Heinrich Vierordt – Heimatdichter, Kriegshetzer und Unterstützer des Nationalsozialismus (Teil II)

Die Abbildung zeigt Heinrich Vierordt (1845-1945) in einer Aufnahme von 1935.

Heinrich Vierordt, 1935. Aus: Der Führer am Sonntag vom 29. September 1935 – zum Digitalisat.

Michael Fischer 8.11.2024

DOI: https://doi.org/10.58019/ks2s-2v09

Der erste Teil dieses Blogbeitrags widmete sich Heinrich Vierordts Heimat- und Kriegsdichtung; im zweiten Teil steht nun seine politische Ausrichtung während der Weimarer Republik und der NS-Diktatur im Fokus.

1917 unterzeichnete Vierordt den Karlsruher Gründungsaufruf der Deutschen Vaterlandspartei. Bei dieser handelte es sich um eine rechte Parteineugründung, die als Scharnier zwischen der alten, wilhelminisch geprägten konservativen Rechten, dem zeitgenössischen militärischen Autoritarismus und den neurechten, imperialistischen, antisemitischen und völkischen Rechten fungierte. Aus ihr gingen nach 1918 mehrere Parteien hervor – am wirkmächtigsten zwar die Deutschnationale Volkspartei (DNVP), aber auch Kleinparteien, die programmatisch der späteren Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) nahestanden.

Während der Wirtschaftskrise in den 1920er Jahren verlor Vierordt sein Vermögen und zog sich, auch altersbedingt, mehr und mehr aus der Öffentlichkeit zurück. In dieser Zeit arbeitete Vierordt vor allem an seinem Badischen Heimatbüchlein sowie an seinen Lebenserinnerungen.

1925 widmete die Wochenbeilage des Karlsruher Tagblatts Vierordt eine gesamte Ausgabe zu dessen 70. Geburtstag. Die darin versammelten Beiträge würdigten Vierordt als treudeutschen, heimatliebenden „Nestor“ der (badischen) Heimatdichtung. Angesichts der von Vierordt in den oben genannten Gedichten popularisierten ultra-nationalistischen Inhalte ist die bunte Mischung der Jubilierenden auf den ersten Blick erstaunlich: Neben Konservativen und Deutschnationalen finden sich darunter auch politisch sehr liberale Schriftsteller sowie Juden. Allerdings mag genau jene Mischung die politische Diversität des bürgerlichen Deutschlands in den 1920er Jahren illustrieren, das sich nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg orientierungslos in der Weimarer Republik wiederfand und sich als gesellschaftliche Schicht trotz aller weltanschaulicher Unterschiede einander zugehörig empfand.

Dass Vierordt auch während der Weimarer Republik nichts von seiner militaristischen Orientierung verloren hatte, bezeugt ein 1926 verfasstes Gedicht zu Ehren von Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg (1847–1934), damals bereits Reichspräsident, mit dem Titel Hindenburgs Berufung. Darin thematisierte er Hindenburgs Rolle bei der oben bereits genannten „Schlacht von Tannenberg“, bei der die deutsche Armee unter dem Kommando von Hindenburg (und seinem Stabschef Erich Ludendorff) die russischen Truppen vernichtend schlagen und aus dem Reichsgebiet vertreiben konnte. Vierordt dichtete so schief wie brutal: „Da fuhren die beiden noch selbige Nacht, Zur Russenausrottungsschlacht“.

Machtergreifung: Wie Heinrich Vierordt den Nationalsozialismus feierte

Angesichts seiner politischen Haltung wundert es wenig, dass Vierordt die nationalsozialistische Machtübernahme 1933 stürmisch begrüßte und sich trotz seiner inzwischen beinahe 80 Jahre bei einer der ersten sich bietenden Gelegenheiten schwungvoll an der Huldigung der Diktatur beteiligte.

Im April 1933 hatte die deutsche Studentenschaft zu einer vierwöchigen „Aktion wider den undeutschen Geist“ aufgerufen, deren Höhepunkt die Bücherverbrennungen am 10. Mai in vielen Universitätsstädten waren. Die TH Karlsruhe, da (noch) keine Volluniversität, war daran nicht beteiligt. Unter dem Eindruck des propagandistischen Erfolgs der Bücherverbrennungen hatte der badische Führer der Hitlerjugend, Friedhelm Kemper, jedoch wenige Tage danach zu „zwei kulturellen Kampfwochen" aufgerufen. In der ersten Woche wurden unter dem Motto „Heraus mit Schmutz und Schund“ die Buchhandlungen in der Innenstadt von Büchern „gesäubert“, die unter das Schund- und Schmutzgesetz fielen. Eine Bücherverbrennung fand in Karlsruhe dann zum Ende der ersten Kampfwoche am 17. Juni 1933 auf dem Schlossplatz statt.

