Wegbereiterinnen für das Frauenstudium in Baden und Deutschland: Katharina Windscheid, Marie Gernet, Ida Hyde und Anna Gebser

Brigitte Knödler-Kagoshima 30.6.2023 17 Uhr

DOI: https://doi.org/10.58019/a29e-ve71

Im 19. Jahrhundert strebten Frauen vermehrt danach, Zugang zu einer höheren Schulbildung und zu einem Universitätsstudium zu erlangen. Eine führende Rolle bei dieser Entwicklung nahm das Großherzogtum Baden mit seinen beiden Landesuniversitäten in Heidelberg und Freiburg ein. Im Folgenden werden die vier Frauen vorgestellt, die als erste Frauen an der Universität Heidelberg promovierten und dadurch zu Wegbereiterinnen für das Frauenstudium in Baden und Deutschland wurden.

Zum Sommersemester 1869 erhielt Sofja Kowalewskaja (1850–1891), eine russische Mathematikerin, als erste Frau die Zulassung als Hörerin an der Universität Heidelberg. Dieser Präzedenzfall führte in den folgenden drei Jahrzehnten dazu, dass in Einzelfällen auch Studentinnen zu den Vorlesungen zugelassen wurden. Allerdings hing dies von den sich verändernden Voraussetzungen und der Zustimmung der Dozenten ab. Die ersten Frauen, die ihre Doktorprüfungen an der Universität Heidelberg ablegten, waren Katharina Windscheid, Marie Gernet, Ida Hyde und Anna Gebser:

•    Katharina Windscheid (geb. 1859 in München, gest. 1943 in Leipzig) am 16.02.1895 an der philosophischen Fakultät zum Thema „Die englische Hirtendichtung von 1579–1625“ – Signatur 72 D 4358 R – zum Digitalisat
•    Marie Gernet (geb. 1865 in Ettlingen, gest. 1924 in Karlsruhe) am 01.10.1895 an der mathematischen Fakultät zum Thema „Über Reduktion hyperelliptischer Integrale“ – Signatur 73 D 9310 R – zum Digitalisat
•    Ida Hyde (geb. 1857 in Davenport/Iowa, gest. 1945 in Berkeley) am 20.02.1896 an der naturwissenschaftlichen Fakultät zum Thema „Entwicklungsgeschichte einiger Scyphomedusen“ – Signatur 72 D 279 R – zum Digitalisat
•    Anna Gebser (geb. 1856 in Heichelheim, gest. 1917 in Berlin) am 04.03.1897 an der philosophischen Fakultät zum Thema „Der Einfluss der Kaiserin Kunigunde auf die Regierung Heinrichs II.“ – Signatur 73 D 9278 R – zum Digitalisat

Alle vier Dissertationen sind im Bestand der Badischen Landesbibliothek nachgewiesen. Die Badische Landesbibliothek hat nun diese Dissertationen digitalisiert und stellt sie in den Digitalen Sammlungen unter der Kategorie Wissenschaft und Forschung zur Verfügung. Die Dissertation von Katharina Windscheid, in einer überarbeiteten Fassung im Verlag Max Niemeyer in Halle erschienen, steht in dieser zweiten Version zusätzlich als Digitalisat der Universität Heidelberg zur Verfügung.

Katharina Windscheid

Das Foto zeigt Katharina Windscheid, die erste promovierte Frau an der Universität Heidelberg.

Katharina Windscheid. Quelle: Illustrierte Zeitung. Leipzig u.a. – 102 (1894), Nr. 2646, S. 288. Badische Landesbibliothek, Signatur ZC 65,102.1894

Katharina Windscheid war die erste Frau, die an der Universität Heidelberg promoviert wurde. Ihre Dissertation mit dem Titel „Die englische Hirtendichtung von 1579–1625“ enthält auch folgenden Lebenslauf:

