Tüchtig und belesen. Friedrich Valentin Molter zum 300. Geburtstag

Julia von Hiller 28.6.2022 19.35 Uhr

DOI: https://doi.org/10.58019/002f-f313

Ein tüchtiger und belesener Mann war das, ein kluger Manager der Karlsruher Hofbibliothek und ein Gelehrter, der auch etwas aus ihr zu machen wusste: Am 1. Juli 2022 jährt sich zum 300. Mal der Geburtstag von Friedrich Valentin Molter. Als derjenige, der erstmals allen Gebildeten von Stadt und Land Zugang zu den Buchbeständen im Schloss eröffnete, der dafür sorgte, dass die wichtige aktuelle Literatur in Karlsruhe auch vorhanden war, und der fachkundig mit Forschern aus aller Welt über die historischen Schätze sprach, hat er die Grundlage für das geschaffen, was heute die Badische Landesbibliothek ihren Nutzern aus nah und fern bieten kann.

Zu sehen sind drei Textseiten mit dem lateinischen Text der Benutzungsordnung.

Benutzungsordnung der Karlsruher Hofbibliothek vom 31. Dezember 1770. In: Badenscher gemeinnüziger Hof- und Staatskalender für das Jahr 1786 (Abtl. 2), S. 130–132. Badische Landesbibliothek, OZA 194 

Geboren 1722 in Karlsruhe als drittes von acht Kindern des Komponisten und Hofkapellmeisters Johann Melchior Molter, wollte er zunächst eine schriftstellerische Laufbahn einschlagen. Er studierte ziemlich lange und erfolglos Jura in Jena und Gießen, begleitete einen adeligen Herrn auf seiner ausgedehnten Bildungsreise nach Italien und zog dann nach Leipzig, wo er zeitgenössische Belletristik aus dem Italienischen übersetzte. Francesco Algarottis Il congresso di Citera, ein satirisches Werk auf die Liebe, und Scipione Maffeis Trauerspiel Merope waren 1747 und 1751 seine ersten publizierten Übersetzungen. Die auf einer italienischen Vorlage beruhende und 1750 in Leipzig gedruckte Toscanische Sprachlehre war seine erste neuphilologische Veröffentlichung. Hochambitioniert versuchte er sich auch selbst als Dichter. Seine Scherze als „erster Auftritt auf dem Parnasse“ sind 1752 ebenfalls in Leipzig gedruckt worden; sie stehen ganz im Stil der Anakreontik seiner Zeit. Als literarischer Übersetzer blieb er zeitlebens tätig, konnte seine Übersetzung der Contes moraux von Jean François Marmontel (1762) in drei Auflagen verkaufen und hatte wohl auch an den üblichen Versteckspielen Freude, wenn er etwas so Frivoles wie den Roman Daïra des französischen Autors Alexandre Jean Joseph LeRiche de La Pouplinière anonym und mit fingiertem Erscheinungsort drucken ließ (1771).

Zu sehen ist das Titelblatt des ersten Jahrgangs der von Molter herausgegebenen Zeitschrift.

Carlsruher Beyträge zu den schönen Wissenschaften 1 (1760), Titelblatt. Badische Landesbibliothek, Gym Z 7

Erst als Mittdreißiger kehrte er 1756 nach Karlsruhe zurück und fand hier seine Lebensaufgabe. Das Amt eines Sekretärs bei der Fürstlichen Geheimen Ratskanzlei genügte ihm nicht. Unbedingt wollte er Karlsruhe, die noch ganz im Aufbau befindliche Residenz, auch zu einem Ort des gelehrten und literarischen Lebens machen. Das entsprach sicher auch den Wünschen seines Landesherrn Karl Friedrich von Baden (1728–1811), der seit 1746 im Karlsruher Schloss residierte und als aufgeklärter Landesherr Bildung, Kultur und Wissenschaft in besonderem Maße zu fördern bestrebt war. In den Jahren 1760–1765 gab Molter die Zeitschrift Carlsruher Beyträge zu den schönen Wissenschaften heraus – aber da er deren Inhalt vermutlich weitgehend allein bestritt, brachte es das ehrgeizige Projekt nur auf drei Jahrgänge.

