Clara Faisst zum 150. Geburtstag
Brigitte Knödler-Kagoshima 22.6.2022 9 Uhr
DOI: https://doi.org/10.58019/x8z7-r207
Clara Mathilde Faisst, deren 150. Geburtstag wir am 22. Juni 2022 feiern, war eine vielseitig begabte Künstlerin und wirkte als Komponistin, Musikpädagogin, Pianistin und Dichterin. Geboren wurde sie 1872 in Karlsruhe, wo sie auch ihre erste musikalische Ausbildung am Großherzoglichen Konservatorium erhielt. Ab 1894 studierte sie an der Königlichen Hochschule für Musik in Berlin und wurde dort von Woldemar Bargiel (1828–1897), Max Bruch (1838–1920), Ernst Rudorff (1840–1916) und Robert Kahn (1865–1951) unterrichtet. Im Anschluss an ihre Rückkehr nach Karlsruhe im Jahr 1901 arbeitete sie als Künstlerin und Lehrerin. Sie blieb unverheiratet und verdiente ihren Lebensunterhalt mit Unterrichten und Konzertieren. Ihre Vokal- und Instrumentalwerke wurden in Karlsruhe öffentlich aufgeführt, teilweise erschienen ihre Werke auch im Druck. Zahlreiche Kontakte und Freundschaften pflegte sie mit bedeutenden Persönlichkeiten wie Max Bruch, Hans Thoma (1839–1924), Willy Rehberg (1863–1937), Albert Schweitzer (1875–1965) und Wilhelm Furtwängler (1886–1954). Besonders wichtig waren ihre künstlerischen Auftritte, die regelmäßig in ihrer Wohnung stattfanden.
Im Karlsruher Adressbuch von 1901 (28. Jahrgang) ist Clara Faisst erstmals in der Friedenstraße 7 mit der Berufsangabe „Pianistin“ aufgeführt, ab der Ausgabe von 1921 (48. Jahrgang) dann in der Kriegsstraße 75 mit der Berufsangabe „Tonkünstlerin“. Im Karlsruher Adressbuch von 1949 (73. Jahrgang) ist sie letztmals in ihrer Wohnung in der Kriegsstraße 75 verzeichnet.
Die Künstlerin starb am 22. November 1948 im Alter von 76 Jahren in Karlsruhe.
Clara Faisst in ihrem Musikzimmer mit zwei Flügeln in der Kriegsstraße 75 in Karlsruhe.
Foto, um 1936. Badische Landesbibliothek, Signatur Mus. Hs. 1420a
Die Badische Landesbibliothek hat inzwischen Werke Clara Faissts in den Digitalen Sammlungen unter https://digital.blb-karlsruhe.de/topic/view/4976308 veröffentlicht. Neben Musikhandschriften und Musikdrucken wurden auch die Gedichtbände „Stimmungen und Bilder in Versen“, „Hörst du Den Ton?“ und „Matan“ der Künstlerin digitalisiert.
Clara Faisst: Stimmungen und Bilder in Versen. Karlsruhe: Reiff, 1910.
Badische Landesbibliothek, Signatur 112 A 71155 R
Bei einer Auktion im Jahr 2021 konnte die Badische Landesbibliothek eine Sammlung von eigenhändigen Briefen und Postkarten von und an Clara Faisst erwerben. Entstanden sind sie in den Jahren um 1934 bis 1947. Teile dieser Briefsammlung – die Briefe Clara Faissts an Hans Berblinger – stehen inzwischen ebenfalls in den Digitalen Sammlungen der Badischen Landesbibliothek unter https://digital.blb-karlsruhe.de/blbhs/content/titleinfo/7103160 zur Verfügung.
