Der Bundschuhführer Joß Fritz in der Literatur des 19. Jahrhunderts

Statue von Joß Fritz am Joß-Fritz-Brunnen in Untergrombach vor der im 16. Jahrhundert entstandenen Schwarzwaldkarte Silva Nigra des Kartographen Sebastian Münster (1488–1552, BLB, Go 88 cart), Quelle: BLB.
Thomas Adam, 28.2.2025
DOI: https://doi.org/10.58019/bkv5-b578
Anlässlich der Veranstaltung Joß Fritz – Rebell, Agitator und Phantom vom Oberrhein im Rahmen des 500. Jahrestages des Deutschen Bauernkrieges erscheint im BLBlog eine Artikelserie zur literarisch-künstlerischen Bearbeitung der historischen Figur des Joß Fritz und der Bundschuh-Bewegung.
Sein „Nachruhm“ hat schon etwas Seltsames: Von kaum einer historischen Gestalt der Frühneuzeit ist weniger Gesichertes bekannt als über den Bauernführer Joß Fritz, geboren um 1470 in Untergrombach bei Bruchsal, gestorben vielleicht um das Jahr 1525, aber wohl kaum in einer der blutigen Schlachten des Bauernkrieges. Die Biografie des Joß Fritz ist die Vita eines Mannes, dessen Wirken, ja überhaupt dessen reale Existenz eigentlich nur für vier kurze Momente greifbar wird: jeweils für einige wenige Monate der Jahre 1502 und 1513, vage noch einmal 1517. In diesen Jahren versucht er Aufstände unter dem Zeichen des Bundschuh zu organisieren: Zuerst um Bruchsal, dann im Breisgau bei Freiburg und schließlich im gesamten Oberrheingebiet. Sein letztes Auftauchen in historischen Quellen ist eine fast geisterhafte, vielleicht von einem Chronisten frei erfundene Erscheinung des alternden Bundschuhführers am Vorabend des Bauernkrieges 1524/25. Keine seiner Verschwörungen ging je in einen offenen Aufstand über, alle wurden sie im Stadium der Planung verraten und niedergeschlagen, und von einem Leben, das wohl fünfzig oder sechzig Jahre währte, sind insgesamt kaum für die Dauer eines Jahres festere Umrisse zu gewinnen.
Eine mannigfaltig bespielbare Projektionsfläche
So wenig zu fassen aber die historische Gestalt selbst ist, so sehr eignet sie sich für alle denkbaren nachträglichen Projektionen und Zuschreibungen. Wie viele dichterische Tode ist Joß Fritz während der letzten anderthalb Jahrhunderte nicht gestorben, wie viele Theorien über seinen Verbleib kamen nicht durch Autoren aller Genres in die Welt – bis in die jüngste Gegenwart. Joß Fritz ist dargestellt worden als ein Konspirateur, als ein „dunkler Verschwörer“ – wie der Journalist und linksdemokratische Politiker Karl Grün ihn 1872 nannte –, der bei seiner Arbeit im Verborgenen solchermaßen erfolgreich war, dass gerade auch sein eigenes Leben weitestgehend geheimnisvoll geblieben ist.
Oft mit viel Pathos, seltener mit greifbarem Ergebnis, versuchen Historiker, Schriftsteller und politische Publizisten nun seit über zwei Jahrhunderten aus dem völlig schattenhaften Joß Fritz eine greifbare Gestalt zu machen, deren konkretes Wirken sich in erkennbaren Konturen abbilden lässt. Und dabei eben ist er zur mannigfaltig bespielbaren Projektionsfläche geworden – und immer wieder wird erkennbar, wie sehr die jeweilige Gegenwart den Blick auf die Vergangenheit mitbestimmt.
Die Wiederentdeckung der Bundschuhbewegung und des Bauernkrieges als Teil der deutschen Freiheitsgeschichte beginnt vor allen mit den Jahren 1848/49: Eine neue Sichtweise, eine freiheitlich-demokratische, später auch sozialistische und kommunistische, beginnt – im Umfeld der Revolution – die erste große deutsche Volksbewegung von 1525 als Vorbild zu würdigen, und es ist Friedrich Engels, der den Bauernkrieg 1850 als den großartigsten Revolutionsversuch des deutschen Volkes beschreibt und den Bundschuhführer Joß Fritz als einen „in jeder Beziehung hervorragenden Charakter“, einen „Musterverschwörer“.
