werden die aufgezeichneten Klänge von Joachim Krebs dann wieder auf höchst subjektive Art und Weise eingesetzt: Die Samples werden durch Beschleunigung, Verzögerung, Umkehr, Fragmentierung oder (Re)kombination verfremdet und bearbeitet. Was das Mikroskop an der sichtbaren Welt aufdecken kann, versucht Joachim Krebs auch in Bezug auf die hörbare Welt offenzulegen – Summa seines bisherigen Schaffens und Ausgangspunkt der späteren „EndoMikroSonoSkopie“.
Zwischenzonen – Notizen (undatiert, vor 1990/91)
Blatt mit Bleistift-Notizen
Für das Werk Zwischenzonen, mit dem Joachim Krebs in audiovisuelle Bereiche vorstößt, kombiniert er klassische Instrumente mit Gesang, Tanz, Schauspiel und Video. Der Name Zwischenzonen ist Programm: das auf der Grenze zwischen traditionellen Kunstformen angesiedelte Werk macht die „Dialektik zwischen Text – Bild – Aktion – Tanz“ deutlich, lässt Gegensätze zwischen Linie | Geräusch, Bewegung | Musik, Gebärde | Wort nachvollziehbar werden. Die ausgewählten Klangsamples, die vom Band eingespielt werden, haben zum Teil politischen Inhalt und setzen sich u.a. mit dem Erlebnis des Kalten Krieges auseinander. Aus der Verschmelzung unterschiedlicher Kunstformen entsteht eine ganz neue und innovative Art von Musiktheater.
Badische Landesbibliothek, K 3353, A 46
↑Zwischenzonen (1990/91)
Blatt mit Notizen (undatiert)
Die neuartige Konzeption dieses Werks erfordert auch eine neuartige Raum / Zeit-Disposition. Sowohl die Aufstellung aller Mitwirkenden, als auch deren (gleichzeitiges) Agieren muss minutiös durchgeplant werden. Dies geschieht schon im Vorfeld durch ausführliche Skizzen mit den gewünschten Aufstellungen der Instrumentalisten, Tänzer, Sprecher, die auf der Basis einer gemeinsamen, durch Sekundenangaben gesteuerten Partitur vor zwei Video-Wänden agieren. Aus dem Zusammenwirken der verschiedenen Beteiligten entsteht im Vergleich zu früheren Werken ein ‚Untergrund‘ aus mehr oder weniger oszillierenden Grundklängen, aus denen sich einzelne (Wort- und Klang-)Ereignisse hervorheben, z.B. einzelne Wörter des gesprochenen Textes.
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↑Zwischenzonen (1990/91)
Notenblatt mit Tonumfängen der Klarinettenfamilie
Auf einem gesonderten Blatt Notenpapier notierte Joachim Krebs sich die Tonumfänge der einzelnen Instrumente der Klarinettenfamilie (von Kontrabass- bis As-Klarinette). Die Umfänge der jeweiligen Instrumente wurden auch in einer aufsteigenden Tonskala eingezeichnet. Dies zeigt exemplarisch, wie planvoll der Komponist bei der Konzeption neuer Werke vorging und wie wenig er dem Zufall überließ. Ähnlich wie schon bei der Fassung von Rhizom II für sechs Schlagzeuger besteht ein großer Teil des ‚Komponierens‘ konkret in der Steuerung komplex überlagerter Prozesse und Abläufe: Wer von den Mitwirkenden übernimmt wann welche Aufgabe? Welches Material benötigt er dafür? Welches Instrument? An welchem Ort im Raum?
Badische Landesbibliothek, K 3353, A 46
↑Zwischenzonen (1990/91)
Grafik zu gleichzeitigen Abläufen auf Millimeterpapier
Um das Zusammenwirken von gesprochenem Text, getanzten Gebärden, klingender Partitur, bestimmten Lichtwirkungen sowie vorab produziertem Video zu steuern, sind sekundengenaue Gesamtpläne nötig: Geregelt wird hier jedes kleinste Detail, u.a. welche Stimmung den jeweiligen Formteil prägt und wann sich welcher Tänzer umzuziehen hat. Für Zustände finden sich etwa Angaben wie „Melancholie des Verschwindens“, „Sehnsucht nach Heimat“ oder „Hoffnung als utopischer Funke“ – innere Bilder und Vorstellungen, die über reine Spielanweisungen hinausgehen und den gewünschten innerlich-psychologischen Zustand (des Interpreten?, des Publikums?) umreißen.
