Verklärung
Auf dem Berg Tabor am 6. August
Julia von Hiller 6.8.2021 9.00 Uhr
DOI: https://doi.org/10.58019/wx4x-q038
Und er ward verklärt vor ihnen,
und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne,
und seine Kleider wurden weiß wie das Licht.
Matth. 17,2
Die Verklärung ist eine meiner Lieblingsgeschichten im Neuen Testament. Jesus steigt mit den Jüngern Petrus, Jakobus und Johannes auf einen hohen Berg. Dort erscheint er ihnen plötzlich in seiner göttlichen Natur, Mose und Elia neben sich. Die Jünger wirft es um, als sie Gottes Stimme hören: „Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören.“
Verklärung Christi. In: Michael de Massa: Vita Christi, Oberrheinischer Sprachraum, Mitte 15. Jh., Cod. Donaueschingen 436, Bl. 114r
In der Ostkirche ist die Verklärung (grch. Metamorphosis) eines der zentralen Heilsbilder. In jeder Kirche kann man sie sehen. Bei uns war sie nicht so populär und hat sich nicht ins kulturelle Gedächtnis eingeschrieben. Aber wir besitzen in der BLB zwei Handschriften der Christusvita des italienischen Augustiners Michael de Massa, die die Szene zeigen. Die Donaueschinger Pergamenthandschrift aus der Mitte des 15. Jahrhunderts bietet eine reich illustrierte moselfränkische Übersetzung des in volkssprachlicher Übersetzung im deutschen Sprachraum weit verbreiteten Textes. Die Lichtenthaler Handschrift, von der Schreibmeisterin Regula auf Papier ausgeführt, ist im elsässischen Raum, vermutlich in Straßburg illustriert worden.
Was passiert da? Es ist ja nicht so, dass Gott mal eben den Jüngern das göttliche Wesen Jesu beweisen will. Dieses ganz und gar bildhafte Geschehen führt uns vor Augen, dass wir Zugang zur göttlichen Wahrheit haben, in unserem irdischen Dasein, kraft unserer irdischen Fähigkeiten. Wir können das nicht durch eigene Anstrengung erreichen und nur als Geschenk erhoffen. Und es trifft uns immer plötzlich und unerwartet. Aber es passiert uns doch allen in besonders glückhaften Momenten: dass wir unverhofft, manchmal geradezu umwerfend, Anschluss zum Himmel finden, dass ein strahlendes Leuchten über uns geht, das Angeschaute überirdischen Glanz gewinnt und wir den Widerschein der Gegenwart Gottes erfahren. Aus solchen Momenten leben wir alle.
Verklärung Christi. In: Michael de Massa: Vita Christi, Kloster Lichtenthal, um 1450, Cod. Lichtenthal 70, Bl. 85r
Für mich sind das grundlegende Gewissheiten: Wir können Gott erkennen kraft unserer eigenen Natur. Und wir können in kurzen Augenblicken teilhaben an seiner Herrlichkeit. Einzige Bedingung: wir müssen uns dafür bereit machen, uns empor bewegen, aufsteigen aus den Niederungen. Auf einem hohen Berg ereignet sich die Verklärung, da müssen wir also erst einmal hin. Sonne, Licht, Weiße – das sind doch schon lauter himmlische Metaphern. Oben und unten: auch so eine bildhafte Wahrheit, die uns ermöglicht, das Göttliche im Wesen der Schöpfung zu erkennen.
Als die Jünger wieder hinschauen, sehen sie „niemand als Jesus allein.“ Was heißt das? Gott ist Mensch geworden. Im Menschen begegnen wir ihm. Mit ihm bewältigen wir den Weg vom Berg herab. Eine ungemein lebenbejahende Geschichte.
Literaturtipp:
Markus Kleinert: Andere Klarheit. Versuch über die Verklärung in Kunst, Religion und Philosophie. Göttingen: Wallstein Verlag, 2021.
Signatur: 121 A 8690
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Verklärung Christi