Von Frauen, Küchen und der Geschlechtsspezifik eines Raumes in der Werbung
Katharina Bauer (Gastautorin) 2.6.2023 18.40 Uhr
DOI: https://doi.org/10.58019/mm5q-pv29
In diesem Text soll es in erster Linie um Frauen gehen. Dennoch möchte ich ihn mit einem Mann beginnen: Besagter Herr hat viel zu tun. Er schnippelt, brät und wäscht in gleich dreifacher Ausführung frische Zutaten, die über den modernen Küchenblock der Firma bulthaup verteilt liegen. Sein Erscheinungsbild unterstreicht, dass er sich wohl häufig hinter dem Herd aufhält und sich bestens auskennt: Sein blau-weißes Hemd erinnert an die Jacke eines Berufskochs und verleiht der Küche auf diese Weise einen professionellen Charakter.
Werbeanzeige der Firma bulthaup, in: Schöner Wohnen, 8/1990, S. 27. – zum Katalog
Was heute normal erscheint, ist im Jahr 1990 ziemlich modern. Denn die Männer sind – zumindest in der Werbung – noch nicht so lange im Küchenraum aufzufinden, wie es die Souveränität unseres (Hobby-)Chefkochs vermuten lässt. Ganz im Gegenteil – die Konnotation der Küchenwerbung ist bis dahin vor allem eines: weiblich.
Von Frauen und Küchen
Bis weit in die 1980er-Jahre hinein zieren in erster Linie Frauen die Fotografien und Anzeigen, mit denen Küchenhersteller ihre Produkte bewerben. Darstellungen, wie das Mutter-Tochter-Paar aus einer Miele-Anzeige des Jahres 1977, vermitteln ein Gefühl von Geborgenheit und Mütterlichkeit. Sie erinnern an das Ideal der Hausfrau als Hüterin des Herdes und des ‚trauten Heims‘.
Werbeanzeige der Firma Miele, 1977, in: Schöner Wohnen, 04/1977, S. 170. – zum Katalog
Denn zwischen der Frau und dem Küchenraum besteht besonders im 20. Jahrhundert eine starke geschlechtsspezifische Verbindung, welche in diesem Umfang mit keinem anderen Wohn- oder Funktionsraum existiert. Das Motiv der Frau in der Küche verändert sich mit dem Wandel der Küche. Sowohl die bildsemantischen als auch die architektonischen Veränderungen gehen dabei auf die Forderungen der Frauenbewegung in den 1970er- und 1980er-Jahren zurück und lassen sich anhand der Werbeanzeigen nachvollziehen. Die Küche als Hauptarbeitsraum der (Haus-)Frau des 20. Jahrhunderts ist demnach ein geschlechtsspezifischer und damit gesellschaftspolitischer Raum, über den Rückschlüsse auf soziale Gegebenheiten gezogen werden können.
Die Küchenwerbung im Wohnmagazin Schöner Wohnen
In der Badischen Landesbibliothek sind alle Schöner Wohnen-Ausgaben seit dem Jahr 1977 archiviert. Damit stellt die BLB umfangreiche Materialien zur Verfügung, die die Grundlage für diese Ausführungen bilden. In Baden bietet nur die BLB die Möglichkeit, alle Ausgaben von Schöner Wohnen seit den 1970er-Jahren zu lesen oder auch für wissenschaftliche Zwecke auszuwerten.
Anhand der Werbung in den Ausgaben bis 1990 lassen sich Veränderungen der mit der Küche assoziierten Rollenbilder visuell nachvollziehen. Das Magazin bezeichnet sich selbst als „Europas größtes Wohnmagazin“. Es ist auf ein bürgerliches, überwiegend weibliches Publikum ausgerichtet, das über die finanziellen Möglichkeiten verfügt, Änderungen am eigenen Haushalt umzusetzen.
Im Zuge der sogenannten „neuen“ oder „zweiten Frauenbewegung“ wird in der Bundesrepublik ab Anfang der 1970er-Jahre Kritik an der Rollenzuschreibung der Frau als Hausfrau, Ehefrau und Mutter laut. Die feministischen und feministisch beeinflussten Forderungen im architektonischen Fachdiskurs brechen meist radikal mit den geläufigen Wohnformen. Die Zeitschrift Schöner Wohnen nimmt in diesem Diskurs eine vermittelnde Rolle zwischen Architektur- bzw. Designavantgarde und der deutschen Bevölkerung ein. Exemplarisch wird hier nachvollziehbar, wie die radikalen Theorien in der breiten Gesellschaft Verbreitung und Akzeptanz finden.
Zahlreiche der führenden deutschen Küchenhersteller – wie bulthaup, SieMatic oder Miele – nutzen das Magazin, um in bebilderten Anzeigen ihre neuesten Küchenmodelle zu bewerben. Häufig werden die Küchen durch eine weibliche Figur ergänzt. Schon hier zeigt sich die Geschlechtsspezifik des Raumes. Stereotypisierung im Rahmen von Werbung ist durchaus geläufig und wird noch heute von vielen Seiten stark kritisiert (vgl. beispielsweise die Ausführungen im von Christina Holtz-Bacha herausgegebenen Sammelband Stereotype? Frauen und Männer in der Werbung von 2011). In der Küchenwerbung der 1970er- bis 1990er-Jahre verändert sich die Zuweisung der Küche als „weiblicher“ Raum subtil, aber merklich.
