Sprichwörtlich!

Fabeln, Redewendungen und Symbole

Tiere, die wie Menschen handeln und so zur Projektionsfläche menschlichen Verhaltens werden, finden sich besonders prominent in Fabeln. Hier dienen die Tiere zur Abstraktion. Die Tiergeschichten der Fabeln geben Beobachtungen in der menschlichen Gesellschaft wieder, ohne sie dabei direkt zu benennen. Gleichzeitig werden Zuschreibungen tierischer Eigenschaften aus Fabeln zurückprojiziert in die menschliche Sphäre. So erreichen Tiere manchmal sogar sprichwörtlichen Status: Vom „schlauen Fuchs“ über das „hässliche Entlein“ bis zur „lahmen Schnecke“ ist die menschliche Sprache nicht nur im Deutschen voller Tierbilder. Dabei können sich die Zuschreibungen und Konnotationen zwischen Ländern und Kulturkreisen durchaus unterscheiden. Was dem Westeuropäer die „dumme Kuh“, ist dem Hindu lebensspendend und heilig. Und während für uns die Haupteigenschaft des Haushundes die Treue zu sein scheint, kennt das Sprichwort ihn hauptsächlich als „dummen Hund“ oder als Negativbeispiel wie in „Hundejahre“ oder „Hundeleben“.

Dieser sprichwörtliche, zuweilen symbolhafte Charakter von Tieren wird immer wieder auch in der Karikatur genutzt. Dabei wirkt nicht nur, wie bei der Fabel, der Verfremdungseffekt, um eigentlich menschliches Verhalten durch Tiere zu verdeutlichen. Auch die häufig symbolhaften Kennzeichen tragen zum Gehalt solcher Bilddarstellungen bei und werden auch in Graphic Novels verwendet. Nicht zuletzt in den Karnevalstraditionen zeigt sich, wie fruchtbar dem Menschen das Tier als Projektionsfläche seit Jahrtausenden ist: In Tiermasken und Tierkostümen macht der Mensch sich tierische Attribute zu eigen, um die eigene Identität zu verändern.

Äsop – Appologi sive mythologi

Basel: Jacobus de Phortzheim, 1501
Badische Landesbibliothek, 42 B 301 RH

Geschichten von Tieren mit menschlichen Zügen, die wie Menschen handeln und so menschliche Schwächen und Verhaltensweisen sichtbar machen, gab es schon in sumerischer Zeit. Als Urvater der europäischen Fabel aber gilt der antike griechische Dichter Äsop, den es historisch vielleicht nie gegeben hat. Ihm werden zahlreiche Tierfabeln zugeschrieben. Manche von ihnen sind noch heute sprichwörtlich („sich mit fremden Federn schmücken“). Äsop wird bis heute viel gelesen. Die hier gezeigte großformatige Ausgabe mit qualitativ hochwertigen Holzschnitten gehörte einst dem Benediktinerkloster auf der Reichenau: Auch dort las man die heidnischen Erzählungen.

Alain-Marie Bassy – Les fables de La Fontaine: quatre siècles d’illustration

Paris: Promodis, 1986
Badische Landesbibliothek, 88 B 613

Eine der bekanntesten späteren Bearbeitungen der Fabeln Äsops verfasste Jean de La Fontaine (1621–1695). Zuerst veröffentlicht im Jahr 1668, erweiterte und ergänzte er die antiken Vorlagen so stark um andere Elemente, dass seine Fabeln heute als eigenständiges Werk gelten. Ihr Dichter gehört in Frankreich zu den großen Namen der Literatur. La Fontaines Umsetzung der Geschichten in relativ kurze Versgedichte, die sich leicht merken lassen, wurde ihrerseits wiederum in viele andere Sprachen übertragen. Sie regten, ähnlich wie Äsop, im Lauf der Zeit zahlreiche Künstler zu Illustrationen in ganz unterschiedlichen Stilen an.

