Auktionspech und Schaustellerzettel
Zeitungsarchäologie Nr. 2
Julia von Hiller 9.2.2022 18.00 Uhr
DOI: https://doi.org/10.58019/a1ey-4k57
Am 14. Oktober 2021 wurden bei Kiefer Buch- und Kunstauktionen in Pforzheim zweiundzwanzig Schaustellerzettel verauktioniert. Bei genauerer Recherche stellte sich heraus, dass viele dieser Zettel zu Darbietungen von Akrobaten, Zauberern und Sängerinnen, zu Präsentationen von Menschen, Tieren und Kunstobjekten etc. nach Karlsruhe gehören, wo sie in den Jahren 1831 bis 1833 zum Einsatz gekommen sind. Als frühe Dokumente der Unterhaltungs- und Eventbranche des 19. Jahrhunderts haben sie ohnehin einen einzigartigen kulturgeschichtlichen Wert. Nun waren sie womöglich auch noch Zeugnisse dieser Branche aus unserer Stadt. Und Unikate waren sie vermutlich auch. Deshalb haben wir uns in der BLB sofort brennend dafür interessiert, sind der Sache nachgegangen und haben auf die Zettel geboten.
Anschlagzettel zur Vorstellung des Seiltänzers Rudolph Knie am 6. und 7. Juni 1832 in Karlsruhe (121 C 38 R)
Dem hohen Adel und wertesten Publikum habe ich die Ehre anzuzeigen …
Was ist ein Schaustellerzettel? Durchreisende Artisten und Illusionisten, die in Karlsruhe auftraten, und Besitzer von Menagerien, Panoramen, Wachsfiguren, die in der Stadt ihre Sammlungen zeigten, machten ihre Veranstaltungen über gedruckte Zettel bekannt: Programm, Spielstätte, Uhrzeit und Eintrittspreis. Diese wurden als Plakat angeschlagen, aber auch in den Bürgerhäusern der Stadt verteilt. Unterschiedliche Formate lassen auf die jeweilige Verwendung schließen. Immer aber ist nur die Vorderseite des Zettels bedruckt, um beides zu ermöglichen. Oft waren die Zettel Vordrucke, die in verschiedenen Städten eingesetzt und bei denen Veranstaltungsort und -termin handschriftlich eingetragen werden konnten. Und oft wurden sie zwecks Wiederverwendung nach der Vorstellung wieder eingesammelt.
Die Schausteller und Künstler nutzten an ihren Auftrittsorten dieselben Verteilungswege für ihre gedruckten Vorstellungsankündigungen wie die etablierten Hof- und Stadttheater, deren Zettel als Dokumente des örtlichen Kulturbetriebs in den Bibliotheken oder Archiven gesammelt wurden. So war es auch in Karlsruhe, wo die Hofbibliothek als unsere Vorgängerin, das Generallandesarchiv, das Stadtarchiv und das Theater selbst die Zettel aufbewahrt haben. Schon seit 2015 sind alle diese 26.619 Zettel der Jahre ab 1793 in unserer Digitalen Sammlung Theaterzettel vielfältig durchsuchbar bereitgestellt.
Solche zum Verbrauch bestimmten Anschlagzettel des 19. Jahrhunderts sind große Raritäten. Dem Brauch des Zettelaustragens verdankt sich aber auch der glückliche Umstand, dass sich einzelne Exemplare und kleine Kollektionen in Privathaushalten erhalten haben, wo sie von theater- und kunstbegeisterten Bürgern über die Jahre gesammelt und archiviert wurden. Liebevoll gehütet, sind sie dann über einen langen Zeitraum hinweg auch sehr gut erhalten geblieben. Und eine solche Sammlung, vermutlich im 19. Jahrhundert von einem Karlsruher Bürger zusammengestellt, ist nun also im letzten Herbst unter den Hammer gekommen.