Auf der rechten Seite ist eine Skizze der Bühneneinrichtung abgebildet.
Badische Landesbibliothek, K 3353, A 46
↑Zwischenzonen (1990/91)
Handschriftliches Titelblatt der Partitur
Bereits die Liste der Mitwirkenden von Zwischenzonen – Instrumentalstimmen, Tänzer, Video, Sampleklänge – zeigt die im Vergleich zu früheren Werken deutlich gestiegene Komplexität: Es geht hier um die Verbindung verschiedener Künste bzw. um den Raum zwischen den Künsten, der interaktiv mit (Bühnen)aktion ausgefüllt werden soll. Textgrundlage bildeten Abschnitte und Verse aus Werken von Antonín Artaud, William S. Burroughs, Michel Foucault, Rolf Dieter Brinkmann, Uwe von Trotha (ehemaliger Sänger der Band Checkpoint Charlie) sowie Yvan Goll (der auch die Gedichte für Traumkraut verfasste). Die einzelnen Stellen ordnete Joachim Krebs nach Art einer Textcollage zu einem neuen, in sich stimmigen Ganzen an.
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↑Zwischenzonen (1990/91)
Ausschnitt aus der Partitur der Sprecher
Dieses Blatt aus der Partitur der beiden Sprecher zeigt, wie die Steuerung der verschiedenen gleichzeitig verlaufenden Prozesse im Detail erfolgte: Eine in jeweils 15-sekündige Abschnitte aufgeteilte ‚Partitur‘ regelt das abwechselnde Wirken von Sänger und Sprecher; Sekundenangaben ermöglichen es, die zeitlich fixe Videoinstallation und den freien Tanz mit den Instrumentalstimmen zu koordinieren. Ähnlich wie frühere Werke scheinen auch die Zwischenzonen eine Idee der Zeitdehnung zu verfolgen – überhaupt scheint dies charakteristisch für Joachim Krebs’ Musik zu sein, unabhängig davon, ob diese von Minimal Music oder Gilles Deleuzes Rhizom-Philosophie beeinflusst ist.
Badische Landesbibliothek, K 3353, A 46
↑Zwischenzonen (1990/91)
Skizze zur Instrumentalpartitur (undatiert)
Auch die Instrumentalisten brauchen ergänzende Angaben zum restlichen Geschehen innerhalb des Gesamtwerks. Bereits in der Skizze werden daher sowohl die Texte der Sprecher als auch die genauen Sekundenangaben eingetragen, etwa in der Mitte des Blattes: „Was ich einmal war, ist rücklaufende Tonspur – spritzende Bilder, stürzende Wörter, schreiende Körper…“. Allein die Zusammenstellung dieser Metaphern zeigt, wie sehr sich Joachim Krebs in Zwischenzonen auch als Grenzgänger zwischen den Künsten verstand, der eben deren als ‚fließend‘ verstandene Grenzen aufheben – oder besser: Synergieeffekte an Reibungspunkten zwischen deren scheinbaren Grenzen sicht- und hörbar machen wollte. Aus der Verbindung der Einzelteile entsteht dann eine neue Art Musiktheater.
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↑Zwischenzonen (1990/91)
Erste Seite der Partitur (Transparentpapier)
Ähnlich wie die Sprengung der konventionellen Gattungsgrenzen insgesamt, so zeigt auch die Partitur für die Klarinettisten und Violoncelli ungewöhnliche Eintragungen, die sich in dieser Form in traditionellen Partituren selten finden lassen dürften: Festgelegt ist nämlich am Beginn der jeweiligen Notenzeile nicht nur das Instrument selbst, sondern auch das Geschlecht des Spielers / der Spielerin. Mit dieser ungewöhnlichen Kennzeichnung setzt Joachim Krebs eine Idee grafisch um, die auch seine Zusammenarbeit mit Sabine Schäfer als Künstlerpaar <SA/JO> prägte: die Überzeugung, dass Mann und Frau gemeinsam eine höhere Einheit bilden – eine Idee, die bereits bei den Mitwirkenden der Zwischenzonen konsequent umgesetzt wird.