Ich, Katharina Windscheid, wurde geboren zu München am 28. August 1859 als Tochter des Professors der Rechte, Dr. Bernhard Windscheid. Meine erste Schulbildung erhielt ich in München und späterhin in Heidelberg. Als mein Vater im Jahr 1874 einem Rufe an die Universität Leipzig folgte, besuchte ich dort noch 1 ½ Jahre die städtische höhere Mädchenschule. Im Jahre 1881 siedelten wir für einige Zeit nach Berlin über. Dort besuchte ich die Kurse des Victoria-Lyceums und bestand 1882 das Examen für französische und englische Sprache. Um weitere Studien in englischer Sprache und Litteratur zu machen, zog ich im Jahre 1885 nach London und bereitete mich, von dort zurückgekehrt, auf das deutsche Lehrerinnenexamen vor, das ich 1887 in Dresden ablegte. Von 1886–94 war ich als Lehrerin an der Teichmannschen höheren Mädchenschule in Leipzig thätig. Seit 1890 besuchte ich, von den Docenten gütigst als Hospitantin zugelassen, an der Universität Leipzig die Vorlesungen über romanische und germanische Philologie. [...]

Die Badische Landeszeitung Nr. 265, II. Blatt vom 10. November 1893 hatte zuvor in der Rubrik „Baden“ die bevorstehende Promotion Katharina Windscheids angekündigt:

Heidelberg, 8. Nov. Wie die naturwissenschaftliche, so will nun auch die philosophische Fakultät der Heidelberger Hochschule weibliche Studenten zum Besuch der Vorlesungen und zur Doktorprüfung zulassen. Wenn das Ministerium dem Fakultätsbeschlusse zustimmt, wird Fräulein Windscheid, eine Tochter des berühmten Leipziger Juristen, zuerst das Examen ablegen.

Über den erfolgreichen Abschluss der Promotion berichtete dann die Zeitung Badische Presse Nr. 42 vom 20. Februar 1894 in der Rubrik „Badische Chronik“:

Heidelberg, 17. Febr. Vor der philosophischen Fakultät der hiesigen Universität unterzog sich gestern Fräulein Käthe Windscheid aus Leipzig, Tochter des verstorbenen berühmten Pandektisten und früheren hiesigen Hochschullehrers, als erste Studentin in der Doktorprüfung, und zwar als Neuphilologin in den Fächern der englischen und romanischen Philologie. Sie bestand, geprüft von den Herren Professoren Braune, Neumann und Schick, das Examen mit Erlangung des dritten Grades und der Note „cum laude“. Die Inauguralschrift, welche die Dame eingereicht hatte, war eine Abhandlung über „die englische Hirtenpoesie von 1579 bis 1625“, die von der Fakultät als eine allen Anforderungen genügende wissenschaftliche Leistung approbirt werden konnte. Wie man hört, wird Fräulein Dr. Windscheid bald in der naturwissenschaftlichen Fakultät unserer Hochschule eine Nachfolgerin bekommen.

Katharina Windscheid spielte im Anschluss eine führende Rolle im „Allgemeinen Deutschen Frauenverein“ (ADF), der 1865 in Leipzig gegründet wurde. Der Verein setzte sich durch zahlreiche Petitionen für eine Verbesserung des Mädchenschulwesens, eine gleichwertige Ausbildung für Lehrerinnen und die Zulassung von Frauen zum Studium ein. Eine Voraussetzung für die Zulassung zum Studium war das Abitur für Frauen. Um dies zu ermöglichen, wurden ab 1893 die ersten privaten Gymnasialkurse für Mädchen in Karlsruhe und Berlin angeboten. Im Jahr 1894 folgten die ADF-Gymnasialkurse für Mädchen in Leipzig, bei denen Katharina Windscheid die Leitung übernahm. Nach der Auflösung der letzten Kurse im Jahr 1914 unterrichtete Katharina Windscheid bis 1924 als Oberlehrerin und später als Studienrätin an der Höheren Mädchenschule in Leipzig. Sie starb 1943 in Leipzig.

