Joseph von Laßberg – ein Netzwerk in Briefen
Hier finden Sie dreißig neu erworbene Briefe, die bedeutende Zeitgenossen an den Handschriftensammler Joseph von Laßberg (1770–1855) richteten.
Julia von Hiller 18.11.2024
DOI: https://doi.org/10.58019/dham-w884
Mit großzügiger Unterstützung der Kulturstiftung der Länder und der Wüstenrot Stiftung sowie mit Mitteln des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg konnte die Badische Landesbibliothek im April 2024 dreißig Briefe bedeutender Zeitgenossen an den Handschriftensammler Joseph von Laßberg (1770–1855) ersteigern. Diese Briefe werden der Öffentlichkeit noch bis zum 1. Februar 2025 in der Ausstellung „Joseph von Laßberg – ein Netzwerk in Briefen“ präsentiert. Zur feierlichen Eröffnung am 30. Oktober 2024 sprachen Staatssekretär Arne Braun für das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, Prof. Dr. Frank Druffner für die Kulturstiftung der Länder und Prof. Philip Kurz für die Wüstenrot Stiftung.
Joseph von Laßberg, um 1850. Badische Landesbibliothek, K 3230
Joseph von Laßberg
Joseph von Laßberg ist mit der Badischen Landesbibliothek auf vielfältige Weise verbunden. Geboren 1770 in Donaueschingen als Sohn des Fürstlich fürstenbergischen Oberjägermeisters trat er nach dem Jurastudium selbst in die Verwaltung des Fürstentums Fürstenberg ein und machte dort im Bereich des Forst- und Jagdwesens Karriere. Er war der wichtigste politische Ratgeber der 1799 verwitweten Fürstin Elisabeth zu Fürstenberg, mit der ihn bis zu ihrem Tod 1822 auch eine Liebesbeziehung verband, die seine erste Ehefrau Anna über zwanzig Jahre hinweg ertragen musste. Die Fürstin wiederum unterstützte Laßbergs germanistische Interessen. Ihrer Mitwirkung ist es zu verdanken, dass Laßberg seine außerordentlich prominente Sammlung mittelalterlicher deutscher Handschriften anlegen konnte, darunter viele der bekanntesten Zimelien der mittelhochdeutschen Literatur. Gemeinsam erwarben die beiden etwa während des Wiener Kongresses 1815 die Hohenemser Nibelungenlied-Handschrift C, das bedeutendste Stück der 273 Codices umfassenden Handschriftensammlung Laßbergs und heute das einzige UNESCO-Welterbe in der noch jungen Stadt Karlsruhe.
Nachdem Karl Egon II. zu Fürstenberg 1817 die Standesherrschaft in Donaueschingen übernommen hatte, lebte Laßberg ohne öffentliches Amt in von ihm selbst so bezeichneten „ehrsamen Müßiggang“ auf Schloss Eppishausen im Thurgau. Dort konzentrierte er sich immer stärker auf seine Handschriftenforschungen und sein weit gespanntes Netzwerk fachlicher Beziehungen zu Gelehrten und Schriftstellern seiner Zeit. Von manchen der professoralen Germanisten wurde er nur als ein passionierter Dilettant auf ihrem Felde wahrgenommen, aber seine Großzügigkeit nahmen sie gern in Anspruch. Er war ein weitherziger Unterstützer und uneigennütziger Sekundant für andere, gab sein Wissen, seine Bücher und seine Materialsammlungen selbstlos weiter und war ein großer Netzwerker, Vermittler und Anreger. Dabei pflegte er nicht nur einen ausgedehnten Briefwechsel, sondern auch eine generöse Gastfreundschaft: sein Haus war ein lebendiger Treffpunkt für gelehrte Studien und produktive Gespräche.
