Auseinanderstrebende Bach-Auffassung

Reger als Bach-Bearbeiter

B-A-C-H ist Anfang und Ende aller Musik, Albumblatt, datiert 31. Mai 1906, als Bildpostkarte hergestellt zum 80. Geburtstag Elsa Regers 1950, vergrößerte Reproduktion

Max Reger, Schule des Triospiels für die Orgel (Inventionen von J. S. Bach) Bach-B8, Stichvorlage – Mus. Ms. 098, erworben 1958 aus dem Nachlass Karl Straubes – S. 1

Als pädagogisches und gleichzeitig künstlerisch ambitioniertes Werk war Regers Bearbeitung von Bachs zweistimmigen Inventionen für Orgel gedacht, in denen er die beiden Klavierstimmen in die rechte Hand und das Pedal legte und eine Mittelstimme in der linken Hand hinzukomponierte. Die Auszeichnung mit Pedalanweisungen sollte durch Karl Straube erfolgen, der diesen Arbeitsschritt erst im Korrekturprozess vornahm; daher fehlt er in Regers Manuskript.

Mit Orchestrierungen von Werken Bachs versuchten seit Ende des 19. Jahrhunderts verschiedene Komponisten, Klavier- oder Kammermusikwerke auch dem Publikum der Sinfoniekonzerte zugänglicher zu machen. Im Frühsommer 1915 erstellte Reger aus Sätzen (bzw. Teilsätzen) der zweiten und fünften Partita BWV 826 und 829 sowie der zweiten und vierten Englischen Suite BWV 807 und 809 eine fünfsätzige Suite für Kammerorchester. Dem Inhaber des Verlags C. F. Peters Henri Hinrichsen gegenüber betonte er am 3. Juli 1915, dass das Manuskript »ein Meisterbeispiel für gewissenhafte, durchaus [aus] der Praxis – Meiningen! – hervorgegangene Art der Bezeichnung ist.«

 

Johann Sebastian Bach, Suite g-Moll »Bach-Reger-Suite« für kleines Orchester, zusammengestellt & instrumentiert von Max Reger Bach-B13, Stichvorlage – Mus. Ms. 100 – erworben 2000 aus dem Nachlass Henri Hinrichsens – Titel u. S. 1

Straubes Bach-Perspektive

Alte Meister. Eine Sammlung deutscher Orgelkompositionen aus dem XVII und XVIII Jahrhundert, für den praktischen Gebrauch bearbeitet von Karl Straube, Neue Folge, Teil 1, C. F. Peters 1904, Widmung »Dem jungen Meister Max Reger zu eigen«

Neuausgaben von Musik Johann Sebastian Bachs konnte Karl Straube nur in geringer Zahl vorlegen – wohl aber bestand Bedarf nach Neuausgaben von Orgelmusik anderer alter Meister. Die Veröffentlichung der Edition vermittelte Reger – der Verlag C. F. Peters hatte schon im September 1901 seine ersten Werke in Verlag genommen, zunächst vornehmlich Orgelmusik.

Johann Sebastian Bach, Magnificat D-Dur, aufführungspraktische Bearbeitung von Karl Straube, »Max Reger zu eigen«, Druck des Klavierauszugs, C. F. Peters 1910, S. 1

1910 erschien bei C. F. Peters Straubes aufführungspraktische Einrichtung von Bachs Magnificat D-Dur BWV 243, die Straube Max Reger dedizierte. Aufführungspraktische Einrichtungen von Musik Bachs waren in damaliger Zeit eine Selbstverständlichkeit, seit 1905 hatte Peters zunächst Regers Einrichtungen der Brandenburgischen Konzerte und der Orchestersuiten für Klavier vierhändig veröffentlicht; Regers aufführungspraktische Ausgaben von Musik Bachs erschienen vornehmlich ab 1911 bei Breitkopf & Härtel.