Die Frauenbeilage zum Karlsruher Tagblatt Nr. 6 vom 6. Januar 1932 erinnerte in der Rubrik „Die Süddeutschen Monatshefte“ an die Promotion Katharina Windscheids:

In Helene Raths grundlegendem Essay findet sich eine Bemerkung, die unsere badischen Leserinnen besonders interessieren wird. Sie lautet: „Im Jahr 1894 geschah das bis dahin Unerhörte, daß eine deutsche Studentin an einer deutschen Universität den Dr. phil. machte. Käthe Windscheid, älteste Tochter des berühmten Pandektisten, hatte nach bestandenem Sprachlehrerinnenexamen in Leipzig studiert, sich in Heidelberg zur Doktorpromotion angemeldet. Die Aufregung hierüber war groß, die Fakultät spaltete sich in zwei Theile: ebenso viele Stimmen waren dagegen als dafür. Den Ausschlag gab Großherzog Friedrich, von Baden, der an den Rand von Käthe Windscheids an ihn gelangte Eingabe schrieb: „Ist unbedingt zu gewähren.“

Marie Gernet

Das Foto zeigt Marie Gernet, eine der ersten promovierten Frauen an der Universität Heidelberg.

Karlsruher Mädchengymnasium, vermutlich Schuljahr 1905/1906; Lehrkollegium stehend, in der Mitte Marie Gernet, vorne Schülerinnen. Quelle: Festschrift Lessing-Gymnasium Karlsruhe zum ... jährigen Bestehen. – 70.1911/81 (1981). Badische Landesbibliothek, Signatur 83 K 2086

Es folgte die Promotion von Marie Gernet an der mathematischen Fakultät der Universität Heidelberg. Ihre Dissertation mit dem Titel „Über Reduktion hyperelliptischer Integrale“ enthält auch folgenden Lebenslauf:

Die Verfasserin vorliegender Arbeit, Tochter des Oberstabsarztes Gernet, wurde am ersten Oktober 1865 in Ettlingen geboren, besuchte von 1871 bis 1880 die höhere Mädchenschule zu Karlsruhe und trat hierauf in das Lehrerinnenseminar „Prinzessin Wilhelm-Stift“ ein. Nach dem im Jahre 1883 abgelegten Lehrerinnenexamen für höhere Mädchenschulen widmete sie sich mehrjährigen Privatstudien im Mathematik, welche sie befähigten, von 1888 bis 1891 an der „Grossherzoglichen Technischen Hochschule“ zu Karlsruhe die Vorlesungen und einige praktische Übungen über Mathematik, Physik, Chemie und Botanik zu besuchen. Im Herbste 1891 ward ihr gestattet, das Studium an der Universität Heidelberg fortzusetzen, woselbst sie zwei Jahre lang Vorträge über Mathematik und Physik hörte, den mathematischen Seminarien bewohnte, sowie ein Semester an den physikalischen Übungen teilnahm, und am 18. Juli 1895 in den Fächern Mathematik, Physik und Mechanik promovirte.

Über ihre erfolgreiche Promotion berichtete die Karlsruher Zeitung Nr. 226 vom 18. August 1895 in der Rubrik „Frauenstudium“:

An der Universität Heidelberg hat abermals eine Dame, Fräulein Marie Gernet, eine Karlsruherin, promovirt, und zwar als erste Deutsche in der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät. Als Hauptfach für die Prüfung hatte sie Mathematik, als Nebenfächer Physik und Mechanik. Das Thema der Dissertation war: „Reduktion hyperelliptischer Integrale durch rationelle Substitutionen.

Marie Gernet übernahm anschließend eine führende Rolle beim Verein „Frauenbildungs-Reform“, der 1888 in Weimar gegründet worden war und für ein umfassendes Recht von Frauen auf ein Universitätsstudium in allen Fächern eintrat. Der Verein engagierte sich für die Einrichtung von Mädchengymnasien und die Zulassung von Frauen zur Hochschule. Durch die erfolgreichen Petitionen des Vereins im liberalen Großherzogtum Baden konnte am 16. September 1893 mit einem Festakt das erste Mädchengymnasium Deutschlands eröffnet werden.

