130 Jahre Mädchengymnasium in Karlsruhe
Frédérique Renno 2.9.2023 15.25 Uhr
DOI: https://doi.org/10.58019/b8cs-b024
Vor einigen Wochen wurden hier im Blog die vier ersten Frauen vorgestellt, die in Deutschland an der Universität Heideberg promovierten und dadurch zu Wegbereiterinnen für das Frauenstudium in Baden und Deutschland wurden. Anlässlich des 130. Geburtstags werden anhand der Berichterstattung in zeitgenössischen badischen Zeitungen die Reaktionen und Aufnahme der Gründung des ersten Mädchengymnasiums in Deutschland veranschaulicht, das im September 1893 eröffnet wurde.
„Höhere Mädchenschulen“ im 18. und 19. Jahrhundert
Erste weiterführende Schulen für Mädchen wurden bereits Anfang des 18. Jahrhunderts gegründet. Man bezeichnete sie meist als „höhere Töchterschule“ oder „höhere Mädchenschule“: In höheren Schulen ging der Unterricht über den der Volksschule oder Elementarschule hinaus und umfasste grundsätzlich eine allgemeine Bildung. Das Hauptziel dieser Schulen war es jedoch, die Schülerinnen auf ihre späteren häuslichen Pflichten als Mutter und Ehefrau vorzubereiten; eine ernst zu nehmende intellektuelle Bildung wurde dort eher weniger vermittelt. Diese erhielten Mädchen in meist privaten Bildungsinstituten oder sogenannten Mädchenpensionaten, die ein Internat mit einer eigenen Schule verbanden.
Verglichen mit dem heutigen Schulsystem entsprachen die höheren Mädchenschulen etwa der fünften bis zehnten Klasse. Damit unterschieden sie sich grundlegend von den Gymnasien, den höheren Schulen für Jungen, die auch eine Oberstufe, die auf das Studium vorbereitete, und das Abitur als Abschluss, der zu einem Hochschulstudium qualifizierte, umfasste. Lange Zeit ermöglichte nur der Besuch eines Lehrerinnenseminars eine weiterführende und berufsqualifizierende Schulbildung für Mädchen.
Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts erhielt die Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich deutlich mehr Zulauf. Sie engagierte sich für eine bessere Frauenbildung und Zugang zu Berufen und Bildungswegen, die bisher Männern vorbehalten waren. Dies betraf neben der Zulassung zum Medizinstudium oder auch zur wissenschaftlichen Lehrerinnenausbildung ganz grundsätzlich eine höhere und berufsqualifizierende Bildung für Frauen. Erfolgreich waren diese Initiativen allerdings erst Ende des 19. Jahrhunderts hin, als studiumsvorbereitende Gymnasialkurse für Mädchen und eigene Mädchengymnasien eingerichtet wurden. Diese ersetzten die fehlende Oberstufe der Mädchenschulen.
Der Weg zum ersten Mädchengymnasium Deutschlands
1888 gründete die deutsche Frauenrechtlerin Hedwig Kettler den Verein Frauenbildungs-Reform in Weimar. Dieser Verein setzte sich in ganz Deutschland für die höhere Mädchenbildung und damit für die Einrichtung von Mädchengymnasien sowie die Zulassung von Frauen zur Hochschulreife ein. Verschiedene Landtage und Ministerien im deutschen Kaiserreich erhielten Petitionen des Vereins, in denen dieser um die Genehmigung für ein Mädchengymnasium bat. Die meisten reagierten ablehnend oder ignorierten die Anfrage. Positive Signale kamen aus dem liberalen Großherzogtum Baden und von dem Karlsruher Stadtrat.