1838 wagte er einen Neuanfang und erwarb in einer öffentlichen Versteigerung von der badischen Domänenverwaltung das damals verwahrloste Schloss Meersburg am Bodensee. Mit seiner zweiten Frau Jenny, der älteren Schwester von Annette von Droste-Hülshoff, und den 1836 geborenen Zwillingstöchtern Hildegard und Hildegunde sowie 150 Bücherkisten, darin seine bedeutende Gelehrtenbibliothek und seine kostbare Handschriftensammlung, zog er dort ein und setzte sein Leben als Privatgelehrter bis ins hohe Alter rüstig fort.
Laßbergs Bibliothekskatalog. Kartei zu Kasten No . VI (Umschlag), Badische Landesbibliothek, K 2914,59
Laßberg-Bestand der Badischen Landesbibliothek
Seine mittelalterlichen Handschriften hatte Laßberg noch vor seinem Tod 1853 an den regierenden Fürsten Karl Egon II. zu Fürstenberg in Donaueschingen verkauft. Am Zustandekommen dieser Sammlung war die Donaueschinger Fürstenfamilie ja nicht unbeteiligt gewesen. Nun wurden diese Handschriften aus Laßbergs Privatbesitz in die bei der Donaueschinger Hofbibliothek bereits bestehende Handschriftensammlung inkorporiert. Insbesondere seit 1982 wurden immer wieder einzelne Donaueschinger Handschriften verkauft. 1993 erwarb das Land Baden-Württemberg alle noch vorhandenen mittelalterlichen Handschriften der Fürstlich Fürstenbergischen Hofbibliothek und teilte sie zwischen der Badischen und der Württembergischen Landesbibliothek auf. Seither befinden sich die deutschsprachigen Handschriften, darunter diejenigen aus dem Besitz Joseph von Laßbergs, in der Badischen Landesbibliothek. Hinzu kam 2001 die Handschrift C des Nibelungenliedes, die seit 2009 zum UNESCO-Weltdokumentenerbe zählt.
1994 konnte die Badische Landesbibliothek mit Teilen der ehemals Donaueschinger Inkunabelsammlung neun Wiegendrucke aus der Sammlung Joseph von Laßbergs kaufen. Und als 1999 mit dem übrigen Druckschriftenbestand der Donaueschinger Hofbibliothek schließlich auch Laßbergs 11.000 Bände umfassende Gelehrtenbibliothek versteigert wurde, erwarb sie 896 Werke daraus: solche, die besondere persönliche Bezüge aufweisen, Arbeitsspuren ihres Besitzers enthalten, von spezieller Bedeutung für die Erforschung seiner Handschriften und seiner mediävistischen Arbeit sind.
Das besondere Engagement der Badischen Landesbibliothek für die Laßbergiana gründete auf dem bereits 1969 aus Familienbesitz getätigten Ankauf des Laßberg-Nachlasses. Laßbergs Töchter, Erbinnen der Meersburg, hatten keine eigenen Kinder und überließen die Hinterlassenschaft ihres Vaters der westfälischen Verwandtschaft. 141 Briefe von und 50 Briefe an Laßberg, dazu Briefregister, Lebensdokumente, Subskriptionslisten, Bücherverzeichnisse, Buchbindeaufträge, Rechnungen, Verträge, Umzugslisten, auch ein fragmentarischer Katalog von Laßbergs privater Bibliothek und verschiedene seiner literarischen und literaturwissenschaftlichen Manuskripte, vor allem auch Abschriften und Exzerpte von mittelalterlichen Handschriften, mit denen er geforscht hatte, wechselten nach Karlsruhe. Dieser Nachlass dokumentiert neben Laßbergs eigenen bis heute bedeutsamen Forschungen zur deutschen Literatur des Mittelalters auch das Netzwerk seiner gelehrten Beziehungen. Darin bildeten die aktuellen Neuerwerbungen, die wegen der besonderen Prominenz der Briefpartner vermutlich schon frühzeitig aus dem Nachlass Laßbergs entnommen und der als Erbe der Annette von Droste-Hülshoff im Familienbesitz bestehenden und weiter ausgebauten Autographensammlung eingefügt worden sind, bis jetzt eine empfindliche Lücke.