In der Zeitung Badische Presse Nr. 258 vom 4. November 1896 wurde in diesem Zusammenhang folgender Aufruf von Marie Gernet abgedruckt:

Aufruf! Nachdem auf der VII. Generalversammlung des Vereins „Frauenbildungs-Reform“ eine Abtheilung Baden mit dem Sitz in Karlsruhe gegründet wurde, fordern wir Jedermann in Baden und der Pfalz, der sich für unsere Bestrebungen und insbesondere für die Erhaltung und Fortentwicklung des Karlsruher Mädchengymnasiums interessiert auf, sich unserem Vereine anzuschließen. Der jährliche Mindestbeitrag ist 3 M. Anmeldungen zur Mitgliedschaft und das Gymnasium betreffende Anfragen sind an die Mitglieder des unterzeichneten Abtheilungs-Vorstandes zu richten. Die erste Versammlung findet am Mittwoch den 4. November Abends 8 Uhr, im Singsaale der Höheren Mädchenschule, Sophienstraße 14, statt. Der Vorstand der Abtheilung Baden des Vereins „Frauenbildungs-Reform“: Dr. Maire Gernet, Dr. R. Knittel, Hermine Ritzhaupt. Die süddeutschen Zeitungen werden höflichst um Abdruck dieses Aufrufs gebeten.

Das erfolgreiche Wirken des Vereins belegt kurz darauf ein Bericht in der Badischen Landeszeitung Nr. 286, I. Blatt vom 5. Dezember 1896 in der Rubrik „Residenz“:

Frauenbildungs-Reform. Man schreibt uns: „In der gestrigen Sitzung des Vereins konnte Frln. Dr. Gernet als Vorstand die erfreuliche Mitteilung machen, daß die Mitgliederzahl auf mehr als das Doppelte sich erhöht und auf 126 gestiegen ist, auch sonst noch einige Beträge eingekommen sind, so daß der Abschluß des ersten Monats ein sehr erfreulicher war. Frln. Dr. Gernet gab dann noch eine kleine Vorlesung über die geistige Regsamkeit der Frauen in dem kleinen Finnland, wo 7 Gymnasien den Mädchen zugänglich gemacht sind und sich 56 Studentinnen auf der Universität befinden. Deutschland kann in dieser Sache selbst so kleinen Ländern nur noch nachfolgen.“

Ab 1897 unterrichtete Marie Gernet als Lehrerin am Mädchengymnasium in Karlsruhe. Im Zusammenhang mit ihrer Anstellung galt der sogenannte „Beamtinnenzölibat“, der im Großherzogtum Baden 1888 eingeführt wurde und dazu führte, dass eine Beamtin bei Heirat ihren Beamtenstatus sowie das Ruhegehalt verlor. In den Badischen Gesetz- und Verordnungsblättern vom 18. August 1888 steht dazu im Paragraph 134 unter der Überschrift „Die weiblichen Beamten“:

Auf die weiblichen Beamten findet dieses Gesetz mit der Maßgabe Anwendung, daß

  1. mit der Verehelichung derselben die Anstellung eine unbedingt widerrufliche wird,
  2. mit der Verehelichung der Anspruch auf Gewährung eines Ruhegehalts bei künftig eintretender Dienstunfähigkeit erlischt und der im Falle bereits eingetretener Zuruhesetzung begründete Anspruch auf Ruhegehalt ganz oder theilweise zurückgezogen werden kann, und
  3. ein Anspruch der Kinder auf Versorgungsgehalt und die Pflicht zur Zahlung von Wittwenkassenbeitrag nicht Platz greift.

Marie Gernet starb 1924 in Karlsruhe.

In der Zeitung Die Badische Lehrerin, dem Vereinsblatt des „Vereins badischer Lehrerinnen“, Nr. 5 vom 23. März 1924 wurde ein Nachruf auf Marie Gernet veröffentlicht, der auch ihre Funktionen im „Allgemeiner Deutschen Lehrerinnenverein“ (ADLV) und im „Verein badischer Lehrerinnen“ belegt. Der ADLV war ein 1890 gegründeter pädagogischer Dachverband, in dem sich auf regionaler Ebene bestehende Vereine zusammenschlossen. Helene Lange wurde die erste Vorsitzende des Vereins.

