Die Karlsruher Komponistin Margarete Schweikert im Jahr 1923

Brigitte Knödler-Kagoshima 6.12.2023 18 Uhr

DOI: https://doi.org/10.58019/cgw2-6009

Margarete Schweikert (1887–1957) war eine Violinistin, Musikpädagogin und Komponistin aus Karlsruhe. Ihr musikalisches Schaffen umfasst etwa 160 Lieder, mehrere Stücke für Klavier und Orgel sowie kammermusikalische Werke. Als Musikerin trat sie in zahlreichen Konzerten im südwestdeutschen Raum auf, sowohl mit ihren eigenen Kompositionen als auch mit Stücken anderer Komponisten. Darüber hinaus war sie als Kritikerin für die Karlsruher Presse tätig und schrieb Rezensionen über Konzerte und Opernaufführungen. Seit 2004 wird der musikalische Nachlass von Margarete Schweikert in der Badischen Landesbibliothek aufbewahrt.

Das Foto zeigt Margarete Schweikert mit Geige in den 1920er-Jahren.

Margarete Schweikert in den 1920er-Jahren. Badische Landesbibliothek, Mus. Hs. 1418a,73. – zum Nachweis

Welche Ereignisse bestimmten das Leben von Margarete Schweikert vor genau 100 Jahren – also im Jahr 1923? Das Jahr 1923 wird als eines der „Katastrophenjahre“ in der deutschen Geschichte betrachtet, das von zahlreichen Herausforderungen und Krisen geprägt war: Französische und belgische Truppen marschierten ins Ruhrgebiet ein, die Inflation erreichte enorme Ausmaße, rechte und linke Extremisten bedrohten die Republik und das politische System war dem Zusammenbruch nahe (vgl. hierzu auch die Blogbeiträge von Gerrit Heim zur Hyperinflation und von Michael Fischer zum Oberbadischen Aufstand – beide Ereignisse datieren ebenfalls ins Jahr 1923).

Ruhrkrise

Das Jahr 1923 begann mit der Ruhrkrise: Am 11. Januar marschierten französische und belgische Truppen ins Ruhrgebiet ein. Als Grund wurde angegeben, dass Deutschland seine Zusagen zu den vereinbarten Sachlieferungen zum Wiederaufbau der im Ersten Weltkrieg zerstörten Gebiete in Frankreich und Belgien nicht rechtzeitig erfüllt hatte. Diese Besetzung löste in Deutschland eine landesweite Empörung aus, und unter Reichskanzler Wilhelm Cuno entwickelte sich „passiver Widerstand“ gegen die Besatzung.

Während dieser Zeit übernahm der Staat die Lohnzahlungen im Ruhrgebiet, was dazu führte, dass die Regierung mehr Geld drucken ließ. Jedoch war dieses Vorgehen nicht auf Dauer aufrechtzuerhalten, da sich die Wirtschaftskrise verschärfte und Inflation, Produktions- und Steuerausfälle den finanziellen Haushalt Deutschlands stark belasteten. Schließlich sah sich der neu ernannte Reichskanzler Gustav Stresemann gezwungen, den passiven Widerstand zu beenden. Daraufhin wurden die Reparationszahlungen Deutschlands an die Siegermächte des Ersten Weltkrieges neu geregelt. Gemäß dem im Jahr 1924 verabschiedeten Dawes-Plan endete die Besetzung des Ruhrgebiets im Juli/August 1925.

Konzerte, Verlobung und Heirat von Margarete Schweikert

Inmitten einer Zeit, die von innen- und außenpolitischen Konflikten, Inflation und wirtschaftlichem Rückgang geprägt war, organisierte Margarete Schweikert in der elterlichen Wohnung in der Douglasstraße 7 in Karlsruhe eine eigene Kammermusikreihe. Bei diesen Veranstaltungen trat sie in der Regel selbst mit anderen Musikern und Musikerinnen aus Karlsruhe auf. Gelegentlich präsentierte sie dabei auch ihre eigenen Kompositionen. Beim fünften Kammermusikkonzert, das am 12. Februar 1923 stattfand, traten neben Margarete Schweikert selbst auch die Mitglieder des Landestheaters Lothar Lessig (Bariton), Konzertmeister Ottomar Voigt (Violine) und Kammermusiker Hugo Lüthje (Bratsche) auf. Das Karlsruher Tagblatt Nr. 45 vom 15. Februar 1923 berichtete darüber in der Rubrik „Theater und Musik“:

„Auch das fünfte Kammerkonzert, das Margarete Schweikert in ihrer Wohnung veranstaltete, zeichnete sich wieder durch ein interessantes Programm aus. Es brachte ausnahmslos in Karlsruhe noch nicht gehörte Werke. [...] Zwischen den Streicherwerken sang Lothar Lessig, dessen ungewöhnlich schöner, farbenreicher und ausdrucksfähiger Stimme zu lauschen stets ein besonderer Genuß ist, acht neue Lieder von Margarete Schweikert. Diese findet sich nun immer mehr zu einem absolut eigenen Stil, der sich in der Eindringlichkeit und Großzügigkeit der Singstimme und der Prägnanz und Anschaulichkeit der ungewöhnlich reich bedachten Begleitung äußert. Zum Schönsten der Lieder, deren Textwahl allein schon einen vornehmen Geschmack erkennen läßt, gehören das stimmungsvolle ‚Morgengebet‘, die beiden Wolkenlieder, das poesieerfüllte ‚Vergißmeinnicht‘, das ergreifende Lied vom Haß (‚Die Falte‘) und das den Reigen der Gesänge beschließende schlichte ‚In Kana‘. Lothar Lessig sang, von der Komponistin anschmiegsam am Flügel begleitet, die Lieder mit großer Hingabe und beseeltem Ausdruck. Sämtliche Mitwirkenden wurden von den zahlreich erschienenen Hörern mit herzlichem Beifall bedacht.“

Die Abbildung zeigt die erste Notenseite des Liedes "Die Wolke" von margarete Schweikert.

Margarete Schweikert: Die Wolke I. Autograph. Text: Theowill Übelacker. Badische Landesbibliothek, Mus. Hs. 1418,199. – zum Digitalisat

Besonders bekannt wurde Margarete Schweikert durch ihre Interpretationen der Werke Max Regers (1873–1916). Um Max Regers 50. Geburtstag zu feiern, lud sie ihr Publikum zu einem sechsten Kammermusikkonzert in die Douglasstraße 7 ein (vgl. zu Max Reger auch den Blogbeitrag von Jürgen Schaarwächter). Dort musizierte sie gemeinsam mit Elisabeth Moritz (Klavier), Karl Spittel (Flöte), Hugo Lüthje (Bratsche) und Paul Trautvetter (Cello). Das Karlsruher Tagblatt Nr. 100 vom 12. April 1923 berichtete über das Konzert in der Rubrik „Theater und Musik“:

„Würdige, von den zahlreichen Hörern dankbar aufgenommene Feiern zu Max Regers 50. Geburtstag veranstaltete Margarete Schweikert am Samstag abend und Sonntag vormittag in ihrer Wohnung. Die gerade für Regers Schaffen seit jeher nachdrücklichst sich einsetzende Künstlerin brachte ausschließlich hier noch nicht gehörte Werke des Frühverstorbenen, dessen reiche, beglückende Kunst sich immer weiteren Kreisen erschließt. Einfallsreich, jeder Satz ein Kleinod, ist die Suite für Violine und Klavier in A-Moll (Op. 103 a), die von Margarete Schweikert und Elisabeth Moritz mit feinstem Einfühlen in das Besondere des Werkes, tonlich bezaubernd und mit technischer Reife dargeboten wurde. [...] Den Künstlern wurde für ihr hingebungsvolles Musizieren herzlicher Beifall zuteil; dieser war zugleich Dank und Anerkennung für Margarete Schweikert, deren Hauskonzerte – gleich vorbildlich in der Aufstellung der Programme wie in deren Ausführung – ein markanter Bestandteil des hiesigen musikalischen Lebens geworden sind.“

Über das Frühjahrskonzert der „Liederhalle“ am 29. April 1923 berichtete wenig später das Karlsruher Tagblatt Nr. 119 vom 1. Mai 1923 in der Rubrik „Aus dem Stadtkreise“:

„In rascher Folge reihen die Gesangvereine ihr regelmäßigen Konzerte aneinander. Am Sonntag gab die Liederhalle ihr Frühjahrskonzert, das trotz des schönen Wetters die Festhalle zu füllen vermochte. Man darf diese Tatsache auch als Beweis dafür nehmen, daß die Liederhalle sich der Sympathien weitester Kreise erfreut. Ihr Ruf im musikalischen Leben ist unerschüttert und wurde auch durch das Konzert aufs neue befestigt [...].