Seit mehr als einem halben Jahrhundert wird der Bestand bei uns in Karlsruhe stets weiter ergänzt. Da sich schon Laßbergs Töchter großzügig verhielten und manches zur Edition vorgesehene Briefkonvolut an interessierte Forscher entliehen, das niemals zurückgegeben wurde, kamen bisher immer wieder Laßberg-Briefe auf den Markt, mit denen der Nachlass komplettiert werden konnte, darunter Korrespondenz mit den Brüdern Grimm, den Autoren der Schwäbischen Dichterschule und den Pionieren der Mediävistik im 19. Jahrhundert.
Brief Joseph von Laßbergs an Werner von Droste-Hülshoff. Meersburg, 21. Juli 1841. Badische Landesbibliothek, K 3531,1
Neuerwerbungen 2024
Erworben wurden in diesem Frühjahr beim Auktionshaus Stargardt in Berlin drei an Laßberg gerichtete Briefe von Sulpiz Boisserée, zwei Briefe von Jacob Grimm, ein Brief von Joseph Görres, zwei Briefe und zwei Gedichthandschriften von Justinus Kerner, drei Briefe von Johann Caspar von Orelli, drei Briefe von Gustav Schwab, drei Briefe von Karl vom Stein, zwei Briefe von Wilhelm Wackernagel und drei Briefe von Heinrich Zschokke, dazu ein Brief Justinus Kerners an Jenny und einer an Hildegunde von Laßberg, ein Brief von Friedrich Karl von Savigny an Laßbergs Sohn Friedrich von Laßberg, ein ehemals einem für Laßberg bestimmten Paket beiliegendes Schreiben Jacob Grimms an Werner von Haxthausen, außerdem ein Brief Laßbergs an seinen Schwager Werner von Droste-Hülshoff, einer an seinen Neffen Friedrich von Droste-Hülshoff und einer an seinen Konstanzer Buchbinder Beer. Durch einen Privatsammler überboten wurde die Badische Landesbibliothek leider bei dem Los mit zehn bisher meist unbekannten Briefen von Ludwig Uhland, mit dem Laßberg eine besonders intensive und warmherzige Beziehung verband.
Die neuerworbenen Briefe sind auch deshalb so bedeutend, weil sie sich überwiegend mit den mediävistischen Forschungen im Netzwerk Joseph von Laßbergs befassen. Es geht um die überlieferten Werke, ihre Bewertung und Einordnung, ihre Edition – aber auch um die Handschriften selbst. In der Korrespondenz angesprochen werden etwa die Nibelungenliedhandschrift C (Cod. Donaueschingen 63), eine ehemals in Laßbergs Besitz befindliche Juvenal-Handschrift (UB Freiburg: Hs. 439), das im Wasserburger Codex überlieferte Eckenlied (Cod. Donaueschingen 74), der von Laßberg für eine Veröffentlichung bearbeitete Versroman Gauriel von Muntabel (Cod. Donaueschingen 86), die Chronik des Jakob Twinger von Königshofen (Cod. Donaueschingen 513), aber auch eine schon damals abhanden gekommene Handschrift des Tristan-Romans von Gottfried von Straßburg.
Von besonderer Bedeutung ist die Erwerbung auch deshalb, weil die verauktionierten Laßbergiana bisher fast ausnahmslos unbekannt waren. Sie sind – mit Ausnahme des Görres-Briefes und der beiden Briefe von Jacob Grimm – auch im Laßberg-Briefinventar von Martin Harris aus dem Jahr 1991 nicht verzeichnet. Es handelt sich also um echte Neuentdeckungen. Die Briefe enthalten eine große Vielfalt an Informationen zu vielen spannenden Aspekten. Einige sollen hier näher vorgestellt werden.