Die »kleine Orgelmesse« aus den Orgelstücken op. 59 gab Straube in einer eigenen, von Reger autorisierten Ausgabe heraus, die sich vor allem durch die Ergänzung von Registerangaben auszeichnet. Straubes nach Regers Tod herausgegebene Ausgaben von Reger-Werken weichen teilweise weit eklatanter vom originalen Notentext ab.

Max Reger, 12 Stücke für die Orgel op. 59. Hieraus: Kyrie eleison, Gloria in excelsis und Benedictus, herausgegeben von Karl Straube, C. F. Peters, Leipzig 1912

Es kann nicht überraschen, dass Straube und Reger unterschiedliche Perspektiven auf Bach hatten, zu Teilen geradezu diametral einander widersprechende. Straube, eng verbunden der Neuen Bach-Gesellschaft, dessen Vorstand Reger von 1907 bis 1910 angehörte, ehe er aus Protest gegen zu große Präsenz der Geistlichkeit im Vorstand austrat, war in einer protestantischen Perspektive auf Bach aufgewachsen und hatte ihn häufig in Gottesdienst und Konzert gespielt. Auch in der Interpretationshistorie der geistlichen Musik Bachs kann man eine »protestantische« und eine »katholische« Sicht auf Bach durchaus aufmachen.

Dem Verlag Breitkopf & Härtel, der das Risiko auf sich nehmen wollte, Regers Bach-Sicht auch im Druck zu verewigen, schrieb dieser: »ich mache Sie im Voraus darauf aufmerksam, dass meine „vielleicht zu persönliche“ Art Bach zu spielen u. demgemäß herauszugeben sehr den Widerspruch der trockenen Holzköpfe oder höflicher gesagt: der phantasiearmen Buchstabengelehrten herausfordern wird. Man wird meine vielen Nuancierungen, meine „rubato“ für zu modern halten u. sich hinter der Mauer der Gedankenfaulheit verschanzen, daß Bach „klassisch“ gespielt werden soll! Solchen Leuten, die katholischer als der Papst sind, ist mal nicht zu helfen.« (Brief, 27. Oktober 1910.) Und an den Geiger Felix Berber schrieb Reger: »Bitte spielen Sie Bach nie nach Metronom, sondern so wie es Ihnen ums Herz ist, dann wird der Altvater der Polyphonie seine Freude haben! Vor Allem muß beim Bachspiel das Tempo so genommen werden, daß jede Figur ausdrucksvoll wird; in Folge dessen nehmen Sie ganz ruhig Ihre Tempi! Die Herren der Bachgesellschaft mögen ja anders denken! Das ist ja egal! Frei, frei u. frei Bach spielen – immer „quasi una fantasia“! Der Mann hatte mehr Herzblut wie alle gelehrten Häuser unserer Zeiten, die bei ihm nur „musikalische Trichinenschau“ treiben.« (Brief, 23. September 1907).

Seit 1906 war Straube Organist der Thomaskirche Leipzig, 1918 wurde er Thomaskantor. Dieses Amt gab er 1940 an seinen ehemaligen Schüler Günther Ramin ab.

 

Karl Straube an der Orgel der Thomaskirche, zeitgenössische Fotografie – Schenkung Karl Straubes 1947 als Ehrenmitglied des Max-Reger-Instituts/Elsa-Reger-Stiftung an Elsa Reger

Reger als Bach-Pianist

„Es mussten ein Komponist und zwei Kapellmeister oder drei Komponisten [...] oder drei Kapellmeister [Reger, der Leiter des Heidelberger Bachvereins Philipp Wolfrum und der Basler Konservatoriumsdirektor Hermann Suter] kommen, um uns Bachsche Konzerte vorzuspielen; Pianisten hätte so etwas niemals einfallen können. Die Berufsvirtuosen, Spieler und Sänger, sind von einer erstaunlichen Gedankenarmut, fast muß man glauben, ihr Geist reiche nicht über ihre Finger oder ihre Kehle hinaus, denn nie käme einer darauf, etwas anderes vorzutragen, als was die andern Größen ebenfalls im Repertoire haben“, berichtet Karl Nef über eine Bach-Abend der Allgemeinen Musikgesellschaft Basel.