Anschlagzettel der Pantomime-Gruppe von Johann Hinné, ohne Ort und Jahr (121 F 1026 R)
Der Schauplatz ist auf dem Schlossplatz …
Drei der Schaustellerzettel lokalisierte der Auktionskatalog nach Karlsruhe. Das war Anlass nachzusehen, ob nicht vielleicht auch die anderen Zettel hierhergehören, bei denen der Auftrittsort nicht aufgedruckt ist – warum auch, die Empfänger wussten ja, wo sie sich aufhielten, und kannten die Lokale und Plätze, die für Veranstaltungen genutzt wurden. Und das ging ziemlich einfach, denn „Kunstreiter“, „Seiltänzer“, „Keroplastiker“ und „Feuerkönige“ sind Begriffe, die nicht allzu häufig in der gedruckten Literatur vorkommen, so dass es von Vornherein aussichtsreich schien, in den Volltexten der digitalisierten Karlsruher Zeitungen Punktlandungen zu erzielen. Und so war es. Die auf den Zetteln angekündigten Darbietungen wurden auch in der Zeitung annonciert und gelegentlich auch dort besprochen. Und die Karlsruher Zeitung verlautbarte recht häufig dazu: „Das Nähere besagen die Anschlagzettel.“
Der früheste Zettel allerdings stammt aus Baden-Baden: Am 17. Juli 1824 (Kiefer-Auktion 120/381) kündigte der Schausteller Georg Lang seine Darbietung des Haßelmeierschen Wachsfigurenkabinetts im Gasthof zum Hirschen in Baden-Baden an. Bevor er dorthin reiste, hatte er sein Kabinett in Karlsruhe präsentiert. In der Karlsruher Zeitung vom 6. Juli 1824 hatte er mitgeteilt, dass es bis zum 20. Juli in der Hirschgasse Nr. 4 gegen den Eintritt von 24 Kreuzern besichtigt werden könne; er könne auch Objekte zum Kauf anbieten und Bestellungen entgegennehmen. Karlsruher wissen, dass es keine Hirschgasse, dafür aber eine Hirschstraße gibt in ihrer Stadt: Dort hatte im Haus Nr. 4 damals der Büchsenmacher Ferdinand Glöckler sein Geschäft – das lässt sich in den ebenfalls digitalisierten Karlsruher Adressbüchern ermitteln. Das Wachsfigurenkabinett wurde also in privaten Geschäftsräumen präsentiert.
Schausteller quartierten sich auch gern in Gasthäusern ein. So Wenzel Kohlmann aus Salzburg, der in Karlsruhe sein Kunst- und Naturalien-Kabinett präsentierte, in welchem es Objekte aus der Tierwelt, Nachbildungen berühmter Kunstwerke und Wachs-Präparate der menschlichen Anatomie zu sehen gab (Kiefer-Auktion 120/389). Zum Nebenkabinett mit letzteren hatten Kinder keinen Zutritt und der Zettel vermerkt: „Bei allen diesen Stücken ist das Anstößige so vermieden, daß die respectirten Damen keinen Anstand nehmen dürfen, diese instruktiven Stücke zu sehen.“ Wann genau und wo in Karlsruhe das Kabinett besucht werden konnte, ist unklar: der Anschlagzettel ist ohne Datum und gibt, handschriftlich ergänzt, das Hotel Badischer Hof als Ausstellungsort an – die Karlsruher Zeitung allerdings vermerkt einen Aufenthalt Kohlmanns im November 1824 im Roten Haus. Dem zeitlich voraus war Kohlmann in Thüringen, in Franken und in der Schweiz. Woher weiß man das? Aus den bis jetzt von der Bayerischen Staatsbibliothek in Digipress bereitgestellten digitalisierten Zeitungen. Aber vielleicht war er auch zweimal in Karlsruhe: Denn aus dem nordrhein-westfälischen Zeitungsportal zeitpunkt.nrw wissen wir, dass er sein Kabinett im Sommer 1830 auf dem Heumarkt in Köln und im ehemals Schulten’schen Kaffeehaus in Düsseldorf präsentierte. Mit Fortschreiten der Zeitungsdigitalisierung wird man seinen Weg im deutschen Sprachraum zunehmend besser verfolgen können.
Anschlagzettel zur Vorstellung der Kunstreitergesellschaft von Louis Fouraux am 1. April 1832 in Karlsruhe (121 F 1025 R)
Eine große brillante außergewöhnliche Vorstellung …
Öffentlichen Raum nutzten dagegen die Luftakrobaten und die Kunstreiter. Nicht nur die berühmte Truppe des Königlich Niederländischen Zirkus von Baptiste Loisset gastierte zur Herbstmesse 1831 im Reithaus des Großherzoglichen Gardekorps. Auch die Artisten-Gesellschaft des Circus gymnasticus von Louis Fouraux bot Ende März 1832 eine Woche lang dem Publikum atemberaubende Kunststücke der Dressur- und Kunstreiterei. Bei ihrer letzten Vorstellung ließ sie „auf allgemeines Verlangen“ noch einmal „das unverbrennbare Pferd Salamander“ auftreten – das war, nach allem was man weiß, eine Feuerwerksdarbietung, bei der ein Pferd inmitten von Knallen und Blitzen Dressurschritte vollführte. Sie war auch später noch und bei anderen Truppen ein Zirkus-Klassiker. Hierzu konnten wir einen in lateinischer Schreibschrift gedruckten Anschlagzettel vom Sonntag, dem 1. April 1832, für die BLB erwerben (121 F 1025 R); ein in Frakturschrift gedruckter Zettel des Circus gymnasticus vom 27. März 1832 hingegen ging an einen Mitbieter.
