90 Jahre NS-Machtergreifung: Der 30. Januar 1933 im Spiegel badischer Zeitungen

Frédérique Renno 30.01.2023 17 Uhr

DOI: https://doi.org/10.58019/h2wz-sv90

Heute vor 90 Jahren, am 30. Januar 1933, wurde Adolf Hitler vom Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zum Reichskanzler des Deutschen Reiches ernannt. Hitler übernahm damit die Führung einer Koalitionsregierung aus der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) und der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP). Es waren turbulente Zeiten, in denen sich die Ereignisse förmlich überschlugen:

  • In den folgenden Wochen wurde der Reichstag aufgelöst (1. Februar 1933)
  • Die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes (4. Februar 1933) schränkte die Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit weitgehend ein
  • In der sogenannten Reichstagsbrandverordnung wurden nahezu alle Grundrechte aufgehoben (28. Februar 1933)
  • Das Ermächtigungsgesetz (24. März 1933) führte zur Aufhebung der Gewaltenteilung und ermöglichte auf diese Weise weitere Maßnahmen zur Festigung der nationalsozialistischen Diktatur.

Innerhalb von knapp zwei Monaten wurde damit das Ende der Weimarer Republik eingeläutet.

Die Ereignisse fanden in Berlin statt, wirkten sich aber rasch auf das gesamte Deutsche Reich aus. Wie reagierten die Menschen in der Republik Baden und besonders in Karlsruhe auf die Machtübernahme durch die NSDAP? Darüber berichteten die verschiedenen Zeitungen, die in Karlsruhe und Umgebung zu dieser Zeit erschienen. Die Badische Landesbibliothek hat diverse Zeitungen digitalisiert, die in den Digitalen Sammlungen zu finden sind.

Erste Reaktionen auf die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler sind in den Zeitungsausgaben vom 31. Januar 1933 nachzulesen, dem Tag nach der Machtergreifung. Acht Zeitungen veranschaulichen verschiedene Sichtweisen auf die Ereignisse, je nachdem, welcher politischen Richtung die jeweilige Zeitung zugeneigt war. Von diesen werden drei Zeitungen exemplarisch vorgestellt.

Badische Presse

Die Badische Presse, seit 1888 erschienen, war die auflagenstärkste Zeitung in Karlsruhe und Umland mit einer Auflage von bis zu 50.000 Exemplaren pro Ausgabe. Sie war politisch gesehen gemäßigt liberal: In der Weimarer Republik (1918–1933) stand sie zuerst der Deutschen Demokratischen Partei (DDP), später der Deutschen Volkspartei (DVP) nahe und setzte sich für deren Ideen ein. Am 31. Januar 1933 erschienen eine Morgen- und eine Abendausgabe der Badischen Presse.

Zu sehen ist das Titelblatt der Morgenausgabe der Badischen Presse vom 31. Januar 1933.

Titelblatt der Morgenausgabe der Badischen Presse vom 31. Januar 1933. – zum Digitalisat

In der Morgenausgabe wurde das Transkript eines Funkspruchs mit der Mitteilung über Hitlers Ernennung zum Reichskanzler und eine Auflistung seines Regierungskabinetts auf der Titelseite abgedruckt. Zudem fand dort ein Artikel über die Berichterstattung anderer Zeitungen im Deutschen Reich Platz, in dem neben anderen auch die Vossische Zeitung und das Berliner Tageblatt zitiert wurden, zwei ebenfalls liberale und bedeutende Blätter in Berlin. Der dritte Beitrag stellte eine Meldung der Berliner Schriftleitung unter der Überschrift „Tolerierung oder Auflösung?“ als Leitartikel dar.

Die Regierungsbildung wurde als positiv bewertet, da sie „auf parlamentarischer Grundlage“ und im Rahmen der Reichsverfassung und nicht auf autoritärem Boden vollzogen wurde. Außerdem wäre innerhalb der Koalition ein gutes Gegengewicht zu den Nationalsozialisten im Kabinett hergestellt: Der Reichsminister für Wirtschaft, Landwirtschaft und Ernährung Alfred Hugenberg als Führer der DNVP galt als Vertreter des Unternehmertums und stand damit gegen die „sozialen Experimente“ der Nationalsozialisten. Zudem hatte Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk, Reichsminister für Finanzen, eine starke Rolle inne, da ihm ein Vetorecht bei allen Ausgaben zustand, und Franz von Papen als Stellvertreter des Reichskanzlers Hitler im Kabinett wurde ebenfalls zum Gegengewicht gezählt.