Herr Robert Pracht spielte gewandt und eindrucksreich eine Romanze für Viola von Bruch. Frl. Margarete Schweikert ließ reiches technisches Können und edlen Ton den Alt-Wiener Weisen (bearbeitet von Kreisler) angedeihen und erwies sich aufs neue als Geigerin großen Stils mit vornehmster Auffassung und bezauberndem Vortrag. Beide vereinigten sich dann zur Wiedergabe von Sandbergers Triosonate opus 4 und bereiteten einen erlesenen Genuß mit der plastischen Darstellung des schönheitsreichen Werkes [...].“

Die Abbildung zeigt das Konzertprogramm vom 29. April 1923 in Karlsruhe.

Programm zum Frühjahrskonzert der „Liederhalle“ in Karlsruhe am 29. April 1923 (Vorderseite). Margarete Schweikert tritt als Violinistin auf. Badische Landesbibliothek, Mus. Hs. 1418a,206 Nr. 44. – zum Nachweis

Am 8. September 1923 heiratete Margarete Schweikert Hermann Voigt, den Bruder des Konzertmeisters der Badischen Staatskapelle Ottomar Voigt. Die Verlobung und die Hochzeit des Paares wurden im Anzeigenteil des Karlsruher Tagblatts Nr. 210 vom 1. August 1923 und Nr. 247 vom 8. September 1923 angekündigt. Die Tochter des Paares, Christiane Voigt, wurde am 22. Juli 1924 geboren.

Die Abbildungen zeigen die Zeitungsannoncen zur Verlobung und Hochzeit von Margarete Schweikert 1923.

Zeitungsanzeigen im Anzeigenteil des Karlsruher Tagblatts zur Verlobung von Margarete Schweikert und Hermann Voigt am 1. August 1923 und zur Hochzeit am 8. September 1923

Inflation

Im Jahr 1923 berichteten die Tageszeitungen kontinuierlich über die schwerwiegenden Auswirkungen der Inflation in Deutschland. Die Inflation begann 1914 und dauerte bis November 1923 an. Sie hatte ihren Ursprung in der Finanzierung des Ersten Weltkrieges und gilt als eine der radikalsten Geldentwertungen in großen Industrienationen. Währungstechnisch wurde die Inflation am 15. November 1923 mit Einführung der Rentenmark (wertgleich mit der späteren Reichsmark) beendet. Die Ausgabe der Rentenmark erfolgte durch die Rentenbank, der Wert einer Rentenmark wurde auf eine Billion Papiermark festgesetzt. Ab dem 15. November 1923 wurden nach und nach Geldscheine in Rentenmark in Umlauf gebracht.

Heute herrscht unter Historikern weitgehend Einigkeit darüber, dass der Reichskanzler Gustav Stresemann während seiner kurzen Amtszeit vom 13. August 1923 bis zum 23. November 1923 bedeutende Erfolge sowohl in der Außen- als auch in der Innenpolitik vollbracht hatte. Durch die Beendigung des passiven Widerstands im Ruhrgebiet schuf er die Grundlage für eine außenpolitische Entspannung, die den Weg für eine Lösung der Reparationsfrage ebnete. Mit der Einführung der Rentenbank und der Rentenmark gelang es ihm, die Inflation einzudämmen und die Grundlagen für eine Währungsstabilisierung und wirtschaftliche Erholung zu legen.

Hitler-Ludendorff-Putsch

Eine weitere große Herausforderung für die noch junge Weimarer Republik war der fehlgeschlagene Putschversuch der NSDAP unter der Führung von Adolf Hitler und Erich Ludendorff am 8. und 9. November 1923. Das Ziel dieses Umsturzversuches bestand darin, die Reichsregierung in Berlin zu stürzen, die parlamentarische Demokratie abzuschaffen und eine nationalsozialistische Diktatur zu errichten.

Im Frühjahr 1924 stand Adolf Hitler wegen Hochverrats vor dem Volksgericht in München. Er wurde später zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt, während Erich Ludendorff freigesprochen wurde. Obwohl Hitlers Putschversuch gescheitert war, zahlte sich dieser für ihn und die NSDAP aus. Sein Bekanntheitsgrad stieg erheblich und sicherte ihm Aufmerksamkeit in den Medien. Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler durch den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt, was das Ende der parlamentarischen Demokratie der Weimarer Republik markierte (vgl.zu diesem Ereignis auch den Blogbeitrag von Frédérique Renno).