So berichtete die Karlsruher Zeitung am 29. November 1891 ausführlich über die Diskussion, ob die Petition eines nicht-badischen Vereins überhaupt berücksichtigt werden könnte, was nach einiger Diskussion positiv beschieden wurde: Es ginge um ein Anliegen, das ganz Deutschland beträfe und darum auch Baden:
„Auch dem Inhalte nach sei die Petition zu einer Behandlung in diesem Hause wohl geeignet, da zur Zeit alle gebildeten Kreise sich mit der angeregten Frage beschäftigten. Das von dem Verein erstrebte Ziel sei lediglich eine Erhöhung der Erwerbstätigkeit von Frauen ohne politische Nebengedanken. Gerade der badische Staat sei es gewesen, der unter den ersten diesen Bestrebungen der Frauen freundlich begegnet sei.“
Ausgabe der Beilage zur Karlsruher Zeitung vom 29. November 1891, S. 2. – zum Digitalisat
Bereits zwei Monate später stand der Bericht der Petitionskommission auf der Tagesordnung des badischen Landtags, wie beispielsweise die Karlsruher Zeitung am 31. Januar 1892 für die Landtagssitzung am 1. Februar 1892 berichtete. Auch das Karlsruher Tagblatt informierte am 4. Februar 1892 über die Beratung zum Antrag der Frauenbildungs-Reform:
Ausgabe des Karlsruher Tagblatts vom 4. Februar 1892, S. 5. – zum Digitalisat
Im badischen Landtag muss kontrovers diskutiert worden sein. Dies zeigt die ausführliche Berichterstattung zu den Beratungen zum Beispiel in der Karlsruher Zeitung am 7. Februar 1892. Detailliert werden die Redebeiträge der einzelnen Abgeordneten beschrieben, die schlussendlich in die Befürwortung der Petition münden und den Antrag an die Großherzogliche Regierung überweisen. Rasch wurde deutlich: Zwar umfasste die Petition der Frauenbildungs-Reform die Bitte um Genehmigung eines Mädchengymnasiums, um Mädchen das Ablegen des Abiturs zu ermöglichen.
„Da diese Prüfung aber kaum einen Werth habe, wenn sie nicht der Schlüssel zum Universitätsstudium und zu gewissen wissenschaftlichen, insbesondere dem ärztlichen und dem höheren Lehrberuf bilde, so werde die Petition nur im Zusammenhang mit den auch auf die Zulassung der Frauen zur Universität gerichteten Bestrebungen erörtert werden können.“
So resümierte die Karlsruher Zeitung vom 7. Februar 1892.
Die Petition wurde positiv beschieden. Und doch kursierten Anfang des Jahres 1893 widersprüchliche Informationen in Deutschland, so dass sich auch die Badische Landes-Zeitung am 24. Februar 1893 nochmals klarstellend äußerte: Das erste deutsche Mädchengymnasium würde in Karlsruhe eröffnet.
Ausgabe der Badischen Landes-Zeitung vom 24. Februar 1893, S. 2. – zum Digitalisat
Am 16. September 1893 konnte im Gebäude der Volksschule in der Waldstraße 83 das erste Mädchengymnasium Deutschlands in einem feierlichen Festakt eröffnet werden. Bereits im Vorfeld wurde ausführlich über die Ziele, die Ausrichtung und den Lehrplan des Mädchengymnasiums berichtet, wie zum Beispiel in der Karlsruher Zeitung am 13. August 1893. Auch teilte der Verein mit, dass „zur dankbaren Erinnerung an die vorurteilsfreie Aufnahme seiner Schule seitens der Stadt“ zehn kostenfreie Plätze für Mädchen eingerichtet werden, die gebürtig aus Karlsruhe stammen oder mindestens vier Jahre eine Karlsruher höhere Schule besucht haben – wie man am 27. August 1893 dem Karlsruher Tagblatt entnehmen konnte. Die eigentliche Eröffnung war den meisten Zeitungen dann nur mehr eine kürzere Notiz wert, wie der Landbote am 21. September 1893 zeigt:
Ausgabe des Landboten vom 21. September 1893, S. 2. – zum Digitalisat
1897 geriet der Trägerverein des Mädchengymnasiums in finanzielle und organisatorische Probleme, sodass der Fortbestand der Schule gefährdet war. Die Stadt Karlsruhe übernahm sie und integrierte sie in die Höhere Mädchenschule in der Sophienstraße 14 als gymnasialen Zweig. Diese Schule wiederum geht auf eine Höhere Töchterschule zurück, die 1827 am Ettlinger Tor gegründet wurde und als Höhere Mädchenschule 1878 in die Sophienstraße 14 umgezogen war.