Das vorläufige Fazit lautete: „Hitler hat die Regierungsführung bekommen, aber er kommt nicht als Diktator, er kommt als Reichskanzler und ist zunächst mindestens an den Versuch einer parlamentarischen Mehrheit gebunden.  Eine andere Frage ist es freilich, ob der Versuch gelingt.“ Der Erfolg hinge von der Zentrumspartei, die sich als Vertretung der deutschen Katholiken sah, ab, die nicht in die Verhandlungen involviert waren und sich nun ebenso wie die Bayerische Volkspartei entscheiden müssten, ob sie die Regierung tolerierten oder in die Opposition gingen. Im Falle eines Gangs in die Opposition prognostizierte der Autor die Auflösung des Reichstags und Neuwahlen. Wie wir heute wissen, löste Hitler bereits einen Tag später, am 1. Februar 1933, den Reichstag auf – alle Vermutungen über die Haltung des Zentrums lösten sich in Luft auf. Auf den folgenden Seiten der Morgenausgabe der Badischen Presse gab es keine weiteren Artikel zu konkreten Auswirkungen der Reichspolitik auf die Verhältnisse in Baden und Karlsruhe am Tag nach Hitlers Machtübernahme.

Zu sehen ist das Titelblatt der Abendausgabe der Badischen Presse vom 31. Januar 1933.

Titelblatt der Abendausgabe der Badischen Presse vom 31. Januar 1933. – zum Digitalisat

Auch in der Abendausgabe fehlten Berichte zu möglichen Veränderungen, die durch die Reichspolitik auf die badischen und Karlsruher politischen Gegebenheiten zukommen hätten können. Im Leitartikel unter der Überschrift „Die neue Lösung“ wurde nochmals auf die Bedeutung des neuen Kabinetts hingewiesen: „Mit überraschender Schnelligkeit, an deutschen Verhältnissen gemessen, wurde um die Mittagsstunde des Montag [der 30. Januar 1933, Anm. der Verf.] durch die Ernennung des Kabinetts Hitler die innenpolitische Krise beendet, in die wir nicht erst seit dem nicht weniger überraschenden Rücktritt des 57-Tage-Kabinetts Schleicher geraten waren. Eine wenig erfreuliche Woche der Intrigen und des Ränkespiels hat damit ein Ende gefunden und hoffentlich auch die stete Beunruhigung unseres gesamten öffentlichen Lebens, die jede Staatsführung und wirtschaftliche Initiative in Deutschland schon lange unmöglich macht. […] Es gab nur zwei Möglichkeiten, aus der letzten Krise herauszukommen, reine Präsidialgewalt oder Verständigung zwischen Regierung und Nationalsozialismus.“

Zudem war der nicht namentlich genannte Autor des Artikels der Meinung, dass die Nationalsozialisten als stärkste Partei in die Regierungsverantwortung gehörten: „Nachdem nun die Zusammenfassung von Nationalsozialisten, Deutschnationalen und Bünden gelungen ist, um die schließlich das innenpolitische Ringen der ganzen letzten Jahre ging, und da in dem Kabinett Hitler gerade die Führer dieser Parteien und Bünde vertreten sind, braucht die Hoffnung, die an der Wiege der neuen Reichsregierung steht, vielleicht doch nicht nur ein Schemen zu bleiben, daß endlich einmal eine stabile Lösung gefunden ist, die auf Jahre hinaus das deutsche Schicksal bestimmen kann.“ Für die Stabilität des neuen Kabinetts spräche auch, dass beispielsweise keine Partei die Übermacht bei Polizei und Reichswehr hätte: „Nach dem Gesagten ist es jedenfalls nicht recht ersichtlich, warum einem Kabinett Hitler von vornherein ein so heftiger Kampf angesagt wird, wie dies in Entschließungen und der Presse der Linken zum Ausdruck kommt.“ Der Autor schloss seinen Beitrag wie folgt: „Von dem Parteiismus der letzten Jahre hat das Volk übergenug, das endlich auch in dem parlamentarisch regierten Staate Weimarer Prägung das Wort Hindenburgs verwirklich sehen möchte, das der Reichspräsident vor Monaten einmal sprach: ‚Ich will nichts von Parteien wissen, der Staat ist für das Volk da.‘“ In den Äußerungen der Badischen Presse drückte sich vor allem die Hoffnung auf eine stabile Regierung auf verfassungsrechtlicher und parlamentarischer Grundlage aus.