Johann Caspar von Orelli: „Leihschein“ für die Nibelungenlied Handschrift C. Chur, 2. Oktober 1818. Badische Landesbibliothek, K 3532,1
Fähiger Mitarbeiter: Johann Caspar von Orelli kopiert das Nibelungenlied (1818)
Starten wir doch einfach im Jahr 1818 mit dem frühesten Schriftstück aus dem Konvolut der Neuerwerbungen. Längst war bekannt, dass Laßberg seine Codices zeitweise an interessierte Kollegen ausgeliehen hat, aber nun wissen wir mehr. Denn wir besitzen die Quittung, mit der der Schweizer Altphilologe Johann Caspar von Orelli (1787–1849) am 2. Oktober 1818 Laßberg den Empfang der Nibelungenliedhandschrift C (Cod. Donaueschingen 63) bestätigt hat (K 3532,1).
Die Nibelungenlied-Handschrift C, die älteste und bedeutendste Überlieferung des Textes aus dem 13. Jahrhundert, hatte Laßberg mit Mitteln seiner Fürstin 1815 in Wien erworben. Auf die erste Seite hat er sein Familienwappen aufmalen lassen – ein vielsagendes Zeugnis seiner Vorstellung von der eigenen Geltung. Aber nun musste die Handschrift natürlich ediert werden. Der Text war als die „deutsche Ilias“ schon seit Ende des 18. Jahrhunderts in aller Munde. Friedrich Heinrich von der Hagen hatte 1807 eine an der Münchener Handschrift A orientierte neuhochdeutsche Übersetzung herausgegeben und 1810 aus den damals erreichbaren Handschriften einen Urtext drucken lassen. Nun warteten alle auf den Text der Handschrift C.
Laßberg wollte unbedingt die Handschrift C in ihrer ursprünglichen Fassung edieren. Er überlegte sogar, ein Faksimile davon herstellen zu lassen und sich dazu der neuen Technik der Lithographie zu bedienen, kam davon aber wieder ab. Also musste der Codex für die Edition abgeschrieben werden. Und dazu fand er auf Vermittlung des Züricher Stadtbibliothekars Johann Jakob Horner in dem jungen Schweizer Gelehrten Johann Caspar von Orelli einen fähigen Mitarbeiter.
Orelli war damals Lehrer für moderne Sprachen und Geschichte an der Kantonalschule in Chur. Laßberg sandte ihm am 9. September 1818 die Handschrift C und Orelli quittierte am 2. Oktober den Empfang. Er versicherte, sie auf Verlangen des Eigentümers Laßberg jederzeit unversehrt zurückzusenden, aber für unverschuldete Unfälle nicht zu haften. Die Quittung ist also nicht Ergebnis eines Ausleihgesuchs von Orelli für eigene Forschungszwecke, sondern eines Auftrags von Laßberg zur Mitarbeit. Diese Mitarbeit trug Früchte. 1821 edierte Laßberg den Text der Handschrift C im vierten Band seines Lieder-Saals. Er widmete die Edition der Fürstin Elisabeth, ließ sie auf eigene Kosten von Josef Meinrad Bannhard in Konstanz drucken und verteilte sie höchstpersönlich an ausgewählte Empfänger seines mediävistischen Netzwerks.
Bisher war die Existenz von insgesamt 15 Briefen Laßbergs an Orelli bekannt. Dass auch Gegenbriefe von Orelli an Laßberg erhalten sind, wissen wir erst jetzt, da wir drei Briefe von Orelli erworben haben. Der zweite Orelli-Brief aus dem Jahr 1836 handelt ebenfalls von einer Handschriften-Ausleihe: Orelli, inzwischen Professor für alte Sprachen an der neugegründeten Universität Zürich und Oberbibliothekar der Stadtbibliothek Zürich, sandte einen Juvenal-Codex italienischer Herkunft aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts an Laßberg zurück, der ihn später an seinen Freund Johann Leonhard Hug in Freiburg gab, weshalb er sich heute in der UB Freiburg befindet.