Johann Wolfgang von Goethe – Reineke Fuchs

ill. von Wilhelm von Kaulbach
Stuttgart: Cotta, 1846
Badische Landesbibliothek, 65 B 414

Im deutschsprachigen Raum ist unter den Tiergeschichten die Erzählung von Reineke Fuchs besonders bekannt. Zuerst als mittelalterliches Epos schriftlich überliefert, fand es seit der Erfindung des Buchdrucks weite Verbreitung und zahlreiche Bearbeiter. Der berühmteste unter ihnen ist wahrscheinlich Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832). Er machte 1793/1794 aus der Volkserzählung vom schlauen Fuchs, der durch geschicktes Lügen trotz all seiner Missetaten am Ende als Sieger dasteht, ein Versepos in Hexametern.

Wilhelm Schröder – Het Wettloopen tüschen den Haasen un den Swinegel up der Buxtehuder Heid

ill. von Gustav Süs
Düsseldorf: Breidenbach, um 1855
Badische Landesbibliothek, 91 A 75022 RK

Das ungleiche Wettrennen zwischen dem Hasen und dem Igel ist eine weit verbreitete Erzählung besonders im niederdeutschen Raum. Sie fand Eingang in die Sammlung der Brüder Grimm, das Motiv ist aber viel älter. Wettläufe zwischen einem schnellen und einem langsamen Tier sind schon bei Äsop zu finden (dort sind es Hase und Schildkröte). Die Kernaussage ist immer gleich: Der Schwache kann gegen den Starken gewinnen, obwohl er eigentlich chancenlos ist – entweder durch List, oder weil der Hochmut des Starken diesem zum Verhängnis wird.

Jean-Pierre Claris de Florian – Fables choisies

Paris: Marpon & Flammarion, 1896
Badische Landesbibliothek, 63 B 336 R

Der französische Dichter Jean-Pierre de Florian (1755–1794) verfasste neben recht erfolgreichen Theaterstücken vor allem eine Fabelsammlung, veröffentlicht 1792. Mit ihr reihte er sich in die Tradition La Fontaines ein. Hier sind sie in einer ganz besonderen Ausgabe zusammengestellt, nämlich geschmückt mit Illustrationen aus der Sammlung des Franzosen Pierre Barboutau (1862–1916). Er war für seine einzigartige Sammlung japanischer Kunst bekannt. Der Katalog zu seiner Sammlung wurde zum Referenzwerk für japanische Drucke, Bilder und Zeichnungen. Barboutau gab mehrere Fabelsammlungen heraus, die er mit Bildern seiner Sammlung illustrieren ließ.

Jill S. Cowen – Kalila wa-Dimna

New York: OUP, 1989
Badische Landesbibliothek, 90 B 51152

Eine äußerst wirkmächtige Sammlung von Tiergeschichten, das Panchatantra, erhielt um 300 n. Chr. seine heutige dichterische Form. Bereits am Ende des 6. Jahrhunderts wurden diese Fabeln und Märchen aus dem Sanskrit ins Persische übersetzt, dann ins Arabische und ins Syrische. Unter dem arabischen Titel Kalila wa-Dimna („Kalila und Dimna“) wurde der Stoff schon im Mittelalter auch in Westeuropa bekannt. Ersten Übersetzungen ins Griechische folgten Versionen in verschiedenen anderen Sprachen wie Kirchenslawisch, Altspanisch, Hebräisch und schließlich auch Latein. Noch bis ins 18. Jahrhundert entstanden immer wieder neue Übersetzungen des Textes.

Georg Rollenhagen – Sinnreicher Froschmäuseler, vorstellend der Frösche und Mäuse wunderbahre Hoffhaltung

Frankfurt / Leipzig, 1730
Badische Landesbibliothek, 66 A 221

Nach antiker griechischer Vorlage entstand 1595 der Froschmeuseler von Georg Rollenhagen (1542–1609). Das Werk erzählt von einem verheerenden Krieg zwischen Fröschen und Mäusen, ausgelöst durch einen unglücklichen Unfall. Die Schwierigkeiten von Krieg und Frieden werden mittels Tierallegorien satirisch beleuchtet. In mancher Hinsicht erinnert die Geschichte an George Orwells Farm der Tiere und wurde in ähnlicher Weise zu einem moralisierenden Standardwerk seiner Zeit. Der Autor veröffentlichte die meisten seiner Werke unter Pseudonym. Im Alltag arbeitete er als Schulrektor in Magdeburg.