Die ersten Abiturientinnen
Dort konnten im Sommer 1899 die ersten vier von ursprünglich 28 Schülerinnen das Abitur ablegen. Die ersten Abiturientinnen waren Rahel Goitein (später Straus; 1880–1963), Magdalena Meub (später Neff; 1881–1966), Johanna Kappes (1879–1933) und Auguste Mainzer: Rahel Goitein und Johanna Kappes studierten als erste Frauen an den Universitäten Heidelberg und Freiburg Medizin; Magdalena Meub studierte als erste Frau an der Technischen Hochschule Karlsruhe und gilt heute als erste approbierte Apothekerin Deutschlands. Zu Auguste Mainzer ist nichts mehr bekannt. Immerhin die Karlsruher Zeitung erwähnte dieses erste offiziell anerkannte Abitur von Mädchen in seiner Ausgabe vom 21. Juli 1899:
Ausgabe der Karlsruher Zeitung vom 21. Juli 1899, S. 2. – zum Digitalisat
Karlsruher Mädchengymnasium heute
Das Interesse der Mädchen war groß und die Schule wuchs rasch. Nachdem das bisherige Gebäude zu klein wurde, zogen der Gymnasialzug und Teile der Höheren Mädchenschule 1911 in ein neu errichtetes Gebäude in der Sophienstraße 147. Bis heute befindet sich dort die Nachfolgeschule des ersten Mädchengymnasiums, das 1951 nach dem deutschen Dichter Gotthold Ephraim Lessing umbenannt wurde, das heutige Lessing-Gymnasium. Im ursprünglichen Gebäude in der Sophienstraße 14 ist mittlerweile das Fichte-Gymnasium untergebracht, das wiederum auf die zurückgebliebenen Teile der Höheren Töchterschule zurückgeht und nach dem deutschen Philosophen Johann Gottlieb Fichte benannt ist. Beide Gymnasien werden seit 1973 von Jungen und Mädchen besucht.
Heute ist das St. Dominikus Mädchengymnasium die einzige weiterbildende gymnasiale Schule in Karlsruhe, die nur von Mädchen besucht wird. Sie geht zurück auf eine private Mädchenrealschule seit 1928, in der Dominikanerinnen aus dem Kloster Zoffingen in Konstanz unterrichteten. Seit 1993 trägt die Schulstiftung der Erzdiözese Freiburg das Gymnasium.
2018 feierten das Lessing- und das Fichte-Gymnasium gemeinsam 125 Jahre Mädchengymnasium, um an diesen Meilenstein in der Bildungsgeschichte zu erinnern. Wir gratulieren zum 130. Geburtstag ganz herzlich!
Ausgewählte Literatur:
- Juliane Jacobi: Mädchen- und Frauenbildung in Europa: Von 1500 bis zur Gegenwart. Frankfurt am Main/New York 2013.
- Bernd Zymek/Gabriele Neghabian: Sozialgeschichte und Statistik des Mädchenschulwesens in den deutschen Staaten 1800–1945. Göttingen 2005.
- Elke Kleinau (Hg.): Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung. 2 Bde. Frankfurt am Main 1996.
Zum Internetauftritt des Karlsruher Lessing-Gymnasiums geht es hier.
Zum Internetauftritt des Karlsruher Fichte-Gymnasiums geht es hier.
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Höhere Mädchenschule mit Mädchengymnasium (Karlsruhe)
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