In einem dritten Brief aus dem Jahr 1838 antwortet Orelli ziemlich ausweichend auf eine Aufforderung Laßbergs, die Universität Zürich möge den im Dezember 1837 durch Ernst August I. von Hannover entlassenen Göttinger Sieben eine Anstellung bieten.
Jacob Grimm an Joseph von Laßberg. Kassel, 4. Mai 1820. Badische Landesbibliothek, K 3530,1
Überlegener Sachverstand: Jacob Grimm tadelt den Liedersaal (1820)
Zu diesen Göttinger Sieben gehörte bekanntlich auch Jacob Grimm. Laßberg hatte ihn 1815 beim Wiener Kongress kennengelernt, wo Grimm als kurhessischer Legationssekretär die Interessen seines Landesherrn wahrnahm. Grimm hatte dort mit einigen Gleichgesinnten die „Wollzeilergesellschaft“ gegründet, eine gelehrte Interessengruppe, die sich der Aufzeichnung von Märchen, Sagen und Volksliedern verschrieb und der sich auch Laßberg anschloss. Ein Exemplar von deren Gründungsurkunde befindet sich übrigens ebenfalls in der BLB. Laßberg hatte seinerseits den Kasseler Kollegen in seine Erwerbung der Nibelungenliedhandschrift C einbezogen. Aus dem lebenslangen, höchst aufschlussreichen Briefwechsel der beiden sind insgesamt 86 Briefe bekannt. 18 dieser Briefe waren schon in Karlsruhe. Jetzt hat die Badische Landesbibliothek zwei weitere erworben.
Der frühere der beiden Briefe (K 3530,1-2) stammt aus dem Jahr 1820. In diesem Jahr erschien der erste von drei Bänden von Laßbergs Liedersaal-Edition. Darin publizierte er das komplette Material der sogenannten Donaueschinger Liedersaal-Handschrift (Cod. Donaueschingen 104), einer Kleinepiksammlung des 15. Jahrhunderts aus dem Bodenseeraum. Es war Laßbergs wichtigste und gründlichste Handschriftenedition, seine Eintrittskarte in die mediävistische Zunft. Die Handschrift befindet sich heute bei uns, wir besitzen auch Laßbergs 1.993 Seiten umfassende eigenhändige Abschrift des Codex, die als Druckvorlage gedient hat.
Jacob Grimm, damals noch Bibliothekar in Kassel, bedankte sich am 4. Mai 1820 für die Übersendung eines Exemplars. In sein Dankschreiben verpackte er allerdings eine ziemlich herablassende Kritik an der Arbeit Laßbergs. Zum einen fand er die Textauswahl des Lesebuchs nicht überzeugend, weil aus seiner Sicht schwache Dichtungen des späteren Mittelalters abgedruckt seien, obwohl es doch noch so viel Erstklassiges aus dem 13. Jahrhundert zu publizieren gebe. Diesen Einwand relativierte er dann wiederum mit dem Satz: „Uns Grammatiker reizt alles, selbst die gesunkene Poesie und die schlechtere Sprache, wir stellen den Schatten zu dem Licht.“ Zum anderen tadelte er aber auch die handwerkliche Arbeit des Editors Laßberg: „Mein aufrichtiges Geständniss, dass ich in Ihrem Texte mancherlei wirkliche Fehler zu bessern wisse, mancherlei scheinbare d.h. nach der Grammatik des 13. J.h. allerdings offenbare zu bessern mich nicht getraue, wird Ihnen, lieber Freund, nicht sonderbar vorkommen.“ Die konfrontative Art des Briefs musste der Empfänger nicht persönlich nehmen – sie entsprach dem Stil des Absenders. Und Laßberg in seiner großzügigen Art hat sie auch nicht persönlich genommen.