Mäuse-Karikatur – Der Albtalbote, 18.3.1932

Badische Landesbibliothek, ZE 163 00

Als der österreichische Zeichner Rolf Winkler(1884–1942) im März 1932 die politische Diskussion in Europa karikierte, stellte er die europäischen Staaten als Mäuse dar. Ihnen hält der damalige französische Premier- und Außenminister André Tardieu (1876–1945) die Aussicht auf finanzielle Unterstützung als Speck hin, um sie zur Gründung eines Bundes der Donauländer zu motivieren. Ein solcher Bund wäre dem Interesse Frankreichs, den Wiederaufstieg Deutschlands zur europäischen Großmacht zu verhindern, sehr entgegen gekommen. Der durchaus hellsichtige Plan wurde jedoch nicht umgesetzt – und das Deutsche Reich avancierte wenig später durch aggressive Expansion zur stärksten Großmacht auf dem Kontinent.

Art Spiegelman – Maus II: Und hier begann mein Unglück

Reinbek: Rowohlt, 1992
Badische Landesbibliothek, 89 A 11578,2

Tiere dienten auch dem amerikanischem Zeichner Art Spiegelman (geb. 1948) dazu, verschiedene Gruppen von Menschen darzustellen. Bei seiner berühmten Verarbeitung der Holocaust-Biografie seiner polnisch-jüdischen Eltern werden Juden zu Mäusen, Deutsche zu Katzen, Polen zu Schweinen, Franzosen zu Fröschen oder Amerikaner zu Hunden. Diese Zuordnungen sind nicht ganz zufällig gewählt. So knüpfen die Mäuse nicht nur an das Kräfteverhältnis zwischen Mäusen und Katzen an, sondern auch an NS-Formulierungen von „jüdischem Ungeziefer“; „Frogs“ ist eine umgangssprachliche englische Bezeichnung für die Franzosen („Froschfresser“); und so weiter.

Stundenbuch

Handschrift auf Pergament
15. Jahrhundert
Badische Landesbibliothek, Cod. Karlsruhe 1271

Tiere als Symbole für Personen treten prominent auch in der christlichen Ikonographie auf, vor allem als Begleitsymbol für die vier Evangelisten. Basierend auf alttestamentlichen Zitaten, wurde diese Zuordnung zur Zeit der Kirchenväter Irenäus (um 135–um 200) und Hieronymus (um 348–420) gefestigt. Damals benötigte man sie als Erklärung für die Festlegung auf nur vier Evangelien. Die Symbole – Löwe, Stier, Mensch und Adler – wurden über die Jahrhunderte allerdings unterschiedlich gedeutet und nicht immer denselben Evangelisten zugeordnet. Irenäus und Hieronymus bezogen sie auf den je unterschiedlichen Charakter der vier Evangelien (zum Digitalisat).

Michael Ende – Die unendliche Geschichte

Stuttgart: Thienemann, 251994
Badische Landesbibliothek, 95 A 50951

Tiersymbolik begegnet uns an vielen Stellen in der Literatur und im Alltagsleben. Bestimmte Tiere sind dabei besonders auffällig, etwa die Schildkröte. Je nach Kontext steht sie für Langsamkeit, gepaart mit Beharrlichkeit, oder auch für Weisheit. Dies gründet auf dem hohen Alter, das Schildkröten erreichen; dabei weisen sie eine scheinbar unerschütterliche Gelassenheit auf. Dass diese Kombination nicht immer nur positiv sein muss, beweist die „Uralte Morla“ in der Unendlichen Geschichte: Sie ist zwar alt und weise, aber auch äußerst übellaunig, wenig hilfsbereit und nicht sehr interessiert am Schicksal der Welt. Damit unterscheidet sie sich deutlich etwa von der Schildkröte Kassiopeia in Momo.