Hans Franz Wilhelm Berblinger wurde am 19. Juli 1878 in Karlsruhe geboren. Verheiratet war er mit Frances Emily Millicent Berblinger geb. Tompson, die er am 4. Juni 1907 in Esclusham im Nordosten von Wales geheiratet hatte. Hans Berblinger war wie sein Vater Fabrikdirektor des Bruchsaler Eisenbahnsignalwerks. Über die Firma informiert ein Artikel in der Badischen Chronik der Badischen Presse vom 2. März 1937 unter der Überschrift „Zwischen Eisenhämmern und Semaphoren – Besuch in den vereinigten Eisenbahnsignalwerken Bruchsal“: „Eine Industrie, die für die Sicherheit des öffentlichen Lebens besorgt ist und in Baden einzig dasteht, beherbergt die Stadt Bruchsal in den Vereinigten Eisenbahnsignalwerken G.m.b.H. Das Werk, das sich im Jahre 1928 nach vielerlei Wandlungen mit der Eisenbahnsignalbauanstalt in Braunschweig und mit der Sicherungsabteilung von Siemens u. Halske, mit denen es in enger Verbindung stand, zusammenschloß in die Vereinigten Eisenbahnsignalwerke G.m.b.H., wurde im Jahr 1869, vor beinahe siebzig Jahren, durch die Herren Schnabel und Henning gegründet und steht unter der Leitung von Direktor Berblinger. Es war die erste Spezialfabrik in Süddeutschland für die Herstellung mechanischer Eisenbahnsicherungseinrichtungen, und es baute ausschließlich Stellwerke und Außenteile nach eigener Bauform.“ Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Firma vom Siemens-Konzern übernommen.
Hans Berblinger, aufgenommen von Clara Faisst Ende Oktober 1947 vor seinem Haus in Karlsruhe-Durlach.
Stadtarchiv Karlsruhe, 8/PBS oIII 1404
Im Karlsruher Adressbuch von 1943/44 (70. Jahrgang) ist Hans Berblinger letztmals in seiner Wohnung in der Bahnhofstraße 46 mit der Berufsangabe „Fabrikdirektor“ aufgeführt. Seine Wohnung wurde im Dezember 1944 bei einem Fliegerangriff bombardiert und damit unbewohnbar. In den Karlsruher Adressbüchern von 1945/46 (71. Jahrgang) und 1947 (72. Jahrgang) ist er letztmals verzeichnet, und zwar mit der neuen Adresse Nonnenbühl 4 in Karlsruhe-Durlach und dem Hinweis auf seinen Ruhestand („außer Dienst“). Hans Berblinger starb am 27. Dezember 1947 im Alter von 69 Jahren in Karlsruhe-Durlach, kurz zuvor war seine Ehefrau Frances am 5. August 1947 gestorben.
Clara Faisst und Hans Berblinger waren Musikpartner, jahrzehntelang spielten sie gemeinsam Kammermusik auf zwei Klavieren. Den Aufzeichnungen in einem „Musikbüchlein“ Hans Berblingers im Stadtarchiv Karlsruhe ist zu entnehmen, dass sie ab 23. Dezember 1919 bis kurz vor dem Tod Hans Berblingers gemeinsam musizierten, nur unterbrochen durch einen Aufenthalt Clara Faissts in Heidelberg von Dezember 1944 bis Juni 1945 (Stadtarchiv Karlsruhe, 8/StS 13 Nr. 138).
Clara Faisst schreibt in ihren Briefen u.a. über Persönlichkeiten aus Karlsruhe, wie beispielsweise über Hans Thoma in einem Brief vom 6. Juni 1943 aus Karlsruhe:
„Thoma ist zum Protestantismus übergetreten, trotzdem, oder vielleicht weil er so wahrhaftig im religiösen Denken war. Ich sprach über viele mich quälende Fragen des Christentums mit ihm. Er hatte so gütiges Verstehen auch für anderes Denken als das seine. Er war aber auch so unbeirrbar fest in seinem Glauben, daß man immer stark berührt von ihm ging. Dabei war er trotz der vielen Weisheiten, die er sich durch lesen der bedeutenden Schriften auf allen geistigen Gebieten errungen hatte, so unglaublich, fast kindlich einfach und unkompliziert in seinen Auffassungen geblieben. Sein Glaube war stark gewurzelt, nur hätte er ihn eigentlich froher machen müssen! (den Hansjakob auch!)