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↑Zwischenzonen (1990/91)
Seite der Instrumentalpartitur (Transparentpapier)
Gezeigt wird hier die gleiche Stelle – Minute 9 bis 12 – wie in der auf Millimeterpapier notierten Grafik, nun in der Partitur der vier Instrumentalist(inn)en. Über dem Notentext sieht man die Sekundenangaben, die alle Mitwirkenden benötigen, um zur gemeinsamen musiktheatralischen Aktion zu gelangen. Am Ende der Seite findet sich noch die Anweisung „nimmt Baßklarinette in B“, ein weiterer Hinweis darauf, wie viele Einzelereignisse der Komponist im Blick haben musste, um das komplexe Klang- und Bühnengeschehen mittels detaillierter Verlaufspläne zu koordinieren und zu steuern. Insgesamt ergeben die drei Teile mit ihrer Überlagerung verschiedener Medien genau 36 Minuten (jeweils zwölf Minuten).
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↑Zwischenzonen (1990/91)
Notizzettel mit Anweisungen zur Koordination der Tänzer
Wie der Rest des Stücks wurde auch die Performance der Tänzer(innen) über Minutenangaben gesteuert. Dabei sind die Anweisungen für die Mitwirkenden eher vage beschreibend (etwa „weggeworfener Körper“ oder „Gesicht Kopf Melancholie“) und geben eher mentale Vorstellungen wider als konkrete Bewegungsmuster. Wie aus der Beschriftung der beiden Spalten „L“ (links) und „R“ (rechts) auf dem Notizzettel hervorgeht, wünschte sich Joachim Krebs auch für die Ebene Tanz einen männlichen Tänzer und eine weibliche Tänzerin, um den in Zwischenzonen als Idealzustand intendierten Dualismus männlich–weiblich bei allen Mitwirkenden real umzusetzen. Bei der Uraufführung übernahmen zwei Frauen die Tanz-Partien.
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↑Zwischenzonen (1990/91)
Notizzettel mit Anweisungen für Mixer und Video-Samples
Auch die Tonspur des Zuspielbandes muss minutiös gesteuert und an das restliche Geschehen angepasst werden. Hierfür fertigte Joachim Krebs ebenfalls Verlaufspläne und Karten an, u.a. auf kleinen Notizzetteln wie dem hier gezeigten. Wir sehen hier Anmerkungen zum Mischpult, mit dem Joachim Krebs die Samples ansteuerte. Die Angabe 1–13, 17–29 und 33–45 bezeichnet die Nummerierung der Samples, die geteilt („Split“) auf der Tastatur angesteuert wurden. „Original ohne Loop“ meint die Originaltonhöhe des Klangs ohne Wiederholungsschleife. „Mit Loop“ bedeutet, der Klang wird mit Wiederholungsschleife widergegeben. Bei „2 Oktaven tiefer“ wird der Klang um 24 Halbtonschritte tiefer transportiert abgespielt.
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↑Zwischenzonen (1990/91)
Selbstgefertigte Schablone als Aufsatz für das Mischpult MACKIE.24x8
Wegen der besseren Übersicht während der Aufführung am Mischpult wurden von Joachim Krebs beschriftete und zusammengeklebte Schablonen auf die Schieberegler des Mixers gelegt, so dass er wusste, welcher Regler mit welchem Sound belegt war. Die Bandbreite der gewählten Samples umfasst Klänge von Hammond-Orgeln ebenso wie Ausschnitte aus Pop- und Rockmusik (etwa von Leonard Cohen) und eine Vielzahl von Geräuschen (etwa „Flugzeug“, „Webstuhl“ oder „Bremsen“). Der Sampler war vor Ort an den Mixer angeschlossen und wurde von Krebs über eine Tastatur live angesteuert. Man sieht dies an den Notizen zur Ansteuerung einzelner Tasten („C3“, „C2“, ganz unten „keine Einzeltasten“).
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↑Zwischenzonen (1990/91)
Video-Still der Uraufführung
Die multimediale Uraufführung des Werks fand schließlich am 31. Mai 1991 im Konzerthaus Karlsruhe im Rahmen der 2. Multimediale des ZKM statt. Auf dem Video-Still zur Dokumentation dieser Produktion ist die Bühnenanordnung zu sehen: Im Vordergrund vor den beiden Videowänden sind die beiden Tänzerinnen Kristina van Eyck (links) und Jutta Keller (rechts) zu sehen, in der Mitte der Sänger Rupert Volz („Rupi“) und rechts daneben der Sprecher Uwe von Trotha (ehemaliges Bandmitglied von Checkpoint Charlie). Hinter Sänger und Sprecher sind die beiden Instrumental-Duos aufgestellt: Beate Zelinsky und David Smyers (Klarinetten-Duo) sowie Biruta Alle und Michael Bach (Cello-Duo).
Badische Landesbibliothek, K 3353, A 46
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