Denn leider wurden die Zettel einzeln verauktioniert und es ist nicht gelungen, mehr als fünf von ihnen für die Sammlungen unseres Hauses zu erobern. Einige sehr dekorative Zettel sind besonders hochpreisig verkauft worden. Andere waren vielleicht Spezialsammlern für Völkerschauen, Zaubervorführungen etc. ihren hohen Preis wert. Vielleicht aber sind sie auch von Händlern gekauft worden und tauchen zu erhöhten Preisen auf dem Markt wieder auf. Als Raritäten begehrt waren sie jedenfalls alle.
Rühmlichst bekannt unter dem Namen: der Unvergleichliche …
Und so tritt also nun bei uns auf: Rudolph Knie, „erster Acrobat von Deutschland“, „rühmlichst bekannt unter dem Namen: der Unvergleichliche“. In der ersten Juni-Woche 1832 baute er auf dem Karlsruher Schlossplatz seine „Bude“ auf und bot mit seiner Truppe „unter Begleitung guter Musik“ Tänze aller Art auf dem Seil. Der Patron selbst war die größte Attraktion: Er tanzte den Pas de Grec, ohne das Seil mit den Füßen zu berühren, jonglierte da oben „mit Gabeln, Citronen und Bouteillen“ und spazierte am Schluss unter dem Titel „Die große Ascension“ als Römer, 90 Fuß hoch, „mit außerordentlicher Leichtigkeit und Gracie hinauf und herab“ – „mit geschlossenen Ketten, welches alle Erwartung übertreffen wird.“ Das bei Wilhelm Hasper in der Kronenstraße gedruckte Plakat zu den Aufführungen am 6. und 7. Juni 1832 (121 C 38 R) haben wir jetzt wieder in Karlsruhe.
Anschlagzettel zum Abschiedskonzert der Tyrolermädchen Josephine und Anna Mutschlechner vom 25. September 1833 im Lyceums-Saal (121 C 36 R)
Ebenfalls bei Hasper gedruckt und nun bei uns ist der Zettel für das Abschiedskonzert der beiden „Tyrolermädchen“ Josephine und Anna Mutschlechner am 25. September 1833 im Lyceumssaal (121 C 36 R). Schon das Karlsruher Intelligenz- und Tageblatt vom 15. Februar 1833 hatte einem Gönner Gelegenheit gegeben, die Sprösslinge einer Brixener Sängerfamilie anzupreisen: „Die beiden Töchter von 14 und 15 Jahren entwickeln einen Umfang der Stimmen, wie man ihn in so früher Jugend gewiß selten findet, und besitzen eine reine Intonation, eine helle und wohlklingende Stimme.“ Sie waren das Jahr über zur weiteren Ausbildung in Karlsruhe geblieben, hatten mit öffentlichen Auftritten gastiert und verabschiedeten sich nun von ihrem geneigten Publikum. Hier haben wir den besonderen Fall, dass wir neben dem Anschlagzettel auch eine Vorankündigung und eine Besprechung des Konzerts in der Karlsruher Zeitung besitzen. In deren Ausgabe vom 24. September bedankte sich die Musikerfamilie für die Förderung der beiden Ausnahmetalente und lud zum Konzert ein, das dann in der Ausgabe vom 1. Oktober 1833 sehr wohlwollend besprochen wurde. Ganz offensichtlich hatten sich die beiden Teenager große Partien der Vokalmusik zugetraut, die sie dann wider Erwarten auch brillant meisterten. Ihre spätere Karriere lässt sich durch die digitalisierten Zeitungen in ganz Deutschland verfolgen, auf Dauer wurden die in Karlsruhe bejubelten und später in Stuttgart und München debütierenden Elevinnen den Ansprüchen ihrer Engagements aber wohl nicht gerecht.