Badischer Beobachter

Die erste Ausgabe des Badischen Beobachters unter diesem Namen erschien 1863. Die katholisch-konservativ ausgerichtete Zeitung wurde 1869 zur Parteizeitung der badischen Katholischen Volkspartei (1869 gegründet). Nach deren Anschluss an die deutsche Zentrumspartei, die sich als Vertretung der deutschen Katholiken sah, wurde der Badische Beobachter auch deren Berichtsorgan. In der Weimarer Republik lag die Auflagenstärke bei ca. 10.000 Exemplaren.

Zu sehen ist das Titelblatt des Badischen Beobachters vom 31. Januar 1933.

Titelblatt des Badischen Beobachters vom 31. Januar 1933. – zum Digitalisat

In der Ausgabe vom 31. Januar 1933 wurde die Nachricht von Hitlers Ernennung zum Reichskanzler und die Vorstellung seines Kabinetts prominent auf der Titelseite abgedruckt. Bereits im eigenen Bericht „Der Sprung ins Dunkle“, ebenfalls auf Seite 1, wurde die Regierungsbildung deutlich kritisch beurteilt: „Die Tatsache, daß der neue Reichskanzler die Absicht hat, das, was Herr v. Papen versäumt hat oder – besser gesagt – garnicht [sic] gewollt hat, nämlich Verhandlungen mit dem Zentrum und der Bayerischen Volkspartei nachzuholen, kann durchaus nicht schwere Bedenken zerstreuen. […] Man stellt sich in der Oeffentlichkeit mit Recht die Frage, was eigentlich den Herrn Reichspräsidenten so plötzlich bestimmt hat, von seinem Widerstand gegen Adolf Hitler abzusehen und was auf der anderen Seite Adolf Hitler geboten worden ist, soweit er bereit war, die Führung eines Reichskabinetts der Harzburger Partei zu übernehmen und auf eine Reihe seiner Forderungen zu verzichten, die er bisher gestellt hat.“

Klar formulierte der Autor die Absicht der Regierung: Das Zentrum und die Bayerische Volkspartei, die bayerische Schwester des Zentrums, sollten entweder das Kabinett und damit eine parlamentarische und verfassungsmäßige Regierung dulden oder in die Opposition gehen und dann auch die Verantwortung aller Konsequenzen tragen. Noch wäre keine Entscheidung gefallen, aber: „Es muß vorläufig dahingestellt bleiben, ob sich die Nationalsozialisten in der neuen Lage wohlfühlen. Sie sind bestimmt nicht die Sieger des heutigen Tages. Das alles ist, nachdem das Kabinett gebildet ist, nicht ausschlaggebend.“

Im Leitartikel wurden diese Überlegungen fortgeführt. Für eine Tolerierung der neuen Regierung müssten Zentrum und Bayerische Volkspartei wissen, „wohin der Kurs der neuen Regierung geht und was sie beabsichtigt. Verfassungstreue Parteien, wie Zentrum und Bayerische Volkspartei, könnten unmöglich alles das decken, was man an Absichten hinter der Harzburger Front [ein Bündnis, das aus antidemokratischen nationalistischen und rechtsextremistischen Kräften bestand und gegen die Weimarer Republik gerichtet war, Anm. der Verf.] vermutet. Wollen die Herren der neuen Regierung aber ohne und gegen die Volksvertretung regieren und allerlei Experimente mit dem deutschen Volk machen, von denen in der Vergangenheit so mancherlei gemunkelt wurde, dann müssen sie das ohne die beiden Parteien tun. […] Warten wir also ab! Hitler hat sich noch von den letzten Wahlen verschworen, er lasse sich ‚eher in Stücke reißen, als daß er einen Kompromiß mit anderen Parteien eingehe‘. Daß er sich nun doch dazu verstanden hat, daß zu tun, was er damals nie tun zu wollen, versprach, läßt allerhand erwarten.“

Als an der politischen Ausrichtung des Zentrums orientierte Zeitung formulierte der Badische Beobachter explizit die Voraussetzungen für eine Tolerierung der Regierung Hitlers durch die Deutsche Zentrumspartei: Verfassungstreue und eine parlamentarische Grundlage.

Der Führer

Während die anderen beiden vorgestellten Zeitungen zwar eindeutig einer politischen Couleur zuzuordnen waren, sich aber dennoch eine gewisse wirtschaftliche Unabhängigkeit bewahrten, stellt die Zeitung Der Führer eine Parteizeitung dar. Sie wurde 1927 von der badischen NSDAP als Wochenzeitung gegründet, erschien ab 1931 als Tageszeitung und firmierte ab 1933 als offizielles Amtsblatt. Damit bildete sie ein offizielles Sprachrohr der neu gewählten Regierung.