Der Beginn der zweiten „Kampfwoche“ stand unter der Parole „Ehrung der Heimatdichter, -sänger und -musiker“ und fand ihren Höhepunkt am Donnerstag, dem 29. Juni 1933, in einer Veranstaltung in der Festhalle mit 3.000 Teilnehmern. Dort sprach neben Professor Franz Philipp (1890–1972) von der Staatlichen Musikhochschule, der im gleichen Jahr Vierordts Ans Land Baden vertonte, und Professor Hans Adolf Bühler (1877–1951) von der Badischen Kunstschule auch der „älteste badische Dichter“. Vierordt wurde von den Teilnehmern mit einem „Begrüßungssturm“ empfangen und seine Rede immer wieder von „Beifallsorkanen“ unterbrochen. Vierordt pries die Leistung der deutschen Jugend bei der Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur, welche aus seiner Sicht die richtige Antwort auf die (demokratisch-republikanische) Entwicklung seit 1918 war. Dies verknüpfte er mit der Entlassung des von ihm bewunderten und mythologisierten Bismarck aus dem Reichskanzleramt, da dessen fehlendes politisches Genie nach 1890 zu jenen „Torheiten und Fehlern“ geführt habe, durch die der Weltkrieg „entfesselt“ werden konnte. Diese Argumentation unterschlug völlig die Rolle der kriegstreibenden Kräfte in Deutschland – unter anderem von ihm selbst, der mit Deutschland, hasse! einen eindrucksvollen Aufruf zum Krieg verfasst hatte. In Verzerrung der Ereignisse sowie der tatsächlichen Absichten der Nationalsozialisten sprach Vierordt davon, dass erst von der „leuchtenden Sonnengestalt Adolf Hitlers“ die Ablösung Bismarcks „gesühnt“ worden sei. Er schloss seine Rede mit einem Gedicht auf Adolf Hitler.

In einer Würdigung zum 80. Geburtstag Vierordts in der Badische Schule wurde dieser vor allem als nationalistischer Dichter im Sinne des Nationalsozialismus gewürdigt, der „es als ein Geschenk des Himmels“ betrachte, „am Ende seines Lebensweges Adolf Hitlers Sendung und die dritte Reichsgründung noch erlebt zu haben.“

Was bleibt von Heinrich Vierordt?

Beim Bombenangriff auf Karlsruhe im September 1942 wurde das Wohnhaus Vierordts getroffen und seine Aufzeichnungen wurden größtenteils ein „Raub der Flammen“. Vierordt verließ Karlsruhe und strandete schließlich in Triberg im Schwarzwald, wo er 1945 verstarb und wo er auch begraben ist.

Was bleibt vom heute weitgehend in Vergessenheit geratenen badischen Heimatdichter Heinrich Vierordt?

Zum einen genau dies, nämlich seine Heimatdichtung, die in heutigen Ohren zwar pathetisch und streckenweise kitschig klingen mag, allerdings im spätwilhelminischen Kaiserreich bzw. Großherzogtum enorm populär war und uns noch heute einen guten Eindruck der damaligen Interessen und Lesewünsche des (bürgerlichen) Publikums geben kann. Hervorzuheben sind auch Vierordts Lebenserinnerungen, die teilweise sehr intime und detaillierte Einblicke in die Kultur- und Geistesgeschichte des badischen Bürgertums im letzten Drittel des 19. Jahrhundert liefern.

Zum anderen kann er als idealtypischer Vertreter einer spezifischen ideologischen Haltung im deutschen Bürgertum gelten, die die Machtübernahme der Nationalsozialisten ermöglichte und befürwortete. Nach seinem Tod und dem Ende der NS-Diktatur 1945 wurden die als harmlos empfundenen Teile des Vierodt’schen Gesamtwerks weiter rezipiert, so bspw. Ans Land Baden. Ein Weggefährte und Freund, der Karlsruher Journalist Albert Herzog, erinnerte sich nach dem Tod Vierordts an diesen als einen Liebhaber der deutschen Sprache und seiner badischen Heimat, der trotz der „stahlharten Hammerschläge des Dichters, der sein Vaterland läutern möchte von jeder unedlen Beimischung“, stets ein „Vertreter des Schönen und Guten“ gewesen sei.

Mit der Zeit geriet Vierordt weitgehend in Vergessenheit. Noch in den 1990er Jahren, anlässlich der 50. Jährung seines Todestages, wurde der Dichter als insgesamt unbescholtener und unpolitischer Heimatdichter geehrt, der sich nach 1933 in unklarem geistigen Zustand dem NS-Regime zwar angedient habe, jedoch nur ein „Mitläufer“ gewesen sei. Dies ist jedoch so nicht haltbar: Vierordt war auch im hohen Alter geistig noch sehr rege (1935 veröffentlichte er den zweiten Band seiner Lebenserinnerungen) und die klare Kontinuität seines dichterischen Werkes und seiner politischen Haltung spricht dafür, dass Vierordt sehr bewusst (und nicht etwa aus Opportunismus) die politischen Ziele der Nationalsozialisten unterstützte.

Dabei war er jedoch in fast allem ein Repräsentant jener politischen Rechten, die ihre Wurzeln noch im Kaiserreich hatte. Er unterschied sich von den radikal und jugendlich auftretenden Nationalsozialisten nicht nur aufgrund seines Alters und seiner Sozialisation, sondern auch inhaltlich: In keiner einzigen seiner Veröffentlichungen findet sich auch nur eine Spur des für die nationalsozialistische Ideologie konstitutiven völkischen Rasseantisemitismus. Und das trennt Vierordt tatsächlich von jenen „braunen Barden“ vom Schlage des oben erwähnten Will Vespers.

Angesichts der Kriegsdichtung Vierordt und seiner Unterstützung des NS-Regimes war es 2017 überfällig, dass die Stadt Karlsruhe die Vierordstraße umwidmete und der Name Vierordt weiterhin fast ausschließlich mit dem ältesten Karlsruher Schwimmbad in Verbindung gebracht wird.

 

Verwendete Literatur

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