Er war – ich lernte ihn ja erst im Alter persönlich kennen – nie so recht, nie übermütig fröhlich! Vielleicht lag das an seiner schweren alemannischen Art. Ich habe ihn nie so heiter lachen sehen, auch nicht, wenn an Lustiges erzählte. Es war immer etwas um ihn, was mich manchmal ganz still werden ließ, wo ich eigentlich meiner Freude hellen Ausdruck geben wollte. Es war wie etwas „Heiliges“ um ihn, das Ehrfurcht erzwang. Ich bin so dankbar, daß ich ihm näher treten durfte und daß er mich aus dem ausgezeichneten Portrait von Carl Vocke täglich mit seinen so warmen braunen Seheraugen anblickt, wenn ich meinen Musikraum betrete.“
Über weite Passagen sind die Briefe Clara Faissts von ihren religiösen Vorstellungen beeinflusst. Ein Beispiel findet sich in einem Brief vom 9. März 1945 aus Heidelberg:
„Mein fester Glaube ist der, daß Gott, den wir mit immer schwererem Begreifen so nennen, unsere Opfer auf der Ewigkeitswaage wiegt, die gerechter sein, wird, als wir nur ahnen!
Das Hassen der Völker nimmt zu und die Liebe nimmt ab, das ist verständlich. Hass und Rachsucht sind die dunkelsten Mächte der Erde. Dadurch kommt der Krieg zu keinem Stillstand und nimmt Dimensionen der Vernichtung an, die den Menschen tief unter das Tier stellen. Wie die Zukunft sich gestaltet? Ich grüble nicht mehr darüber – versuche nur täglich das Flämmlein meiner Liebe wach zu halten, damit es dem Nächsten meines Weges etwas Licht auf dunklen Weg strahlt. Das ist alles, was ich tun kann.“
Immer wieder kommt Clara Faisst auf ihre Arbeit als Musikerin und Komponistin zurück, wie ein Ausschnitt aus einem Brief vom 17. März 1945 aus Heidelberg zeigt:
„In einer Musikal.Handlung hier, wo ich meine eigenen Lieder kaufte, stand ein älterer Herr neben mir, der sehr aufpasste, als ich meinen Namen nannte. Eine helle Freude kam in sein sehr ernstes Gesicht, als er zu mir sage: Jetzt lerne ich die C.F. endlich persönlich kennen! Ich bin Studienrat Müller u. habe einige Ihrer volkstümlichen Lieder mit meinen Schulklassen einstudiert. Die Schüler sangen mit Begeisterung Ihr „Wenn ich hoch oben geh!“ – Das freute mich natürlich.“
Clara Faisst: Wenn ich hoch oben geh. Für eine Singstimme und Klavier.
Text: K. Hauptmann. Karlsruhe: Selbstverlag, circa 1915.
