Ein Kunstwerk gegen den Krieg: Mit „Guernica” setzt Picasso ein monumentales Zeichen
A. Fischer 15.7.2021 7.33 Uhr
DOI: https://doi.org/10.58019/d0cj-0y49
Mit dem Kunstwerk „Guernica” hat Pablo Picasso nicht nur eines der bedeutendsten Gemälde des 20. Jahrhunderts geschaffen, sondern auch ein intensives und ausdrucksstarkes Zeichen gegen Krieg und Terror gesetzt. Erstmalig präsentiert wurde das Werk vor 84 Jahren: Es wurde am 12. Juli 1937 auf der Weltausstellung in Paris im spanischen Pavillon vorgestellt.
Verstehen lässt sich die monumentale Szenerie voller Leid und Schmerz — sie umfasst rund 27 Quadratmeter — nur im Kontext geschichtlicher Ereignisse. Seit 1936 tobte in Spanien ein Bürgerkrieg zwischen den rechtsgerichteten Putschisten unter Francisco Franco und der demokratisch gewählten Regierung.
Pablo Picasso: Guernica. (Reproduktion auf Fliesen in Gernika). Foto by Almudena Sanz
April 1937: Ein verheerender Angriff trifft die baskische Stadt Guernica
Francos Ansinnen war, Spanien unter seine Kontrolle zu bringen. Er hatte das politisch verbündete Deutschland um Hilfe gegen die demokratischen Truppen gebeten. Adolf Hitler nahm dies als Anlass, seine damals noch junge und unerprobte Luftwaffe einem ersten Test zu unterziehen. 1937 befahl er die Unterstützung Francos durch die Fliegerstaffel Legion Condor. Am 26. April 1937 erfolgte ein verheerender Luftangriff auf die baskische Stadt Guernica, bei dem eine Vielzahl von Brand- und Splitterbomben eingesetzt wurden. Als Vorzeichen der Barbarei des bevorstehenden Weltkrieges nahm die deutsche Luftwaffe besonders die schutzlose Zivilbevölkerung der Stadt ins Visier. Hunderte Menschen verloren während dieses Angriffs und in den nachfolgenden Feuerstürmen ihr Leben. Guernica, die einst so stolze baskische Stadt, war am 27. April zu einem Ort des Todes und der Asche verkommen.
Picasso, der ursprünglichen einen völlig unpolitischen künstlerischen Beitrag zur Weltausstellung in Paris geplant hatte, war zutiefst betroffen von der Barbarei des Angriffs auf Guernica. Am 1. Mai 1937 entschied er, den Toten und Verwundeten eine Stimme auf der internationalen Bühne der Weltausstellungen zu geben und ihr Leid öffentlich zu proklamieren.
Picasso nutzt Chaos als Symbol des Terrors
Das monumentale, in monochrom ausgeführte Bild wirkt auf den ersten Blick wie ein wildes Potpourri verschiedenster Figuren und Elemente. Stilistisch erscheint das Bild anfänglich klar dem Kubismus verhaftet, doch finden sich alsbald auch zahlreiche geometrische, surrealistische und anamorphe Elemente.
So unverständlich der Bildaufbau anfangs auch erscheinen mag, so folgt doch alles einer sinngemäßen Ordnung. Die monochromatische Farbgebung erweist sie sich als geschickt eingesetztes Mittel, um einen Kontrast zwischen einzelnen Motiven zu schaffen, obwohl sie zu Anfang noch einer Unterscheidung einzelner Bildelemente entgegenzustehen scheint.
Das Zentrum des dargestellten Geschehens ist leicht aus der Bildmitte herausgerückt: Eingerahmt von einem angedeuteten Dreieck liegt eine tote Kriegerfigur auf dem Boden. Ihre Hand umklammert ein abgebrochenes Schwert, der Mund ist zu einem Todesschrei geöffnet, der Körper in seine Einzelteile zersplittert. Über dem gefallenen Krieger bäumt sich ein verwundetes und angsterfülltes Pferd auf. Ein Speer hat es durchbohrt. Gefangen im Augenblick scheint es einen letzten, nicht vorhandenen Ausweg aus dem Leid zu suchen. Dabei trampelt es vor Furcht über den gefallenen Krieger.
Wunden, Schmerz und Tod sind auf dem Gemälde zu erkennen
Von rechts schleppt sich eine Frauenfigur herbei, gebückt, den Blick nach oben gerichtet. Darüber strebt eine weitere Frauenfigur aus einem Fenster in Richtung des Bildzentrums. In ihrer Hand hält sie eine Petroleumlampe, die sie enthusiastisch nach vorne streckt – als könnte sie dem dargestellten Chaos dadurch Einhalt gebieten. Ganz rechts am Bildrand findet sich eine weitere, von einem Feuer eingeschlossene Person, die Hände und den Blick voller Schmerz nach oben gerichtet.
Auf der linken Bildseite lassen sich vier weitere Bildmotive identifizieren. Eine kniende Mutter mit ihrem toten Kind im Arm. Ihr Kummer und Schmerz manifestieren sich in einem tiefen, herzzerreisenden Wehklagen, dessen Widerhall den Mikrokosmos der Leinwand zu durchbrechen scheint. Darüber ein Stier, dessen Körper wie gelähmt zu sein scheint, wohingegen seine Mimik Angst und Fassungslosigkeit widerspiegeln. Neben ihm, ganz im Hintergrund, zeichnet sich ein Vogel ab.
Überkrönt wird die Szenerie von einer an ein Auge erinnernden Lampe, die ihre harten und kurzen Lichtstrahlen auf das Geschehen aussendet. Sie ist eines der kleineren Bildelemente, doch sie scheint die gesamte Szenerie zu dominieren.
