Kurt Knittel: Vom ideologischen Schulungsleiter in Auschwitz zum Mitarbeiter der Badischen Landesbibliothek

Schwarz-weiß-Portrait von Kurt Knittel

Brustbild von Kurt Knittel © Stadtarchiv Karlsruhe 8/BA Schmeiser 4443 Knittel, Kurt 1948

Gerrit Heim 5.2.2025

DOI: https://doi.org/10.58019/x12t-9912

1975 schied Kurt Knittel aus dem aktiven Landesdienst aus. Damit endete eine Laufbahn, die im Schuldienst begann, während des Zweiten Weltkrieges als ideologischer Schulungsleiter nach Auschwitz führte und schließlich in der Badischen Landesbibliothek ihren Abschluss fand.

Kurt Knittels Werdegang ist in vielerlei Hinsicht exemplarisch für die Tätergeneration des Nationalsozialismus. Geboren 1910 als Sohn eines Bankangestellten, war er zu jung um am Ersten Weltkrieg teilzunehmen. Das empfundene Manko der fehlenden Fronterfahrung versuchte diese Generation durch eine zur Schau gestellten Härte oder auch Sachlichkeit auszugleichen. Ausbildung und Studium erfolgten in der krisengeschüttelten Weimarer Republik und der Berufseinstieg im sich formierenden NS-Staat. Knittel arrangierte sich schnell mit den neuen Verhältnissen. Zunächst ohne Anstellung, ebnete er durch einen Eintritt in die SS 1933 seiner Karriere als Lehrer im badischen Staatsdienst den Weg. Ab 1935 ist seine Tätigkeit als Sturmschulungsmann in Karlsruhe nachgewiesen. Die SS-Mitgliedschaft nutzte Knittel um für ihn unliebsame Entwicklungen zu verhindern. Mehrfach gelang es ihm eine Versetzung aus Karlsruhe über seine SS-Kontakte zu blockieren.
 

Karriere im NS-Vernichtungssystem

Seine Karriere im nationalsozialistischen Vernichtungssystem begann mit Kriegsbeginn. Zunächst zur Wehrmacht einberufen, wechselte er bald zu SS-Einheiten – später gab er an, dass dies zwangsweise geschah. Von der 8. SS-Totenkopfstandarte in Krakau und Radom kam er über die 5. SS-Totenkopfstandarte in Stettin nach Sachsenhausen. Hier war er am Aufbau des Konzentrationslagers und der dortigen Schulungsabteilung beteiligt. 1941 richtete die SS jenes Konzentrationslager ein, das wie kein anderes für das Vernichtungsprogramm der Nationalsozialisten stehen sollte: Auschwitz. Knittel wurde dort Schulungsleiter und bleibt es bis zur Lagerauflösung. Kein anderer Schulungsleiter diente so konstant an einem Ort wie er. Auch hier war Knittel ein typischer Vertreter, denn im Lagersystem waren 21 Schulungsleiter von Beruf Lehrer. Nach der Auflösung des Lagers wechselte Knittel zusammen mit der KZ-Leitung in das Lager Mittelbau-Dora.

Als Schulungsleiter oblag es ihm, die Moral der Wachmannschaften hoch zu halten und damit zumindest mittelbar den reibungslosen Tötungsbetrieb zu gewährleisten. Dazu organisierte er zahlreiche kulturelle Veranstaltungen zur Zerstreuung, aber eben auch politische Vorträge, um die ideologische Standfestigkeit der Wachmannschaften zu gewährleisten.

Nach Kriegsende: Rückkehr in den Schuldienst

Nach Kriegsende tauchte er in seiner Heimatstadt Karlsruhe wieder auf, wurde dort wegen seiner SS-Mitgliedschaft verhaftet und in Kornwestheim interniert. Wie vielen anderen Tätern gelang es auch Knittel, sich als Unbeteiligter zu inszenieren, der vom Vernichtungsprogramm nichts gewusst habe. Knittel konstruierte hier das Selbstbild des Kulturmenschen, der den Wachmannschaften ein kulturelles Unterhaltungsprogramm bot. Dies sollte bis zu seinem Lebensende so bleiben. Die Spruchkammer stufte ihn 1947 nur als „minderbelastet“ ein.

Danach gelang ihm eine geräuschlose Rückkehr in den badischen Schuldienst und das Kulturleben der Stadt. Knittel gründete und leitete die Jugendbühne des Badischen Staatstheaters, war Geschäftsführer der Volksbühne und saß im Verwaltungsrat der Hochschule für Musik. Politisch engagierte er sich – ebenfalls typisch für ehemalige Nationalsozialisten – in der FDP.

Versetzung an die Badische Landesbibliothek

Doch gegen Ende der 1950er-Jahre begann sich das politische Klima in der Bundesrepublik zu ändern. Eine neue Generation von Juristen stellte den bleiernen Mantel des Schweigens in Frage, der die Täter lange Zeit geschützt hatte. Der Frankfurter Auschwitzprozess riss Knittel aus seiner bürgerlichen Existenz. Kurz zuvor noch an das Oberschulamt befördert, erregt seine Vernehmung als Zeuge die Aufmerksamkeit der Presse. So mancher Prozessbeteiligte meinte, Knittel hätte ebenso gut auf der Anklagebank sitzen können.

Für die baden-württembergische Landesregierung war der Fall brisant. Ihr war die Tätigkeit Knittels in Auschwitz stets bekannt. Das allein war also kein beamtenrechtlicher Grund, die letzte Beförderung rückgängig zu machen oder ihn gar aus dem Dienst zu entfernen. Stattdessen nutzte man die nun bekannt gewordenen politischen Vorträge als Hebel. Knittel selbst sah sich zu Unrecht verfolgt und intervenierte mehrfach persönlich sowie über seine FDP-Kontakte in den zuständigen Ministerien. Dort wollte man ihn möglichst aus der Öffentlichkeit entfernen. Nachdem seine Suspendierung nicht mehr aufrechterhalten werden konnte, ordnete man ihn an die Landesanstalt für Erziehung und Unterricht in Stuttgart ab. Ausweislich der Aktenlage aus dem Kultusministerium konnte Knittel froh sein, überhaupt wieder im Dienst zu sein, denn dort war man massiv über seine Uneinsichtigkeit verärgert. Knittel sah das allerdings anders und beschwerte sich über den Dienstort Stuttgart. Auch die beteiligten Ämter waren mit der ungeklärten Personalsituation unzufrieden.

So verfiel das Kultusministerium auf die Idee, Knittel in die Badische Landesbibliothek zu versetzen. Direktor Franz Anselm Schmidt wehrte sich nach Kräften gegen den unliebsamen Neuzugang, konnte aber die Abordnung und spätere Versetzung nicht verhindern. Fachlich integrierte sich Knittel rasch in sein neues Wirkungsfeld und übernahm Aufgaben im Sachkatalog und in den Sammlungen.

Damit endete die Causa Knittel aber nicht. Das Land setzte die widerrufene Beförderung in einem mehrjährigen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht durch. Knittel arbeitete daraufhin beharrlich an seiner Wiederbeförderung. Dabei setzte er die Landesregierung gezielt unter Druck, indem er andeutete, notfalls in den Schuldienst zurückzukehren, um eine – aus seiner Sicht – angemessene Besoldung zu erhalten. Mit Erfolg: Er wurde zweimal befördert und schließlich 1975 mit einer Besoldung nach A 13 ordentlich in den Ruhestand versetzt.

Kurt Knittel wurde für seine Tätigkeit im KZ Auschwitz zeitlebens nicht zur Rechenschaft gezogen.

Literatur:

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