Badische Landesbibliothek, Signatur M 6517 RH
Die Briefe lassen auch erkennen, wie betroffen Clara Faisst von den Kriegsereignissen ist. Als Beispiel sei hier ein Brief vom 25. März 1945 aus Heidelberg aufgeführt:
„Auch Herr Strack war am Sonntag sehr gedrückt! Er ist sehr mit Arbeit überhäuft, ich besuchte Stracks in der Wohnung der Tochter in Neuenheim – in der Wohnung wollten sie über die Geburt des zu erwartenden Kindes bleiben, mussten aber am Sonntag alles wieder auf die Heidelb. Seite des Neckars zurückschaffen lassen, da der Plan bestand, die 3 Neckarbrücken sprengen zu lassen, dann wäre die Familie auseinandergerissen worden! Heute Nacht 11 Uhr sollte die Sprengung der Brücken erfolgen. Wir mussten alle Fenster öffnen u. in den Keller gehen, wegen des Luftdruckes. Die Detonationen, die wir hörten, ähnelten sehr einer Sprengung u. wir saßen ¾ St. unten. Heute hörte ich, daß gottlob, die Brücken noch stehen! So ein unsinniger Plan ist ja unverantwortlich! Die schöne alte Brücke zu zerstören, weil vielleicht – – –- aber sprengvorbereitet sind alle 3 Brücken. Karlsruhe liegt auch im Bereich der feindl. Artillerie. Die Tochter des alten Schauspielers Höcker wurde getötet auf dem Haydnplatz! Der schwerste Schlag für die armen Eltern! Herr Prof. Maier verlor seinen ältesten Sohn Günther auf einem Aufklärungsflug über Norwegen. Es war der ältere der beiden hochbegabten Brüder, der so schöne Farbaufnahmen machte! Sie lernten ihn damals ja kennen. Ich bin den Eltern wie auch den Söhnen nahe verbunden und so hat mich die Nachricht sehr berührt.“
Clara Faisst: Variationen über den Choral "Vom Himmel hoch" für 2 Claviere.
Herrn Hans Berblinger zugeeignet. Juli 1933.
Badische Landesbibliothek, Signatur Mus. Hs. 1411,2
In der Badischen Landesbibliothek werden zwei Musikhandschriften Clara Faissts mit Widmungen an Hans Berblinger aufbewahrt – „Variationen über den Choral ‚Vom Himmel hoch‘ für 2 Claviere“ und „Rautendeleins Lied".
Auch eine Sammlung von Sonetten Clara Faissts ist Hans Berblinger gewidmet. Das Werk mit der Aufschrift „Dem lieben Freund Hans Berblinger“ wird im Stadtarchiv Karlsruhe aufbewahrt (Stadtarchiv Karlsruhe, 8/StS 13 Nr. 1264). Die zwölf Sonette mit den Überschriften „Der Musikfreund“, „Der Maler“, „Der Reiter“, „Der Hochtourist“, „Der Jäger“, „Der Weltbereisende“, „Übermut“, „Dein Schenken“, „Im Gespräch“, „Geheimnis“, „Bach Choral“ und „Ende“ sind kurz nach dem Tod Hans Berblingers entstanden.
Literatur:
Martina Rebmann: Faisst, Clara, Komponistin, Pianistin, Dichterin und Musikpädagogin. In: Badische Biographien, N.F. 6. 2011, S. 104–106.
Martina Rebmann: Auf den Spuren der Karlsruher Komponistin und Dichterin Clara Faisst (1872–1948): komponieren kann man allenfalls lernen – dichten in Tönen – nie!. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, N.F. 115 = 154. 2006, S. 517 – 555.
Martina Rebmann: "Soll sie dazu bestimmt sein, unwirksam zu vergehen?": die Karlsruher Komponistin und Dichterin Clara Faisst (1872-1948). In: Klangwelten, Lebenswelten: Komponistinnen in Südwestdeutschland: [eine Ausstellung der Badischen Landesbibliothek vom 6. Oktober 2004 bis 3. Januar 2005 und der Württembergischen Landesbibliothek vom 2. Februar bis 24. März 2005] / hrsg. von Martina Rebmann und Reiner Nägele. Stuttgart: Württembergische Landesbibliothek, 2004, S. 150–177.
Heinrich Löber und Udo Wennemuth: Die Nachlässe der Pfarrer Ernst Lehmann (1861 - 1948) und Kurt Lehmann (1892 - 1963) sowie der Musikerin und Dichterin Clara Faisst (1872 - 1948) im Landeskirchlichen Archiv Karlsruhe. In: Jahrbuch für badische Kirchen- und Religionsgeschichte. 6. 2012, S. 321– 330.
Faisst, Clara
Briefsammlung
Badische Landesbibliothek
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