Zur Geschichte der Fliegerei – die Büchersammlung des Luftfahrthistorikers Kurt Möser

Kurt Möser 08.02.2023 17:40 Uhr

DOI: https://doi.org/10.58019/kspj-pm33

In meinem Alter muss man lernen, loszulassen. Mein Onkel, der Graphiker Fritz Möser, hat mir die Bedeutung des Verfahrens „Vorlass“ beigebracht. Interessante Bestände sollten nicht erst nach dem Tod des Sammlers in die richtigen – öffentlichen – Hände kommen, sondern vorher. Daran habe ich mich gehalten.

Das Foto zeigt den Kleinen UHU in seinen Einzelteilen als Baukasten.

Der kleine Uhu als Modellbausatz in der dritten Version. Bildrechte bei Graupner und UHU

Die Geschichte meiner Faszination mit Luftfahrt und Flugzeugen lässt sich genau datieren: Am 6. Dezember 1961, ich war gerade eingeschult worden, kam der Nikolaus per Transportflugzeug. Ich hatte das Glück, dass damals die Druckerei meiner Eltern auch für die Luftwaffe arbeitete. Wir Kinder wurden auf den Fliegerhorst Memmingerberg eingeladen. Dann nahm der Nikolaus uns mit: eine Platzrunde in einer zweimotorigen Noratlas.

So begann das lebenslange Sammeln: Typenbücher, Flugzeugmodelle aus Plastik und Papier, Bücher über Piloten und Pionierflüge, Segler aus Balsaholz, schließlich sogar ein kleines Flugzeug mit Glühzündermotor, über Wochen gebaut, das davonflog, und dem ich noch lange nachgetrauert habe. Schon früh habe ich alles gelesen, was mir zur Fliegerei in die Hände fiel, Artikel in den Jahrbüchern des Neuen Universums oder in den Hobby-Heften etwa.
 

Das Foto zeigt die Teilnehmer des Bundesentscheides Kleiner UHU in Hirzenhain 1970.

Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Bundesentscheid Kleiner Uhu in Hirzenhain 1970. Bildrechte bei UHU GmbH & Co. KG

Zu sehen ist die Titelseite des Buches „Literatur und Aviatik. Europäische Flugdichtung 1909 bis 1927“ von Felix Philipp Ingold aus dem Jahr 1980.

Felix Philipp Ingold: Literatur und Aviatik. Europäische Flugdichtung 1909–1927. Erste Auflage. Frankfurt am Main 1980, Titelseite
Badische Landesbibliothek 121 F 2357

Während des Studiums, das ich 1974 begann, ging meine Flugfaszination anfangs unter. Die Geschichtswissenschaft nahm damals die Luftfahrt nicht ernst, und auch die deutsche Literaturwissenschaft hatte kein großes Interesse daran. Dass Rainer Maria Rilke, Franz Kafka, Bertolt Brecht, Hermann Hesse und sehr viele andere über die Luftfahrt schrieben, schien bedeutungslos zu sein. Felix Philipp Ingolds inspirierendes Buch zu Literatur und Aviatik von 1978 blieb weitgehend folgenlos. Flugzeuge und Fliegen schien ausschließlich eine Beschäftigung für Laien, Enthusiasten, vor allem auch für Begeisterte von Flugzeugen und von Fliegern beider Weltkriege zu sein.

Der Band In der Luft unbesiegt von Georg Paul Neumann war 1923 das Schlüsselwerk einer aviatischen Dolchstoßlegende – deutsche Flieger seien trotz streikbedingtem Materialmangel bis zum Schluss des Krieges überlegen gewesen. Und nach 1945 kursierte im Westen eine ganz ähnliche Großerzählung: „Wir“ hätten doch mit unseren hochinnovativen Strahl- und Raketenflugzeugen den Zweiten Weltkrieg gewinnen können, wenn sie nicht zu spät gekommen wären – dieses Erklärungsmuster geisterte seit meiner Kindheit durch die meisten Texte über die deutsche Kriegsfliegerei.

Zu sehen ist die Titelseite des Buches „Taking to the skies. The story of British aviation 1903–1939“ von Graham Smith aus dem Jahr 2003.