Der „Küchen-Traum“ der modernen Frau in den 1970er- und 1980er-Jahren
Im Fall der oben gezeigten Miele-Anzeige wird die Frau in ihrer Rolle als Hausfrau und Ehefrau angesprochen. Das Bild der modernen Frau, welche ihr Glück der technischen Raffinesse ihrer Küche verdankt, ist ein Hauptmotiv der Küchenwerbung der siebziger und frühen achtziger Jahre – die Küche selbst wird häufig als „Traum“ der dargestellten Frauen bezeichnet.
Werbeanzeige der Firma LEICHT, in: Schöner Wohnen, 04/1983, S. 141. – zum Katalog
Die Frauen in den Küchen wirken dabei weniger wie Individuen, sondern mehr wie Staffage, die neben den malerisch drapierten Küchengeräten und Lebensmitteln zur Grundausstattung des Raumes gehören.
In den 1920er-Jahren wurde die kleine, von den Wohnräumen abgetrennte und nach Vorbild der Fabrikarbeitsplätze funktionalisierte Arbeitsküche entwickelt. Sie entstand als Ergebnis der konservativ-feministischen Forderungen der Hausfrauenbewegung. Mit der Arbeitsküche einher ging die Verwerfung der traditionellen Wohnküche, die daraufhin bis Ende der achtziger Jahre im Geschosswohnungsbau kaum mehr gebaut wird. Während die Küche bis Ende der 1960er-Jahre in erster Linie hygienisch und funktional eingerichtet war, soll sie in den siebziger Jahren nun den Anspruch von „Gemütlichkeit“ mit dem der Arbeitserleichterung vereinen. In der Werbung wird deutlich, dass die Küche nicht mehr als unerwünschter, aber notwendiger Funktionsraum, sondern als Aufenthaltsraum der gesamten Familie verstanden wird. Modern ist ein großflächiger Grundriss, der sowohl genügend Platz zum Arbeiten als auch für eine Essecke lässt, und in dem sich die gesamte Familie aufhalten kann.
Die Wohnküche – eine feministische Lösung?
Feministische Architektinnen fordern bereits in den 1970er-Jahren die Rückkehr zur Wohnküche. So bemängelt zum Beispiel die Architektin Myra Warhaftig 1971 die „Unterdrückung der Frau durch ihre Wohnung“. Sie erkennt in der Küche den wesentlichen baulichen Unterdrückungsfaktor der Frau innerhalb der Familie, da die Funktionstrennung der Räume „die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung im Haushalt“ unterstütze und „zur Isolation und Mehrbelastung der Frau“ führe (Warhaftig 1982, S. 64).
Während die Forderungen der feministischen Architektinnen in den siebziger und zu Beginn der achtziger Jahre eher am Rand des architektonischen Diskurses geäußert werden, finden die „frauengerechten“ Ansprüche an den Wohnungsgrundriss im Verlauf der 1980er-Jahre mehr Aufmerksamkeit. Gemeinsam mit den Einflüssen der traditionellen amerikanischen Wohnküche und technischen Verbesserungen (wie die der Dunstabzugshaube, die trotz offenem Grundriss die Freiheit von Kochgerüchen verspricht) gelangen sie Anfang der 1980er-Jahre auch in den Blick der Schöner Wohnen-Redaktion. Diese Wandlungsprozesse veranlassen die Chefredakteurin Angelika Jahr im August 1990 zu folgender Einleitung:
„Sie konnte einem leid tun: unattraktiv, rückständig und von den meisten nur mit einem Naserümpfen betrachtet. Plötzlich ist sie nicht mehr wiederzuerkennen: luxuriös, gesellig und voll im Trend. Und alle sind hinter ihr her. […] Einst geschmäht: die Wohnküche. Jetzt ein Star: die Wohn-Küche. Zwischen Kochtresen und Eßtisch werden heute die Feste gefeiert, nicht mehr im Wohnzimmer. Die Wohn-Küche als Erlebnis- und Gesellschaftsraum. Hier trifft man sich mit Familie und mit Freunden: Kochen und Essen als gemeinsamer Genuß.“ (Schöner Wohnen, Nr. 8, August 1990, S. 3)
Repräsentation und männliche Köche – das Ende der Geschlechtsspezifik?
Kommen wir zurück zu unserem (Hobby-)Chefkoch vom Anfang des Textes: Mit den veränderten Küchenkonzepten wird auch die absolute Geschlechtsspezifik der Küche in den Werbeanzeigen aufgehoben. Interessant ist der Wechsel des Narrativs, welcher mit dem Wechsel des Geschlechts einhergeht. Der Herr in der bulthaup-Anzeige wird im vollen Kochvorgang gezeigt; er hat sich wortwörtlich dreigeteilt, um all die Arbeit erledigen zu können. Die Damen dagegen stehen meist noch immer bewegungslos und adrett in den Küchenräumen – Spuren der Arbeit sind nicht zu sehen. Und dies, obwohl sich in Deutschland die Frauen auch Mitte der 1990er-Jahre noch durchschnittlich 3,8 Stunden, die Männer dagegen nur 2,4 Stunden täglich in der Küche aufhalten (vgl. Silbermann 1995, S. 155).