Für die Motive gibt es viele Interpretationen
Die einzelnen Bildmotive können auf vielschichtige Weise gedeutet werden. Auf der linken Bildseite findet sich die kniende Frau mit ihrem toten Kind. Ihre Anlage ist der christlichen Ikonografie, der Pietà, entlehnt. Zusammen mit dem dahinter gelagerten Stier und der brennenden Frau auf der rechten Bildseite rahmt sie das Geschehen im Zentrum, ähnlich einem Triptychon. Der gefallene Krieger, die von rechts herbeieilende Frau und dass sich aufbäumende Pferd sind von Picasso in einer aufstrebenden pyramidalen Gruppe zusammengefasst worden, deren Spitze die vorgestreckte Petroleumlampe bildet. Ist diese ein Symbol der Aufklärung? Oder ein Widerpart zu der alles überstrahlenden Lampe? Diese wurde nicht nur als Auge Gottes gedeutet, sondern auch als Symbol für die harte und kalte Realität der Technisierung, die diese Form der Kriegsführung erst ermöglichte.
Das Pferd und der Stier tauchen in Picassos Oeuvre in zahlreichen Varianten auf. Die Interpretationen gehen auseinander, oftmals aber werden sie als Symbole Spaniens gedeutet. Das verwundete Pferd steht für das Leid der gesamten Bevölkerung, wohingegen der Stier seine Standhaftigkeit symbolisiert. So klar manche Interpretationen erscheinen, so viele offene Fragen beschäftigen die Forschung bis heute.
Auffallend im Hinblick auf die gewaltigen Dimensionen und die Bildfülle des Kunstwerkes ist seine kurze Entstehungsphase. Allein zwischen dem 1. und 9. Mai 1937 schuf der Künstler 46 Studien, aus denen Guernica schließlich hervorgehen sollte. Das Werk selbst malte Picasso dann innerhalb von nur zwei Wochen. Erwähnenswert ist die Tatsache, dass die immensen Dimensionen dieses künstlerischen Mahnmals — 349,3 Zentimeter auf 776,6 Zentimeter — keineswegs Picasso, sondern dem Architekten des spanischen Pavillons auf der Weltausstellung, Josep Lluís Sert, zuzuschreiben sind. Mit seinem Bau gab er die Rahmenbedingungen für dieses bedeutende Kunstwerk vor.
Sowjets gegen Nationalsozialisten: Der Kampf der Systeme reicht bis in die Weltausstellung 1937 hinein
Politisch gesehen dominierten zwei andere Exponate das Bild der Weltausstellung. In geringer Entfernung zueinander standen sich der Sowjetische Pavillon von Boris Iofan und das Deutsche Haus des Architekten Albert Speer gegenüber. Iofan hatte den Pavillon der Sowjets im Stile des Sozialistischen Klassizismus umgesetzt. Es war ein Bauwerk, das an eine ansteigende Treppe erinnerte. Auf dieser war eine gigantische Figurenplastik angesiedelt: „Arbeiter und Kolchosbäuerin“. Das von Wera Mucchina konzipierte Figurenpaar griff die ansteigende Bewegung des architektonischen Sockels auf und verwandelte sie in eine nach vorne stürmende Bewegung der beiden Figuren, welche als Symbol für die fortschreitende Entwicklung des Kommunismus verstanden werden müssen.
Dem gegenüber stand ein statisch und monumental ausgeführter, 55 Meter hoher Turmbau, der von einem gewaltigen Reichsadler mit Hakenkreuz überkrönt war. Speer überhöhte den eigenen Bau wohl auch, weil er die Entwürfe der Sowjets gekannt haben dürfte. Sein Turm fungierte symbolisch gesehen als festes Bollwerk gegen die anstürmenden Sowjets. Das Bauwerk vermittelte: Nichts würde das Nationalsozialistische System ins Wanken bringen.
Im Hinblick auf diese extrovertierten Monumentalbauten, die das politische Ansinnen der beiden Systeme nahezu in die Welt schrien, wirkt das in eine Architektur integrierte Kunstwerk Picassos zurückhaltender.
Aber Großartigkeit zeigt sich nicht in den Dimensionen eines Werkes, sondern in seiner Strahlkraft und Botschaft. Picasso hat mit seinem Werk Guernica eindrücklich dargestellt, dass Krieg und Terror nichts Heroisches mit sich bringen. Sie sind Vorboten von unermesslichem Leid und Schmerz, von Vernichtung und unvorstellbarer Gewalt.
Picasso schuf damit nicht nur eines der wichtigsten Gemälde des 20. Jahrhunderts, sondern auch ein Kunstwerk, das bis heute nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat.
Wer sich näher mit Picasso und „Guernica“ beschäftigen möchte, dem sind folgende Bücher aus der Badischen Landesbibliothek ans Herz zu legen:
Guernica oder Picassos „Abscheu vor der militärischen Kaste“ / Jörg Martin Merz. - Freiburg i. Br. ; Berlin ; Wien: Rombach Verlag, 2017. - Signatur: 117 A 12484.
Picasso malt die Verzweiflung : eine Analyse von Picassos Bildserie „Guernica postscriptum“ aus dem Jahre 1937 / Manfred Oehmichen. - München: Literareon, 2016. - Signatur: 116 E 2182.
Schwerpunkt: Hauptwerke politischer Kunst im 20. Jahrhundert = Icons of 20th-century political art / Herausgeber dieses Bandes: Andrew Hemingway, Nobert Schneider. - Göttingen: V&R unipress, 2016. - Signatur: 104 A 6833,18.
Guernica : Biographie eines Bildes / Gijs van Hensbergen. Aus dem Engl. von Nikolaus G. Schneider. - München: Siedler, 2007. - Signatur: 107A 3588.
Picasso, Pablo
Guernica