Graham Smith: Taking to the skies. The story of British aviation 1903–1939. Newbury, Berkshire 2003, Titelseite
Badische Landesbibliothek 121 F 2064

In Großbritannien und den USA sah es etwas anders aus. Sicher war da die Kultur der Typenbücher und der Firmengeschichten weiter als im deutschsprachigen Raum verbreitet – für die ich ja selbst durchaus affin war. Aber es gab auch ernsthaftere, akademische, gleichwohl auf ein breites Publikum abzielende Bücher. Mir wurde in den 1980er Jahren, während meines Lektorats in Oxford, beim Besuch der wunderbaren Buchläden dort klar, was für Möglichkeiten für die Luftfahrtgeschichte bestanden. Sie war ein erstaunlich wenig beforschtes Feld der Technikgeschichte; es gab den auch bei Autos üblichen Kontrast zwischen hohem Interesse von Seiten der Laien, Enthusiasten und Sammlern einerseits und der zögerlichen akademischen Befassung andererseits.

Aber als ich 1987 als Konservator ins Aufbauteam des Mannheimer Museums für Technik und Arbeit (das heutige Technoseum) eintrat, wurde es möglich, dass ich mich auch wissenschaftlich mit Mobilität befasste. Die Mobilitätsgeschichte war damals ein recht kleines, aber für mich sehr spannendes Teilgebiet der Technikgeschichte. Und dass wir Autos, Flugzeuge und Schiffe als Sachquellen und materielle Substrate der Geschichte ernst nahmen, eröffnete ein neues Feld.

Zu sehen ist die Titelseite des Buches „Fahren und Fliegen in Frieden und Krieg. Kulturen individueller Mobilitätsmaschinen 1880 bis 1930“ von Kurt Möser aus dem Jahr 2009.

Kurt Möser: Fahren und Fliegen in Frieden und Krieg. Kulturen individueller Mobilitätsmaschinen 1880–1930. Heidelberg 2009, Titelseite
Badische Landesbibliothek 110 A 4484

Mit meiner Versetzung an die damalige Universität Karlsruhe (TH) ergaben sich neue Möglichkeiten, das Feld der Mobilitätsgeschichte zu bearbeiten. Ich schrieb über Hugo Junkers und Anthony Fokker, über Pionierpiloten, Flugschulung, über den „Flugdandy“ Alberto Santos-Dumont oder über Schlachtflieger als neues Waffensystem. Währenddessen stöberte ich nach Memoiren von Fliegern und Ingenieuren, kaufte interessante Werke zur Luftfahrt, wobei ich so manche glückliche Zeit in Antiquariaten und beim Recherchieren verbrachte.

So entstand auf durchaus ungeplante Weise eine heterogene Büchersammlung, die manches Populäre, einiges an Spezialliteratur und dann auch viel zur frühen Luftfahrt bis 1930 und die Erinnerungen daran enthält. Den Kern bildet ein Teil der – teilweise recht seltenen – Bücher, die ich für meine Habilitationsschrift Fahren und Fliegen in Frieden und Krieg (2008) gebraucht habe.

Zu Beginn des Kontakts mit der Badischen Landesbibliothek (BLB) hatte ich gar nicht erwartet, dass der Bestand auch ausgestellt würde. Ich bin aber sehr froh, dass es nun tatsächlich dazu kam – und dass dahinter auch eine schöne Kooperation zwischen dem KIT (Institut für Technikzukünfte, Department für Geschichte) und der BLB steht. Denn zur Vorbereitung der Ausstellung Faszination Fliegen haben Prof. Marcus Popplow und ich im Wintersemester 2021/22 ein Seminar veranstaltet, aus dem die meisten Texte der Ausstellung hervorgingen. Einen Eindruck von der Sammlung lässt sich auf den Webseiten der BLB gewinnen; dort ist eine virtuelle Version der Ausstellung dauerhaft verfügbar.

Zu sehen ist ein Screenshot der Webseite der Badischen Landesbibliothek, auf der die virtuelle Ausstellung „Faszination Fliegen“ präsentiert wird.

Screenshot der virtuellen Ausstellung „Faszination Fliegen“ auf der Webseite der Badischen Landesbibliothek

Die Abgabe meiner Büchersammlung zur Luftfahrt bedeutet nicht, dass ich aufhöre, über dieses so spannende Thema nachzudenken und zu schreiben. Aber ich freue mich, dass aus einer anfangs ungesteuert entstandenen privaten Büchersammlung doch etwas geworden ist, das nun für alle Interessierten zugänglich (zum Katalog plus) ist.

Luftfahrt
Fliegerei
Mobilitätsgeschichte
20. Jahrhundert
Sammlung
Badische Landesbibliothek

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