„Edle Würde und furchtbarer Ingrimm“
In die Mühlräder weltanschaulicher Deutungen geriet auch Joß Fritz. Dabei fing die Sache in seinem Fall noch durchweg harmlos an. Den Reigen der literarischen Bearbeitungen des Bundschuhthemas um den „Ursächer“ eröffnete 1835 der Pforzheimer Theologe Georg August Lotthammer, ein junger Gelehrter von damals kaum 24 Jahren, mit seiner Novelle Der Bundschuh, oder der Bauernaufstand im Jahr 1502. Ein Mann, der für seine eigentlich historischen Abhandlungen reges Quellen- und Aktenstudium betrieb, der wissenschaftlich zu arbeiten verstand, der aber gleichwohl seine Erzählung als romantische Abenteuergeschichte mit blutigem Schlusskampf anlegte und damit weit über das, was gewesen war, weit also über die geschichtliche Wahrheit hinausschoss. Joß Fritz ist in Lotthammers Novelle „ein junger Mann mit kolossalem Körperbau“ und einer seltsamen „Mischung von edler Würde und furchtbarem Ingrimm“. Von der Kleidung her wirkt er zwar wie ein Bauer, aber sein Auftreten und vor allem seine rednerische Gabe stellen ihn weit über den Durchschnitt seines Standes – fortan ein häufiges Motiv in den dichterischen Werken um den Bundschuhführer. Lotthammer, Autor der wohl ersten literarischen Arbeit über Joß Fritz, starb 1841 im Alter von kaum 30 Jahren an einer Nervenkrankheit.
Dann fällt dem Bauernführer eine Nebenrolle in Ferdinand Lassalles erfolglosem und auch literarisch wenig bedeutendem Drama Franz von Sickingen zu. Der geistige Vorläufer der deutschen Sozialdemokratie veröffentlichte es bereits 1859, doch sollten bis zu dessen Uraufführung noch über hundert Jahre verstreichen. Auch Lassalle ging es vordergründig mehr um das Scheitern von 1848 als um den Bauernkrieg, wiewohl er gleich eingangs im Vorwort programmatisch feststellte, dass „der gewaltige Kulturkampf jener Zeit noch unsere ganze Gegenwart“ beherrsche. Joß Fritz ist hier zwar der altgediente Bauernführer, aber schon einer, der erkennt, dass ein anderer – eben Sickingen – der künftige Kopf und Vordenker sein solle. „Nicht beßre Stunde können wir erwarten!“, so sagt Fritz in einer Schänke zu Ulrich von Hutten und verspricht die Mobilisierung von 80.000 Bauern zur Rettung des von feindlichen Truppen eingeschlossenen Sickingen. Freilich: Die Hoffnung kommt zu spät, die Ritterrebellen sind daran gescheitert, dass sie es versäumt hatten, ein breites Bündnis von Bauern, Bürgern und niederen Adeligen zu schmieden.

Personen im Drama Franz von Sickingen: Eine historische Tragödie von Ferdinand Lasalle (1859), darunter Joß Fritz, „ein Bauernagitator“ © NoC-NC 1.0
Der namenlose Fremde
1892 ist das Jahr gleich zweier umfangreicher Werke über Joß Fritz – beide heute, wie ihre Autoren auch, freilich längst weitgehend vergessen. Zwei Bände umfasste der in Leipzig erschienene historische Roman Im Bundschuh des Arztes und Schriftstellers Wilhelm Noeldechen, mit dem ein fast immergleiches Muster vieler Joß-Fritz-Romane seinen Anfang nimmt. Eingeführt wird der Bauernführer oft als ein namenloser Fremder, einer, der als „bärtiger Unbekannter“ in der Schänke sitzt, über die Ungerechtigkeit der Welt spricht und erst später von einem der Umstehenden als der erkannt wird, der er wirklich ist:
„Bei St. Vitus! Wo hatte ich meine Augen? Bauersmann, fremder Bauersmann! Ihr seid ja der Joß Fritz wahr- und leibhaftig! Euer Bart ist länger und grauer, aber ich weiß jetzt bestimmt, wen ich vor mir habe.“
Und damit ist das Stichwort gegeben für die Einführung des Joß Fritz, der sich in vielen Werken dem Leser auch mit eigenen Worten vorstellen darf; bei Noeldechen klingt das dann so:
„Ja! Der Joß Fritz steht vor Euch, der von den Herrischen, von Adel und Pfaffen bestgehaßte Mann im deutschen Reiche! Sie haben mich gehetzt sieben Jahre lang gleich einem Wilde, das ihnen zusteht; durch Schwaben, Frankenland und Bayerland ging die Jagd, aber ich bin ihren Häschern und Spionen entronnen, denn kein Bauer wird den Joß Fritz verrathen, der sein Leben an‘s gemeine Wohl der Bedrückten setzt.“
Und noch ein zweites Muster lässt sich schon bei Noeldechen ablesen, das viele Joß-Fritz-Romane seither durchzieht – bis hin zum allerjüngsten, dem 2017 erschienenen historischem Kriminalroman Gefährliche Walz von Julian Letsche. Ein so bedeutender, ein so überzeugter, ein so charismatischer Bauernführer muss doch wohl mit anderen Rebellen und berühmten Persönlichkeiten seiner Zeit persönlich bekannt gewesen sein und zusammengearbeitet haben! Bei Noeldechen sind es unter anderem Florian Geyer, Thomas Müntzer, Jäcklein Rohrbach, Götz von Berlichingen, Hans Müller von Bulgenbach und der Reformator Johannes Oekolampad. Joß Fritz ist in diesem zweibändigen Roman auch an allen wichtigen Ereignissen des Bauernkriegs beteiligt, so an der verhängnisvollen Bluttat von Weinsberg, als ein Trupp unter Führung von Jäcklein Rohrbach den Grafen von Helfenstein und mehrere seiner Ritter tötete. Zwar ist er der Besonnene, der Zurückhaltende, der Warnende auch; die Bluttat selbst verhindert er nicht, wohl aber Übergriffe gegen die Gräfin von Helfenstein. Gegen Ende des Romans mehren sich die Enttäuschungen und Rückschläge, Joß Fritz wird wortkarg und finster, erscheint plötzlich um Jahre gealtert. Beim Angriff auf die Marienfeste bei Würzburg führt er die vorderste Linie an, gerät in Gefangenschaft und zerschlägt sich schließlich, um dem Henker zu entrinnen, kurz vor der angesetzten Hinrichtung an den Mauern seiner Gefängniszelle den Kopf.

Wilhelm Noeldechen, Autor des zweibändigen Romans Im Bundschuh (1892)
„Joß Fritz, der Landstreicher“
Ebenfalls 1892 und ebenfalls in Leipzig erscheint Richard Nordhausens über 400 Seiten starkes lyrisches Epos Joß Fritz, der Landstreicher, darin der alte Bundschuhführer jedoch nur mehr eine mythisch in den Bauernkrieg von 1525 hineinragende Randfigur sein darf. Im Mittelpunkt des Versromans steht ein anderer – gleichen Namens, Joß Fritz der Jüngere, Sohn des Bauernhauptmanns und einer der edleren Charaktere in den Reihen der Aufständischen, der – auch hier – vergeblich das Gemetzel von Weinsberg zu verhindern sucht. Lange war er auf der Suche nach seinem seit Jahren verschollenen Ahnherrn gewesen, im Elsass, im Schwarzwald,
„und an jede Hütte pocht ich, / Wo des Vaters Name galt“.
Doch alles umsonst:
„Ob der Vater liegt gefangen, / Ob im nahen Wald verscharrt, / Niemand weiß es – nur der Schnee.“
Tatsächlich ist der alte Joß Fritz (dem Leser wird’s gegen Ende eröffnet) schon lange nicht mehr am Leben, gestorben im Zweikampf mit einem Adeligen
„Der Held von Lehen doch ist tot, / Der Vater ist nie wiederkommen“.
Ein Rührstück mit dennoch glücklichem Finale, darin eine junge Liebe sich findet und bewährt; dem schwer verletzten, fiebernden jungen Joß kehren in den Armen seiner Liebsten die Kräfte wieder. Immerhin gelingen Nordhausen in seinem ansonsten pompös überladenen Werk noch einige gute Beobachtungen, und sein Protagonist erlebt hautnah die zentrale Misere des Bauernkrieges: Dass die Zersplitterung der einzelnen Haufen ein Hauptgrund war für ihr Scheitern, dass Uneinigkeit den Untergang besiegelte, dass Opportunisten leichthin vom einen politischen Lager zum anderen wechselten, je nachdem, welche Seite dem Sieg gerade näher schien.
Der zweite Teil der Artikelserie wird sich mit der Literatur zu Joß Fritz von 1925 bis heute beschäftigen.

Titelblatt: Joß Fritz, der Landstreicher. Ein Sang aus den Bauernkriegen von Richard Nordhausen (1892) © Public Domain, Google-digitized