Bach spielte in Regers Auseinandersetzung mit der musikalischen Tradition eine ganz besondere Rolle als »Urquell musikalischen Schaffens u. göttlichster Kunst« oder gar als »Welträthsel!«.

Während Reger in Orchesterkonzerten gerne mit wechselnden Partnern Bachs Konzerte für zwei Klaviere sowie den Solopart in Bachs fünftem Brandenburgischen Konzert spielte, war er in Kammermusikabenden für seine Wiedergabe der Präludien und Fugen aus dem Wohltemperierten Klavier berühmt. Josef Pembaur (1875–1950), Fachlehrer für das Höhere Klavierspiel am Leipziger Konservatorium, hat sich nicht als Interpret der Musik Regers oder als Klavierpartner Regers profiliert.

Zu sehen ist auf dem Foto auf der linken Seite Josef Pembaur mit Brille, Oberlippenbart und Hut. Rechts neben ihm steht Max Reger mit Zigarette im Mund. Auch er trägt Hut. Unter seinem linken Arm hat er Noten eingeklemmt.

Max Reger mit den Noten von Bachs Wohltemperiertem Klavier und seinem Kollegen Josef Pembaur, Bachfest Mai 1911, Fotografie im Fotoalbum Elsa Regers – Mm. 004 – erworben 1999 – Reproduktion

Eigentlich hätte Carl Seffners Bach-Statue auf dem Thomaskirchhof an der Südseite der Thomaskirche bereits im November 1907 feierlich enthüllt werden sollen, doch logistische Schwierigkeiten verzögerten dies. Die Initiative zu dem Denkmal ging vom Bachverein Leipzig aus, der mit der Stadt und privaten Spendern insgesamt die Summe von 50.000 Goldmark aufbrachte.

Einweihung des Bach-Denkmals Leipzig am 17. Mai 1908, Fotografie von Kirsten, Reproduktion

Nur sieben der geplanten elf Bände der für den Verlag B. Schott’s Söhne geplanten praktischen Neuausgabe von Werken Bachs konnte Reger 1915 mit vorbereiten – die Partiten und das Wohltemperierte Klavier musste August Schmid-Lindner nach Regers Tod allein fertigstellen. Die Edition vermittelt in großer Dichte Regers Vorstellung, wie er Bach verstand und interpretierte. Über ein Konzert in Leipzig im November 1907 schrieb der Reger keineswegs immer wohlgesonnene Kritiker Walter Niemann: »Das war nicht Bach, der hübsch starr im Metrum gespielte, in dem üblichen Riesen-Ritardando der Schlußtakte mit einer langen, langen Nase gezierte akademische, sondern der unsterbliche Seelenkünder Bach, der aus dem Dämmerlicht des versonnenen Adagio, der aus dem Feuer, der elastischen Bewegsamkeit und feinen Schattierung der Ecksätze sprach.«

Johann Sebastian Bach, Ausgewählte Klavierwerke, herausgegeben von Max Reger und August Schmid-Lindner, Stichvorlage – Mus. Ms. 148 – erworben 1973 – Zweistimmige Inventionen, S. 4–5

August Schmid-Lindner, Fotografie um 1904 mit Widmung, Reproduktion

Aus der Münchner Zeit stammt die vertraute Freundschaft mit dem Pianisten August Schmid-Lindner (1870–1959), Uraufführungsinterpret und Widmungsträger der Bach-Variationen op. 81, der aber auch zusammen mit Reger die vierhändigen Cinq Pièces pittoresques op. 34 und die Beethoven-Variationen op. 86 für zwei Klaviere aus der Taufe hob. Schmid-Lindner blieb gerade in München ein wichtiger Fixpunkt der Vermittlung der Klaviermusik Regers.

 

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