Den geehrten Anwesenden einen vergnügten Abend zu verschaffen …
Außer Kunstreitern, Seiltänzern und musikalischen Wunderkindern sind in unserem Zettelbestand nun auch Pantomimen und ein Wachsfigurenkabinett vertreten. Ob der undatierte Zettel der Truppe von Johann Hinné, der eine große Pantomime-Vorstellung „im hiesigen Theater“ ankündigt (121 F 1026 R), wirklich aus Karlsruhe stammt, können wir nicht sagen. Seine „Gesellschaft plastisch-grotesker Tänzer“ führte laut Karlsruher Zeitung vom 19. Januar 1829 genau das dreiteilige Programm, das der Zettel beschreibt, im Roten Haus auf. Das war aber ein Gasthaus und kein Theater. Eigentlich war die Zirkusfamilie Hinné wie die Familie Fouraux eine Kunstreitertruppe und gastierte als solche auch in Karlsruhe im April 1833. Vorerst müssen Ort und Datum unseres Zettels also als unklar gelten. Auch wenn der Zettel nicht aus Karlsruhe stammen sollte, so ist die Truppe doch mit dem beschriebenen Programm in Karlsruhe aufgetreten.
Anschlagzettel für das Wachsfigurenkabinett des Tessiner Schaustellers Rotanzi, ohne Ort und Jahr (121 C 37 R)
Ähnlich verhält es sich mit dem großen kaiserlichen, königlichen und römischen Wachsfigurenkabinett des Tessiner Schaustellers Rotanzi (121 C 37 R). Das Offenburger Wochenblatt vom 5. September 1834 vermeldete, es habe beim Bierbrauer Baur in Offenburg eröffnet. Die 80 Figuren in Lebensgröße stellten hauptsächlich biblische Personen und Angehörige der regierenden Häuser Europas vor. Das ist genau diejenige Schau, die der Anschlagzettel beschreibt, welcher allerdings erklärt: „Der Schauplatz ist im Schützen“. In Karlsruhe gab es kein Gasthaus „Zum Schützen“. Andererseits ist kaum vorstellbar, dass der Schausteller, der über Jahrzehnte hinweg mit seinen Figuren durch Deutschland zog, auf dem Weg nach oder von Offenburg die Residenz ausgelassen haben sollte. Und der Zettel ist auch aus anderen Gründen interessant, denn er ist ganz offensichtlich von einem gedruckten Exemplar handschriftlich kopiert worden. Die Universitätsbibliothek Bern besitzt einen 1824 gedruckten Anschlagzettel von Rotanzis Kabinett, der mit einer nur geringen Abweichung in Wortlaut und Gestaltung identisch ist. Wachsfigurenkabinette waren zu dieser Zeit außerordentlich beliebt. Zu den Messeterminen in Karlsruhe war eigentlich immer eines der Wanderkabinette vor Ort.
Standespersonen zahlen nach Belieben. Kinder zahlen die Hälfte …
Nicht erringen konnten wir jenen Zettel, den Christoph Friedrich Lang aus Stuttgart, „gewesener Seefahrer der holländischen Marine“, drucken ließ, als er in Karlsruhe ein zehn Fuß langes Schiffmodell des „Herkules von 74 Kanonen“ zur Schau stellte (Kiefer-Auktion 120/388). Oder jenen Zettel aus dem Juni 1832, mit dem ein „in Europa noch nie gesehener Afrikaner von der kriegerischen Nation der Ashantées“ zur Besichtigung auf dem Schlossplatz angepriesen wurde – mit dem Zusatz, dass „für gehörige Reinlichkeit und ein anständiges Betragen des Ashantées“ namens Hoongoo Rhyhoo hinlänglich gesorgt sei (Kiefer-Auktion 120/391, Karlsruher Zeitung vom 15. Juni 1832).
Anzeige in der Karlsruher Zeitung vom 15. Juni 1832
Nicht zu uns gelangt ist auch der Zettel vom 31. Juli 1833, mit dem der „Mechanikus Weiss aus Paris“ seine Zaubervorstellung im Promenadenhaus ankündigte (Kiefer-Auktion 120/392). Oder der Zettel zum Auftritt des russischen Gewichthebers und Feuerkünstlers Paul Schwarzenberg, der im Oktober 1832 in Karlsruhe gastierte (Kiefer-Auktion 120/397).
Schade. Hätte der Verkäufer der Sammlung sie uns angeboten, hätten wir in der Badischen Landesbibliothek den Preis für diesen besonderen Schatz sicher auch aufgebracht und sie wäre beisammengeblieben. Nun ist sie zerstreut und wir wissen nicht, wohin. Und andererseits ahnen die Käufer ihrerseits vermutlich nicht, dass sie über die von ihnen erworbenen Zettel viel mehr wissen könnten als es der Fall ist. Denn die Karlsruher Zeitungen erzählen noch viel mehr darüber …
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