Zu sehen ist das Titelblatt des Führers vom 31. Januar 1933.

Titelblatt des Führers vom 31. Januar 1933. – zum Digitalisat

Die Ausgabe vom 31. Januar 1933 titelte „Hitler Deutschlands Kanzler“. Dem nationalsozialistischen Hintergrund der Zeitung folgend lag der Schwerpunkt in der Berichterstattung auf den Erfolgen und den Errungenschaften der NSDAP sowie den politischen Plänen für die weitere Zukunft. Wilhelm Frick als Reichsminister des Inneren und Hermann Göring als preußischer Innenminister sowie Minister ohne Geschäftsbereich, neben Hitler die beiden NSDAP-Mitglieder des neu ernannten Kabinetts, wurden in den Mittelpunkt gestellt.

Im Leitartikel wurde unter der Überschrift „Deutschland muß wieder auferstehen“ der 30. Januar 1933 als Ende der „erste[n] große[n] Etappe des nationalsozialistischen Kampfes“ inszeniert. „Mit dem 31. Januar beginnt die zweite Aufgabe. […] Wir waren nicht dazu angetreten, das Alte lediglich abzulösen, sondern wir waren angetreten, um Neues zu gestalten und um zu vollenden, was die Großen der deutschen Geschichte begonnen haben. Wir müssen Deutschland nicht nur erobern, wir müssen das eroberte Vaterland auch retten. Wir müssen alle retten, die heute ohne Hoffnung sind, die ins Leere schauen und deren Augen schon trübe blicken. […] Das große Reinmachen beginnt. […] Wir wissen wohl, daß dieses Kabinett Hitler keine hundertprozentige nationalsozialistische Lösung ist, wir wissen, daß das Kabinett noch die Forderungen des Reichspräsidenten von Hindenburg erfüllen mußte hinsichtlich seiner Zusammensetzung, aber es genügt uns zunächst die Tatsache, daß Hindenburg die Forderung Hitlers und seiner NSDAP erfüllt hat und unserem Führer die Staatsführung anvertraute. Wie dieser Staat zu führen ist, das wird Adolf Hitler in Bälde zeigen. Der Weg zum neuen Deutschland ist frei. Das ist das Ergebnis dieses großen Tages. Die große Schlacht ist gewonnen, die im Jahre 1919 begann.“ Es wurde deutlich, dass die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler und seine Regierungsbildung erst der Anfang eines umfassenden Veränderungsprozesses sein sollte.

Da Der Führer das Zeitschriftenorgan der badischen NSDAP darstellte, wurde auch über die Reaktionen der Ereignisse vor Ort in Karlsruhe berichtet: „Sofort nach Bekanntwerden von Adolf Hitlers Kanzlerschaft sammelte sich beim ‚Führer‘-Verlag eine stündlich anwachsende Menschenmenge an, die in begeisterte Kundgebungen für Hitler ausbrach. […] Die Straßen, die ein außergewöhnliches Bild bieten, sind von den Nationalsozialisten beherrscht; die Gegner haben sich in ihre Mauselöcher verkrochen.“ Klar sichtbar wurde die Trennung zwischen ‚Freund‘ und ‚Feind‘ – dies zeigte sich auch in der nationalsozialistischen Presse.

Im Rahmen ihrer Digitalen Sammlungen gewährt die Badische Landesbibliothek zu Zwecken der Wissenschaft, Forschung und Lehre Zugang zu zeitgeschichtlichen Dokumenten. Sie weist darauf hin, dass in dieser Sammlung auch Zeitungen und andere Quellen aus der Zeit des Nationalsozialismus enthalten sind. Die Badische Landesbibliothek distanziert sich ausdrücklich von allen nationalsozialistischen, rassistischen und gewaltverherrlichenden Inhalten.

Nationalsozialismus
Machtergreifung
Karlsruhe
Baden
Zeitung
Digitalisierung

Nicht unterstützter Web-Browser!

Ihr verwendeter Web-Browser ist veraltet und kann daher einige der modernen Funktionen der Webseite www.blb-karlsruhe.de nicht unterstützen.
Um diese Webseite nutzen zu können und sich sicher im Internet zu bewegen, verwenden Sie bitte einen der folgenden Web-Browser:

Mozilla inc., Firefox
Google inc., Chrome
Google inc., Chromium