Konzerte von Margarete Schweikert

Am 25. November 1923 – wenige Tage nach dem gescheiterten Putschversuch – fand in der Christuskirche in Karlsruhe ein Bußtagskonzert statt, bei dem Margarete Schweikert wiederum eigene Werke vorstellte.

Die Abbildung zeigt das Konzertprogramm vom 25. November 1923 in Karlsruhe.

Programm zum Bußtagskonzert in der Christuskirche in Karlsruhe am 25. November 1923. Bei dem Konzert werden zwei Lieder von Margarete Schweikert aufgeführt. Badische Landesbibliothek, Mus. Hs. 1418a,206 Nr. 44. – zum Nachweis

Das Karlsruher Tagblatt Nr. 332 vom 2. Dezember 1923 berichtete darüber in der Rubrik „Konzerte“:

„Der Kirchenchor der Christuskirche ließ in seinem diesjährigen Bußtagskonzert hauptsächlich Karlsruher Komponisten zum Worte kommen. Man hörte von dem Altmeister Vinzenz Lachner die heute noch frisch wirkende Komposition ‚Was ist der Mensch auf Erden‘ für Chor, Sopransolo und Orgel, von Ludwig Keller ein Andante und eine klar gebaute Fuge für Orgel, sowie zwei geistliche Lieder von schlichter, gemütvoller Melodik, von A. Gerspacher ein aus einem edlen Gesangsthema sich entwickelndes Stück, ‚Gebet‘ betitelt, für Violoncello, von Th. Munz den 150. Psalm, ein lebendig empfundener und wirkungsvoll gesteigerter Chorsatz und von Margarete Schweikert zwei Sopranlieder: ‚Rosen und Dornen‘ und ‚Der Kreuzschnabel‘, von denen das zuletzt genannte Lied mit zum Schönsten gehört, was der der Komponistin Feder entflossen ist.“

Die Abbildung zeigt die erste Notenseite des Liedes "Der Kreuzschnabel" von Margarete Schweikert.

Margarete Schweikert: Der Kreuzschnabel. Autograph. Text: Julius Mosen. Badische Landesbibliothek, Mus. Hs. 1418,92. – zum Digitalisat

Die Kammermusikreihe Margarete Schweikerts im Jahr 1923 hatte am 12. Februar mit dem fünften Kammermusikkonzert in der elterlichen Wohnung in der Douglasstraße 7 begonnen und endete auch dort am 16. Dezember mit dem neunten Kammermusikkonzert. Ein ereignisreiches Jahr im Leben Margarete Schweikerts neigte sich damit dem Ende zu.

Die Werke Margarete Schweikerts und ihre Digitalisate in der Badischen Landesbibliothek

Der musikalische Nachlass von Margarete Schweikert wird seit 2004 in der Badischen Landesbibliothek verwahrt. Die Musikhandschriften sind in der Datenbank RISM erfasst. Musikdrucke sind über den Katalog plus zu recherchieren. Die Digitalisate der Musikhandschriften und Musikdrucke sind in den Digitalen Sammlungen der Badischen Landesbibliothek aufgeführt.

In der Badischen Landesbibliothek befindet sich außerdem ein Nachlass mit Textdokumenten, der hauptsächlich Korrespondenzen, biographische Materialien sowie Dokumente zur Rezeption der Werke Margarete Schweikerts enthält. Dieser Bestand ist in Kalliope, dem Informationssystem für Nachlässe und Autographen in Bibliotheken, Archiven und Museen, nachgewiesen.

Die Abbildung zeigt die Konzertankündigung zum 16. Februar 2012 in der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe.

Plakat für eine Konzertveranstaltung am 16. Februar 2012 in der Badischen Landesbibliothek anlässlich des 125. Geburtstages von Margarete Schweikert

Anlässlich des 125. Geburtstages von Margarete Schweikert im Jahr 2012 startete die GEDOK Karlsruhe (Verband der Gemeinschaften der Künstlerinnen und Kunstfördernden e.V. ) ein ehrgeiziges Projekt: Die Werke der Komponistin sollten in einer Reihe von Konzerten vorgestellt werden, geplant wurden auch die Edition der Noten, die Produktion von CDs und die wissenschaftliche Aufarbeitung und Einordnung des Wirkens von Margarete Schweikert. Die Pianistin Jeannette La-Deur übernahm die Verantwortung für die Herausgabe der Noten und die künstlerische Projektleitung bei den Konzerten und den CD-Produktionen.

Weitere Informationen:

Literatur

Margarete Schweikert
Karlsruhe
Geschichte 1923
Digitalisierung
Badische Landesbibliothek

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