Friedrich Justin Bertuch Bilderbuch für Kinder, Band 2,1

Rumburg: Bohmann, 1807
Badische Landesbibliothek, 121 E 3210 RK

Fabelwesen mit tierischen Merkmalen werden gerne symbolisch verwendet. So steht die Sphinx, ein Wesen aus Löwenkörper und Menschenkopf, für das Rätselhafte, Undurchschaubare. Diese Eigenschaften verweisen auf die mythische Sphinx von Theben, die allen Vorbeikommenden Rätsel stellt und sie bei falscher Antwort tötet. Der Zentaur, halb Mensch und halb Pferd, steht meist für große medizinische Kenntnisse, aber auch insgesamt für Weisheit. Diese Verbindung kommt vermutlich aus der griechischen Antike und vom Mythos um Cheiron, Arzt und Lehrer vieler großer Helden.

Hans Christian Andersen / Anne Heseler – Das hässliche Entlein

Münster: Coppenrath, 1984
Badische Landesbibliothek, 116 F 2232

Auch aus rein literarischen Schöpfungen sind Tiere in Sprichwörter und damit in die Sphäre des Symbolischen übergegangen. Man denkt bei dem geflügelten Wort vom „hässlichen Entlein“ nicht unbedingt sofort an Hans Christian Andersen und sein Kunstmärchen. Dennoch ist es, in Westeuropa ein feststehender Begriff, in der Bedeutung verwandt dem pflanzlichen Bild des Mauerblümchens. Mit dem Motiv des Außenseiters, der seinen Platz in der Welt nur langsam findet, können sich viele Menschen leicht identifizieren. So verwundert es nicht, dass gerade dieses Märchen zu immer neuen künstlerischen Umsetzungen anregt.

Bruno P. Kremer / Klaus Richarz – Wer lässt die Katze aus dem Sack? Redensarten über Tiere und Pflanzen und was dahinter steckt

Stuttgart: Kosmos, 2006
Badische Landesbibliothek, 106 A 9396

Vitus B. Dröscher Sie turteln wie die Tauben

ill. von Wolf-Rüdiger Marunde
Hamburg: Rasch u. Röhring, 1988
Badische Landesbibliothek, 88 A 14374

Redensarten, teils sogar nur zu einzelnen Tieren, füllen ganze Bücher. Meistens besteht die Verbindung zwischen einer Redewendung und ihrer Bedeutung in einer Eigenschaft, die dem jeweiligen Tier zugeschrieben wird, oder in einer typischen Verhaltensweise – etwa dem Balzritual der der Tauben, dem Turteln.

Gutes ist am besten gleich getan. 100 Sprichwörter aus Japan

Kalligraphien von Suiko Simon
Berlin: Edition q, 1992
Badische Landesbibliothek, 93 A 10326

In den meisten Sprachen der Welt werden zahlreiche Tiere in Redewendungen oder Sprichwörtern verarbeitet. Dabei treten je nach den geografischen Gegebenheiten unterschiedliche Tiere in Erscheinung. Der Tiger beispielsweise kommt im Deutschen kaum vor – es gibt ihn in Europa schließlich seit Jahrtausenden nicht mehr in freier Wildbahn. In Asien dagegen, wo er bis heute heimisch ist, erscheint er auch sprachlich immer wieder. Ähnliche Beobachtungen treffen für andere Erdteile, Klimazonen und die dazugehörigen Sprachen zu.

Karl Lambrecht – Fasnet im Landkreis Rottweil

Rottweil: Archiv- und Kulturamt, 1992/1998
Badische Landesbibliothek, 92 K 1141 / 98 A 51669

Tierkostüme knüpfen meist an bestimmte den Tieren zugeschriebene Eigenschaften an. Man kann sie in allen Faschingstraditionen weltweit beobachten. Tiermasken finden sich auch bei sogenannten „Naturvölkern“. Die Eulenmaske (oder: Larve) ist Teil des Kostüms der Eulenzunft Seelbach (bei Lahr). Vergleichbare Traditionen gibt es beispielsweise in Sulzbach (Narrengesellschaft Hooriger Hund) oder Hardt (Katzenzunft).

Adalbert Stiegeler – Fasnachtslarve

Grafenhausen, ca. 1990 (?)
Privatbesitz

 

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