Auch der zweite neuerworbene Grimm-Brief (K 3530,3) aus dem Jahr 1841 bezieht sich auf ein Laßbergsches Editionsprojekt, nämlich die geplante Ausgabe von Konrad von Stoffelns Gauriel von Muntabel oder der Ritter mit dem Bock, einen höfischen Versroman aus dem 13. Jahrhundert. Laßberg hatte eine Abschrift von der Donaueschinger Leithandschrift aus dem 15. Jahrhundert (Cod. Donaueschingen 86) erstellt, schloss das Projekt aber nie ab.
Und noch ein drittes Schreiben von Jacob Grimm wurde neu erworben: das Begleitschreiben zu einem Tristan-Codex, den Grimm über den gemeinsamen Freund Werner von Haxthausen, den Onkel von Laßbergs Frau Jenny, an Laßberg schickte (K 3530,4). Der Codex kam aber nie bei Laßberg an und ist also schon seit 1840 verschollen.
Gustav Schwab an Joseph von Laßberg. Stuttgart, 22. März 1832. Badische Landesbibliothek, K 3526,2
Seelenreiche Romantik: Gustav Schwab und Heinrich Zschokke feiern das Eckenlied (1832)
In dieser Vorstellungsrunde nicht fehlen darf die schwäbische Dichtergröße Gustav Schwab, dessen lebenslange Korrespondenz mit Laßberg im Jahr 1825 einsetzte, als Schwab auf Empfehlung von Ludwig Uhland einen Besuch in Eppishausen machte. Er war zu dieser Zeit bereits Redakteur des Literatur-Blatts von Cottas Morgenblatt für gebildete Stände und wurde dort zu einem der einflussreichsten Förderer junger literarischer Talente.
Die jetzt erworbenen Briefe von Schwab an Laßberg (K 3526,1-3) stammen aus den Jahren 1829, 1832 und 1838. Der früheste Brief von 1829 antwortet auf eine Zusendung Laßbergs zum Morgenblatt für gebildete Stände, die Schwab nicht abdrucken konnte. Der späteste Brief von 1838 berichtet von Schwabs geglückter Versetzung als Pfarrer ins ländliche Gomaringen, nachdem er der Tätigkeit als Redakteur in Stuttgart vollends überdrüssig geworden war.
Besonders informativ ist der umfangreiche Brief vom 22. März 1832, der ausführlich über das Befinden der eigenen Familie informiert, aber auch von einem Besuch Jacob Grimms erzählt, von dem im Hause Schwab monatelang beherbergten neuen literarischen Genie Nikolaus Lenau und von Ludwig Uhland, der sich auf Wunsch von Stuttgarter Bürgern als Kandidat für den Landtag hatte aufstellen lassen und ohne eigenes Zutun mit Zweidrittelmehrheit gewählt worden war. Schwab kommentiert diese Wahl: „So weh mir dieß für die Wissenschaft und die Tübinger Jugend thut, so kann ihn doch das Land in einer so verhängnisvollen Periode nicht entbehren. Am Ende wird auch die Regierung einsehen lernen, daß sie an einem solchen Manne keinen Feind und Gegner, sondern im Grunde den besten Freund hat. Bis jetzt aber ist sie zu dieser Erkenntnis noch nicht gelangt.“
Berichtet wird zudem von der Lektüre des von Laßberg 1832 edierten Eckenliedes im Lesezirkel der Familie Schwab. Auch diesen Text der mittelhochdeutschen Dietrichsepik aus dem 13. Jahrhundert hatte Laßberg aus einer eigenen Handschrift ediert und die Edition als Privatdruck an seine Freunde versendet. Er ist Teil des sog. Wasserburger Codex, den Laßberg im Mai 1829 dem Pfarrer Johann Max Joseph Gegenbaur in Wasserburg am Inn abgekauft hatte (Codex Donaueschingen 74). Auch von diesem bedeutenden Codex gibt es eine eigenhändige Abschrift in Laßbergs Handschriftensammlung (Codex Donaueschingen 75). In Laßbergs Nachlass finden sich zudem weitere Exzerpte und Notizen (K 2912,18) sowie Manuskripte Laßbergs zu einem Aufsatz zum Eckenlied (K 2912,5).