Dr. Marie Gernet ✝ (1865–1924)

Es war letztes Jahr gerade um die beginnende Frühlingszeit, als in der Karlsruher Abteilung jene angespannte Tätigkeit einsetzte, die dann in der Pfingsttagung des A.D.L.-V. ihren krönenden Abschluß fand. Gegen Ostern begannen die Anmeldungen einzulaufen; immer höher türmten sich die Anfragen und Bestellungen aus allen Teilen des Reichs auf dem Schreibtisch Dr. Marie Gernets, der Vorsitzenden. Wohl hatte sie treue Helfer bei den umfangreichen Vorarbeiten; doch die Verantwortung für das Gelingen der Tagung, die sie so ausdrücklich zur Neubelebung des Geistes in unsern Kreisen hierher gewünscht hatte, lag bei ihr, und der Gedanke daran bedrückte sie oft schwer, Sie fühlte wohl, daß bei ihrer damals schon ernstlich gefährdeten Gesundheit sie nur mit Aufbietung aller ihrer großen Energie, die ihre treueste Gehilfin ihr ganzes Leben hindurch gewesen war, auch diese Riesenaufgabe meistern konnte. Es war eine große Stunde für sie, als sie dann, allen schwierigen politischen und wirtschaftlichen Konstellationen jener Tage zum Trotz in dem geschmückten Festhallesaal die Begrüßungsworte an die zahlreich erschienenen Gäste richte durfte, umso mehr, da auch die von ihr so hochverehrte Helene Lange unter diesen war. [...]

Ida Hyde

Das Foto zeigt Ida Hyde, eine der ersten promovierten Frauen an der Universität Heidelberg.

Ida Hyde in ihrem Laboratorium in Heidelberg, ca.1896. Quelle: Allan H. Bretag: The glass micropipette electrode: A history of its inventors and users to 1950. In: Journal of General Physiology, 2017, Vol. 149 No. 4. S 417–430. Zur Online-Ausgabe

Ida Hyde war nach Katharina Windscheid und Marie Gernet die dritte Frau, die ihren Doktortitel an der Universität Heidelberg erlangte. Sie entstammte einer deutsch-jüdischen Familie. Ihre Eltern wanderten von Württemberg in die Vereinigten Staaten aus und verkürzten dabei ihren Familiennamen von Heidenheimer auf Hyde. Ab 1881 studierte Ida Hyde an der University of Illinois und setzte ihr Studium anschließend an der Cornell University fort, wo sie einen Abschluss im Fachgebiet Zoologie erlangte. Danach erhielt sie ein Stipendium am Bryn Mawr College und führte auch Forschungen am Marine Biological Laboratory in Woods Hole, Massachusetts, durch. Im Jahr 1893 lud der deutsche Zoologe Alexander Goette Ida Hyde in sein Labor an die Universität Straßburg ein. Goette beabsichtigte, ihre Forschungsergebnisse als Dissertation anzuerkennen, konnte jedoch seine Fakultät nicht davon überzeugen, erstmals eine Frau zur naturwissenschaftlichen Promotion zuzulassen. Daraufhin wechselte Ida Hyde zur liberaleren Universität Heidelberg, wo sie im Jahr 1896 mit der Bewertung "magna cum laude" in Physiologie promovierte.

In ihrer Dissertation mit  dem Titel „Entwicklungsgeschichte einiger Scyphomedusen“ schrieb Ida Hyde:

Die Arbeit wurde 1892 im Bryn Mawr College begonnen; 1893 in der United States Fish Commission unter Leitung von Herrn Dr. T. H. Morgan fortgesetzt und 1894 im Zoologischen Institut der Universität Straßburg unter Leitung des Herrn Professor Goette beendet. Herr Professor Goette war mit steter Freundlichkeit bereit, mich durch seinen Rath zu fördern. Herr Professor Morgan stellte mir gütigst einen großen Theil des Materials zur Verfügung, welches er in Jamaica in der Johns Hopkins-Station gesammelt und präparirt hatte, und gab mir werthvolle Anleitung und Hilfe. Herr Hofrat Bütschli gar mir hilfreiche Anweisungen. Der Hon. Marshall McDonald „U.S.Commissioner of Fish and Fisheries“ hatte die Liberalität, mir das Laboratorium mit seinen so überaus reichen Arbeitsmitteln zu öffnen. Allen diesen Herren sage ich bei dieser Gelegenheit meinen herzlichsten Dank.

