Propheten: Der direkte Draht zu Gott
Auch im jüdisch-christlichen Umfeld haben Seher eine lange Tradition. Von den Propheten der frühen Zeit, wie sie im Alten Testament zu finden sind, über frühchristliche Visionäre der römischen Antike bis hin zu mittelalterlichen Mystikern und darüber hinaus sind Menschen, denen Gott vermeintlich das Wissen um einen bestimmten Teil der Zukunft verleiht, keine Seltenheit.
Die vielen „privaten“ Begegnungen von Einzelpersonen mit Gott, die aus Mittelalter und Neuzeit überliefert sind, haben dagegen meist weniger den Charakter einer Zukunftsvorhersage. Vor dem Hintergrund der jeweiligen sozialen Umstände, teils auch eines Eindrucks gesellschaftlicher und religiöser Unvollkommenheit und entsprechenden Reformbedarfs, sind sie häufig geprägt von einem sehr persönlichen Glaubensverständnis. Besonders eng verbunden sind solche Visionen in unterschiedlichen Szenarien, wie der persönlichen Begegnung mit Christus oder auch Maria, mit dem Aufleben christlicher Mystik im hohen Mittelalter, die bis weit in die Neuzeit hinein Einfluss nimmt.
Solche direkten, persönlichen Gottesbegegnungen sind allerdings auch in anderen Kulturen weit verbreitet. Nicht zuletzt basiert die Entstehung des Islam, der dem christlich-jüdischen Kontext sehr nahesteht, auf einer solchen visionären Erfahrung. Der Prophet Mohammed soll demnach den Text des Koran vom Erzengel Gabriel als einem Sendboten Gottes empfangen haben.
Korczek-Bibel
Prag, 1400
Handschrift auf Pergament
Badische Landesbibliothek, Cod. St. Blasien 2
Die Propheten der jüdisch-christlichen Überlieferung spielen eine wichtige Rolle in der christlichen Vorstellung der Heilsgeschichte. Auch deswegen wurden sie in zahlreichen Darstellungen immer wieder aufgegriffen. So gestaltete der namentlich nicht bekannte Illuminator der sog. Korczek-Bibel sie als kunstvolle Initialen zu Beginn des jeweiligen Abschnitts einer zweibändigen Bibelhandschrift. Allerdings stellte man bereits im 18. Jahrhundert fest, dass die meisten der Zierinitialen herausgeschnitten worden waren: Heute sind in dem Band nur noch 20 dieser ursprünglich 50 biblischen Figuren erhalten. Der andere Band der Bibel, heute in Wien aufbewahrt, blieb dagegen vollständig.
Biblia Ectypa, Bildnußen aus Heiliger Schrift
Augsburg: Christoph Weigel, 1695
Badische Landesbibliothek, 119 C 54 R
Die Bibel gehörte in Europa schon immer zu den meistverbreiteten Büchern. Als ab dem 15. Jahrhundert die Technik des Buchdrucks rasante Fortschritte machte, zählten auch hier Bibeln zu den meistgedruckten Werken. Schon früh wurden Bibeln auch mit Illustrationen versehen, um sie attraktiver zu machen. Einige Künstler blieben bis heute vor allem für ihre Bibelillustrationen bekannt. So verwundert es nicht, dass geschäftstüchtige Drucker ganze Serien von Bibelillustrationen teilweise auch ohne den dazugehörigen Text herausgaben – als Bilderbibel zur erbaulichen Betrachtung. Dies unternahm auch der Kupferstecher Christoph Weigel (1654–1725), der in Nürnberg einen eigenen, erfolgreichen Verlag führte.
Virgil Solis
Biblische Figuren deß Alten Testaments
Frankfurt: Wolff, 1565
Badische Landesbibliothek, 119 E 3145 R
Einer der Künstler, die mit ihren Bibelillustrationen berühmt wurden, ist Virgil Solis (1514–1562). Er schuf im Laufe seines Berufslebens über 2.000 Bilder in Holzschnitt- und Kupferstich-Technik. Neben seinen Bildern zur Bibel, die noch mehr als 100 Jahre nach seinem Tod immer wieder verwendet wurden, erlangte auch seine Serie von zu Ovids Metamorphosen große Bekanntheit. Sein Erfolg lag unter anderem darin, dass er die Arbeit seiner Werkstatt besonders effizient organisierte. So wurden aufwändige Zierrahmen beispielsweise vorproduziert und für unterschiedliche Bilder wiederverwendet.
Biblia Das ist Die gantze Heylige Schrifft Teutsch
übers. von Martin Luther, ill. von Virgil Solis
Frankfurt: Zephelius, Raschen und Feyerabend, 1560
Badische Landesbibliothek, 42 C 38 RH
Von Hand koloriert, wirken dieselben Illustrationen völlig anders. Die detailreichen Visionen des Johannes vom Weltuntergang, wie sie im Buch der Offenbarung beschrieben werden, erscheinen in den Bildern Virgil Solis’ besonders lebendig und eindrücklich. Im Vergleich zu den übrigen Teilen der Bibel gehören zur Offenbarung außerordentlich viele Illustrationen, sodass selbst in dieser Vollbibel, in der die Bilder lediglich den Text ergänzen, ganze Bildseiten entstanden sind, die dem Charakter einer Bilderbibel nahekommen.
Birgitta von Schweden
Das puch der himlischen offenbarung
Holzschnitte von Albrecht Dürer
Nürnberg: Anton Koberger, 1502
Badische Landesbibliothek, 119 F 826 R
Eine Visionärin mit besonderer Biographie war Birgitta von Schweden (1303–1373). Als Cousine des schwedischen Königs Magnus Eriksson stand sie dessen Frau Blanche von Namur nahe. Ihre erste Vision soll sie bereits als Kind gehabt haben; die Visionen, für die sie berühmt wurde, erlebte sie jedoch erst später. Sie nutzte ihre Berufung, an die sie fest glaubte, um ihren politischen Einfluss zu stärken und eine aktive Beraterrolle am Fürstenhof einzunehmen. Sie bereiste große Teile Europas und kam bis ins Heilige Land. Seit 1999 gilt sie in der katholischen Kirche offiziell als eine der drei Patroninnen Europas.
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