Die 1832 publizierte Ausgabe des Eckenliedes ist auch Thema eines der drei neuerworbenen Briefe von Heinrich Zschokke an Laßberg (K 3527,1-3). Der aus Magdeburg gebürtige Schriftsteller lebte seit 1795 in der Schweiz und war dort auch eingebürgert. Ein Kontakt zu Laßberg entstand wahrscheinlich, als Laßberg 1821 zu einem längeren Aufenthalt in Aarau weilte. Nun hatte er sein Eckenlied auch an Zschokke geschickt und der schrieb ihm: „Die alten, treuherzigen und doch sinnvollen Sänge thun immer eine ganz eigne Wirkung auf mich. Unsre neuern, nachklimpernden, mystischen Romantiker sind weit von der reinen, seelenreichen Romantik des Mittelalters entfernt. Aber auch selbst der edle Rost des Alterthums gereicht diesen Harfen verflossener Tage zum Schmuk. Man steht ehrfurchtsvoll vor ihnen auf, wie vor einem greisen Haupte. Ich beging einmahl die Thorheit, mit vieler Mühe ein Paar Stükke aus Ihrem Liedersaal zu übersetzen. Aber da lagen meine Verse da, wie roth und weiß geschminkte Leichname, ohne den heimlichen Reiz des innern Lebens; wie gepresste Blumen im Herbarium.“
Späte Früchte: Justinus Kerner als Besucher der Meersburg (1850)
Eine ganz späte Freundschaft verband Joseph von Laßberg mit dem schwäbischen Romantiker Justinus Kerner. Persönliche Bekanntschaft schlossen die beiden Autoren im Juli 1850, als Kerner, 63 Jahre alt, einen Besuch bei dem bereits achtzigjährigen Laßberg auf der Meersburg machte. Bei diesem Besuch hinterließ Kerner ein Gedicht „An Herrn v. Lasberg“ (K 3525,2), das jetzt erworben wurde:
Es steht an deiner Burg am Thor
Ein alter schwäb’scher Troubadur
Fleht um zwey Stunden Einlaß nur,
O schieb ihm keinen Riegel vor ...
Die beiden Männer fanden trotz ihres sehr unterschiedlichen Naturells schnell zueinander. Kaum dass Kerner aus dem Haus war, kommentierte Laßberg das in einem nachfolgenden Brief an Kerner so: „Die Freundschaft ist gemacht, sagte mir mein altes, noch immer grünes Herz, und wird dauern, so lange bei uns zwei alten Knaben der schwäbische Herzschlag noch an unsere Rippen pocht.“
Zu einer Wiederbegegnung kam es im Sommer 1854, als der eben verwitwete und schon weitgehend erblindete Kerner einen weiteren, nun etwa dreiwöchigen Besuch auf der Meersburg unternahm. Von diesem Besuch datiert eine Handschrift mit Kerners Gedicht Das Schwerste (K 3525,1), das 1852 in Kerners Gedichtsammlung Der letzte Blüthenstrauß erschienen war. Auch diese Handschrift ist jetzt in der Badischen Landesbibliothek.