Im Sommer 1897 kehrte Ida Hyde in die Vereinigten Staaten zurück und begann als erste Frau ihre Forschungstätigkeit an der Harvard Medical School. Im Jahr 1905 wurde sie zur Professorin und Leiterin der Physiologischen Fakultät an der University of Kansas ernannt. Während ihrer Karriere widmete sie sich verschiedenen Themen wie dem Herzkreislaufsystem, der Atmung und dem Nervensystem. Ihre Erkenntnisse über die Auswirkungen von Alkohol, Nikotin und Koffein waren ihrer Zeit weit voraus. Im Jahr 1920 trat Ida Hyde in den Ruhestand und ließ sich in Kalifornien nieder. Sie starb 1945 in Berkeley.

Anna Gebser

Das Foto zeigt Anna Gebser, eine der ersten promovierten Frauen an der Universität Heidelberg.

Anna Gebser. Quelle: Berliner Leben: Zeitschrift für Schönheit und Kunst. Ausgabe 6.1903, Heft 7, Seite 186. Zum Digitalisat

Im Jahr 1897 folgte die Promotion von Anna Gebser an der philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg. Ihre Dissertation mit dem Titel „Die Bedeutung der Kaiserin Kunigunde für die Regierung Heinrichs II.“ enthält auch folgenden Lebenslauf:

Geboren bin ich in Heichelheim, in der Nähe von Weimar. Meine Schulbildung erhielt ich teils durch Privatunterricht, teils auf der höheren Mädchenschule „das Sophienstift“ in Weimar. In Sondershausen besuchte ich später das Lehrerinnenseminar und legte dort mein Lehrerinexamen ab. Durch Privatunterricht bereitet ich mich in derselben Stadt bei Herrn Direktor Dr. Kunze zum Abiturium vor; doch wurde mir nach vollendeten Studien die Ablegung der Reifeprüfung nicht gestattet. An der Universität Leipzig wurde ich als Hörerin zugelassen, studierte hier bei den Herrn Professoren von Noorden, Voigt, Zarnke, Curtius u.a. und nahm teil an den Übungen des Kgl. Historischen Seminars. Zwei Semester war ich in Bern immatrikuliert und arbeitete bei den Herren Professoren Stern, Hidber, Hirtzel. Die Förderung, welche mir alle die genannten Herren angediehen liessen, werde ich stets in dankbarer Erinnerung behalten.

Über ihre erfolgreiche Promotion berichtete die Karlsruher Zeitung Nr. 128 vom 16. März 1896 in der Rubrik „Von den Hochschulen“:

In der philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg bestand das Fräulein Anna Gebser aus Berlin das Doktorexamen magna cum laude. Ihre Dissertation behandelte den Einfluß der Königin Kunigunde auf die Politik Heinrich’s II.

Anna Gebser war anschließend vorwiegend in Berlin tätig, wo sie sich durch Publikationen und Vorträge für die Rechte von Frauen einsetzte. Daneben übernahm sie im Jahr 1902 den Vorsitz der „Deutschen Frauengenossenschaft“ und setzte sich zudem im „Verein zur Verbesserung der Frauenkleidung“ ein. Dass sie in Baden nicht vergessen wurde, zeigt ein Bericht in der Zeitung Badischer Beobachter Nr. 16, I. Blatt vom 21. Januar 1900 in der Rubrik „Theater, Konzerte, Kunst und Wissenschaft“:

Der weibliche Paukarzt! In der von Dr. Anna Gebser in Berlin herausgegebenen Frauenkorrespondenz ist zu lesen: „Die werthen Kommilitonen nehmen in unserer Zeit oft in wenig angenehmer Weise Partei gegen die mitstudirenden oder studirten Frauen. Umso erfrischender und ermuthigender wirkt es, wenn wir auch einmal einen Fortschritt in den Gesinnungen einzelner zu verzeichnen haben. Als ein solcher erquickender Erfolg ist es angesehen, daß eine der Aerztinnen Berlins aufgefordert wurde, als Paukarzt bei einer Mensur zu assistiren, weil ihre Hand leichter sei, als die der Aerzte, um die geschlagenen Paukwunden zu vernähen. Die Aerztin lehnte natürlich ab, freute sich aber innig des eigenartigen Erfolges und der Anerkennung ihrer spezifisch weiblichen Eigenschaft.“

Anna Gebser starb 1917 in Berlin.