Nicht nur die Männer ziehen im Verlauf der 1980er-Jahre in die Küche ein: Auch die Gäste finden ihren Weg in den ehemals versteckten Funktionsraum. Dadurch bekommt die Küche repräsentative Aufgaben zugeschrieben, die bisher hauptsächlich das Wohnzimmer erfüllen musste. Um diesem Repräsentationscharakter gerecht zu werden, werben die Hersteller nun mit hochwertigen Materialien und Individualität. Die Firma SieMatic bezeichnet die eine Küche als „unverwechselbaren Ausdruck Ihrer Persönlichkeit“, während die andere durch Messing- und Marmor-Optik Eindruck schindet.
Werbeanzeige SieMatic, in: Schöner Wohnen, 7/1987, S. 57. – zum Katalog
Werbeanzeigen SieMatic, in: Schöner Wohnen, 10/1990, S. 123. – zum Katalog
Während der zunehmende Repräsentationscharakter der Küche zu einer immer aufwändigeren Ausstattung führt, geht in den neunziger Jahren gleichzeitig die Zeit, die tatsächlich in der Küche gekocht wird, zurück. Geradezu selbstironisch macht auch Schöner Wohnen mit einer Karikatur Erich Rauschenbachs im November 1990 auf diesen Widerspruch aufmerksam: Gezeigt wird ein Herr, der während des Kochens mit der Herstellerfirma seiner neuen Küche telefoniert und sich beschwert: „Irgendwas stimmt nicht mit Ihrer angeblichen Super-Traumküche! Meine Gerichte schmecken kein bißchen besser als vorher!“
Erich Rauschenbach, Irgendwas stimmt nicht mit Ihrer angeblichen Super-Traumküche!, in: Schöner Wohnen, 11/1990, S. 280. – zum Katalog
Die Küche durchläuft im 20. Jahrhundert einen Bedeutungswandel vom geschlechtsspezifischen Funktionsraum zum offenen, repräsentativen Wohnraum. Zum Ende des Jahrhunderts sind die Anforderungen, die an den Raum gestellt werden, so individuell und vielfältig wie nie zuvor. Ebenso wie die Küchenarchitektur haben sich ihre Nutzungsformen gewandelt. Heute stehen Mann und Frau (im Idealfall) nebeneinander in der Küche und erledigen die anfallende Arbeit. Und wer weiß, vielleicht sitzt die Partnerin des (Hobby-)Chefkochs bei den gemeinsamen Gästen und lässt sich bekochen. Am Ende des Abends können sie dann in der großen Wohnküche beisammensitzen: Denn jede gute Party endet bekanntlich in der Küche.
Zitierte und weiterführende Literatur:
- Andritzky, Michael: „Balance zwischen Heim und Welt. Wohnweisen und Lebensstile von 1945 bis heute“, in: Flagge, Ingeborg (Hrsg.): Geschichte des Wohnens, Bd. 5: 1945 bis heute, Deutsche Verlags-Anstalt: Stuttgart 1999, S. 615-686.
- Corrodi, Michelle: „Von Küchen und unfeinen Gerüchen. Auf dem Weg zu einer neuen Wohnkultur zwischen Gründerzeit und Zweitem Weltkrieg“, in: Spechtenhauser, Klaus (Hrsg.): Die Küche. Lebenswelt – Nutzung – Perspektiven, Birkhäuser: Basel/Boston/Berlin 2006, S. 21-42.
- Holtz-Bacha, Christina (Hrsg.): Stereotype? Frauen und Männer in der Werbung, VS Verlag: Wiesbaden 2011, 2., aktual. und erw. Aufl. (Erstveröffentlichung: 2008).
- Silbermann, Alphons: Die Küche im Wohnerlebnis der Deutschen. Eine soziologische Studie, Leske + Budrich: Opladen 1995.
- Tränkle, Margret: „Neue Wohnhorizonte. Wohnalltag und Haushalt seit 1945 in der Bundesrepublik“, in: Flagge, Ingeborg (Hrsg.): Geschichte des Wohnens, Bd. 5: 1945 bis heute, Deutsche Verlags-Anstalt: Stuttgart 1999, S. 687-806.
- Warhaftig, Myra: „Unterdrückung der Frau durch ihre Wohnung“, in: Bauwelt, Jg. 62, Nr. 42, 1971, S. 1688-1689.
- Warhaftig, Myra: „Unterdrückung der Frau durch die Wohnung? Beispiel Küche“, in: Flagge, Ingeborg (Hrsg.): Zeitungskolleg Wohnen, Bd. 1: Textsammlung, Zeitungskolleg: Tübingen 1982, S. 64-65.
Küche
Frau
Werbung
Zeitschrift
Badische Landesbibliothek