Dazu kamen zwei Briefe Kerners an Laßberg (K 3525,3-4), einer an Laßbergs Frau Jenny und einer an ihre Tochter Hildegunde, mit der Kerner auch nach Laßbergs Tod noch Briefe wechselte: Ende September 1854 erkundigte Kerner sich bei Jenny von Laßberg (K 3525,5), ob eine von ihm schon vor mehr als drei Wochen abgesandte Kiste mit Geschenken für Laßberg nicht angekommen sei, er müsse sonst nämlich durch den Spediteur danach fahnden lassen. Die Kiste enthielt Materialien für Laßbergs Handschriftensammlung, darunter Fragmente einer Palmblatthandschrift, verschiedene Druckschriften, aber auch eine der von Kerner besonders geschätzten Äolsharfen. Laßberg bestätigte die Sendung mit „schönen, kostbaren, merkwürdigen und niedlichen Sachen“ erst am 10. Januar 1855. Die ihm überlassene Palmblatthandschrift (K 2915,14), die schon 1969 mit Laßbergs Nachlass in die BLB kam, aber erst jetzt durch die Brieferwerbung eine Geschichte bekam, bezeichnete er als „ein schönes Paradepferd für meinen Büchersaal.“
An Weihnachten 1854 schrieb Kerner an Hildegunde von Laßberg (K 3525,6), dass er sich aktuell mit den Funden beschäftigte, die er in Meersburg zu Franz Anton Mesmer gemacht hatte. Der berühmte Magnetiseur, der bis heute Stoff für immer neue Romane bietet, war 1815 in Meersburg gestorben. Kerner interessierte sich auch aus fachlichen Gründen für den umstrittenen Mann; er war als Kind mit der magnetischen Heilmethode behandelt worden und wandte sie als Arzt selber an. Laßberg hatte Mesmer noch persönlich gekannt. Er schenkte Kerner im Sommer 1854 unter anderem Mesmers Promotionsurkunde und die Gemme aus Mesmers Siegelring, beides hatte er aus Mesmers Nachlass erworben; die Objekte befinden sich heute im Museum Kernerhaus in Weinsberg.
Kerner schrieb, er habe inzwischen „einiges darüber zu Papier gebracht“ und bat um Abschriften von einschlägigen Dokumenten. Laßberg, wiewohl bereits bettlägerig, belieferte ihn noch im Februar 1855 mit den gewünschten Informationen. Am 22. Februar 1855 dankte Kerner brieflich für die Hilfestellung bei den Nachforschungen für sein im folgenden Jahr erscheinendes Buch über Mesmer (K 3525,4). Es ist der letzte Brief, von dem wir wissen, dass er Laßberg noch erreicht hat. Kerner wusste nicht, dass er an einen Sterbenden schrieb. Am 15. März 1855 starb Laßberg im Alter von 85 Jahren in Meersburg, heiter und gelassen bis ganz zuletzt.
Digitalisierung, Volltext und Normdaten
Die Badische Landesbibliothek hat Laßbergs Nachlass 2024 in einem Projekt der Stiftung Kulturgut Baden-Württemberg digitalisiert und mit Hilfe von KI im Volltext transkribiert. Der Nachlass wird forschungsseitig häufig konsultiert. Ihn durch Digitalisierung frei zugänglich zu machen, mittels KI-gestützter HTR-Software mit Volltexten zu versehen und dies mit der Erkennung von benannten Entitäten in den Volltexten (NER) zu kombinieren, versprach daher einen großen Gewinn insbesondere für die germanistische Mediävistik. Im Zentrum des Projekts stand die Erkennung der handschriftlichen Texte mittels der Open-Source-Software eScriptorium und ihre anschließende Anreicherung mit Normdaten sowohl mittels Google Entities als auch mittels spaCy. Das NER-Verfahren reicherte den Text mit Personen-, Orts- und Sachschlagwörtern an, was maschinelle Auswertungen des digitalisierten Bestandes für neue Fragestellungen der Digital Humanities sehr vereinfacht.
Der Gesamtdatenbestand an Digitalisaten, Katalogisaten und Strukturdaten aus dem Projekt steht in den Digitalen Sammlungen der Badischen Landesbibliothek als Open Content (CC-BY SA) zur Verfügung. Die Neuerwerbungen tauchten im Auktionskatalog der Firma Stargardt genau in dem Moment auf, als das Projekt startete. Sie konnten sofort darein einbezogen werden und sind nun hier zu finden.
Weitere Informationen finden Sie auf der Ausstellungsseite und im Kalender.