Fortschritte bei der Zulassung von Frauen zum Studium wurden schließlich in der Badischen Landeszeitung Nr. 65 vom 8. Februar 1900 in der Rubrik „Baden und Nachbarländer“ angekündigt:

Heidelberg, 7. Febr. Von gut unterrichteter Seite wird dem „Schw. Merk.“ versichert, daß schon in der nächsten Zeit eine Verfügung des hiesigen Ministeriums zu erwarten ist, mit welcher zum erstenmal in Deutschland der entscheidende Schritt gemacht wird, daß die mit voller Gymnasialbildung ausgestatteten Frauen in Baden nicht nur wie bisher schon als außerordentliche Hörerinnen zuzulassen, sondern voll immatrikuliert werden. Den Anstoß zu dieser Maßregel hat der Umstand ergeben, daß nunmehr eine Anzahl von Damen das Karlsruher Mädchengymnasium vollständig absolviert hat. Das Ministerium hat sich deshalb an die beiden Landesuniversitäten Freiburg und Heidelberg gewandt mit der Anfrage, wie sich dieselben zu der Frage der Immatrikulation dieser Abiturientinnen verhielten; das Ministerium habe die Absicht, diesen Damen das Recht der Zulassung zur Immatrikulation zu verleihen, jedoch würde man von dieser Maßregel absehen, wenn seitens der Universitäten schwerwiegende Bedenken geltend gemacht würden. Daraufhin hat sich die Universität Freiburg ohne Ausnahme zustimmend ausgesprochen, ebenso bei der Universität Heidelberg, wie früher gemeldet, die sämtlichen Fakultäten mit einziger Ausnahme der juristischen. Da also die erdrückende Mehrheit der beiden Hochschulen für die Absicht der Regierung ist, so unterliegt es jedenfalls keinem Zweifel, daß die Neuordnung auch wirklich in Kraft tritt, und zwar wahrscheinlich noch rechtzeitig genug, daß bereits im Sommer dieses Jahres die Immatrikulation von Frauen, die im Besitz des Reifezeugnisses eines deutschen Gymnasiums sind, an den beiden badischen Universitäten vollzogen werden kann. Nach den bei unserer obersten Schulverwaltung herrschenden Anschauungen ist es sehr wahrscheinlich, daß dabei die Reifezeugnisse eines deutschen Realgymnasiums und einer deutschen Oberrealschule denen des humanistischen Gymnasiums völlig gleichgestellt werden.

In der Badischen Landeszeitung Nr. 494 vom 23. Oktober 1900 wurde dann in der Rubrik „Baden und Nachbarländer“ die Zulassung von Frauen zur Immatrikulation endlich offiziell verkündet:

Heidelberg, 22. Okt. Der Prorektor, Geh. Bergrat Rosenbusch, erließ eine Bekanntmachung, wonach Frauen, welche das Reifezeugnis eines deutschen staatlich anerkannten Gymnasiums bezw. in den hiefür bestimmten besonderen Fällen eines derartigen Realgymnasiums (beim Studium der Mathematik, Naturwissenschaften oder fremder, neuerer Sprachen) oder einer derartigen Oberrealschule (beim Studium der Mathematik und Naturwissenschaften) vorlegen und im übrigen die erforderlichen Nachweise für die Immatrikulation bringen, versuchs- und probeweise zur Immatrikulation zugelassen werden. ... Die Erwerbung des Doktorgrades in der philosophischen und mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät unterliegt denselben Bedingungen, wie sie die Promotionsordnung für die männlichen Studierenden vorschreibt, außerdem wird unter allen Umständen ein Studium an der Heidelberger Universität verlangt.

Damit stand Frauen der Zugang zu einem Studium offen: Studentinnen konnten sich offiziell an den beiden badischen Landesuniversitäten in Heidelberg und Freiburg immatrikulieren.


Literatur:

•    Marco Birn: Bildung und Gleichberechtigung: Die Anfänge des Frauenstudiums an der Universität Heidelberg (1869–1918). Heidelberg: Kurpfälzischer Verlag, 2012. Badische Landesbibliothek, Signatur 112 A 2902
•    Marco Birn: Die Anfänge des Frauenstudiums in Deutschland: Das Streben nach Gleichberechtigung von 1869–1918; dargestellt anhand politischer, statistischer und biographischer Zeugnisse. Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 2015. Badische Landesbibliothek, Signatur 115 A 7958
 

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