Seit 1756 betreute Molter die fürstliche Handbibliothek, die er zunächst einmal durch einen Katalog erschließen, dann aber auch mit in Basel lagernden markgräflichen Buchbeständen und der Büchersammlung des Geheimen Rats vereinigen sollte. Daraus entwickelte sich die Hofbibliothek, als zwischen 1765 und 1772 die Buchbestände aus Durlach und Rastatt im neuen Schloss in Karlsruhe zusammengezogen wurden. Der gemeinsame Bestand wurde auf 20.000 Bände geschätzt, das war für die damalige Zeit recht ansehnlich. Zunächst noch dem Kustos der markgräflichen Sammlungen unterstellt, leitete Molter ab 1769 dann selbst die Bibliothek im Hauptberuf. Ganz der Aufklärung verpflichtet und dem Vorbild der Hofbibliothek in Mannheim entsprechend, arbeitete er mit großer Überzeugungskraft darauf hin, sie der Allgemeinheit nützlich zu machen. Schon vor der feierlichen Einweihung der neuen Bibliothek 1770 waren ihre Bestände für Nutzer zugänglich: Johann Daniel Schöpflin, Professor an der Universität Straßburg und Verfasser eines Standardwerks zur Familiengeschichte der badischen Landesherren, rühmte bereits 1766, die Bibliothek werde laufend vergrößert, um Neuerscheinungen aller Wissenschaften und Künste vermehrt und stehe jedermann offen.

Zu sehen sind fünf Titelblätter von Übersetzungen literarischer Werke aus dem Französischen und Italienischen durch Molter.

Titelblätter von Molters Übersetzungen literarischer und sprachwissenschaftlicher Werke aus dem Italienischen und Französischen

Am 1. Januar 1771 war es so weit: die Hofbibliothek erhielt eine reguläre Benutzungsordnung und planmäßige Öffnungszeiten, öffnete ihre Türen im Apothekenflügel des Schlosses für die Benutzer und gewährte fortan allen, die danach strebten, den Zutritt zum Universum des Wissens. Diese Öffnung der Bibliothek für ein allgemeines Publikum zum „Studium der Bücher und der Schönen Künste“ war nicht ungewöhnlich – auch die Landesherren anderwärts verfügten damals diesen historisch nicht zu überschätzenden Übergang ihrer Hofbibliotheken vom herrschaftlichen Repräsentations- bzw. Verwaltungsinstrument zur allgemein zugänglichen Forschungseinrichtung –, aber sie erfolgte doch vergleichsweise früh.

Die Bedingungen für die Benutzung dieser modernen Gebrauchsbibliothek waren außerordentlich liberal. Die Bücher waren mit Ausnahme der Handschriften frei zugänglich aufgestellt, die Benutzer durften sich selbst bedienen. In der Mitte des Saales unter einer mit Stuck verzierten Kuppel stand ein langer, mit Metall eingefasster und mit schwarzem Leder überzogener Tisch für die Leser. Hier entstand ein gelehrter Ort im besten Sinne. Der Reiseschriftsteller Friedrich Leopold Brunn berichtete 1791, die Bibliothek trage „durch die Zusammenkünfte der Gelehrten, die sich an den angezeigten Tagen daselbst treffen, viel zu geschwindern Ausbreitung der Gelehrsamkeit bey, indem hier über Litteratur, über neue Entdeckungen im Reiche der Wissenschaften und Künste u.s.w. gesprochen und debattirt wird, so daß ich die Zeit, welche ich hier zugebracht habe, unter die best angewendetste meines Lebens rechne.“

Zu sehen ist der Grundriss der Hofbibliothek in der ersten Etage

Grundriss der Hofbibliothek im ersten Obergeschoss des Schloss-Nebengebäudes in Karlsruhe. Badische Landesbibliothek, 82 A 4826

Seinen Dienstherrn Karl Friedrich von Baden brachte Molter dazu, für die Erwerbung neuer Bücher ein Budget einzuführen, das er sehr klug für die Vermehrung der Bestände einsetzte. Er bemühte sich, allerdings ohne durchschlagenden Erfolg, das ab 1771 geltende Pflichtexemplarrecht in Baden durchzusetzen, und erreichte noch 1807, dass eine erste Pflichtexemplarverordnung für das territorial stark vergrößerte Großherzogtums Baden erlassen wurde, die jeden inländischen Verleger verpflichtete, drei Exemplare jeder Publikation unentgeltlich an die Hofbibliothek in Karlsruhe sowie an die Universitätsbibliotheken in Freiburg und Heidelberg abzuliefern. Den Charakter seiner Bibliothek als Schatzkammer des seit dem Mittelalter überlieferten markgräflichen Buchbesitzes konnte er noch beträchtlich verstärken, als in den Jahren ab 1803 die Handschriftenbestände der säkularisierten badischen Klöster in die Hofbibliothek übernommen wurden. Auch für wichtiges Quellenmaterial der eigenen Zeit hatte er ein gutes Auge: Noch heute befindet sich der musikalische Nachlass von Johann Melchior Molter als ein rege benutzter Fundus der Barockmusik in der Badischen Landesbibliothek, weil sein Sohn nach dessen Tod 1765 für die Aufbewahrung in der Hofbibliothek gesorgt hat.

Friedrich Valentin Molter war ein Bücherkenner, der laufend zu den Werken seiner Bibliothek publizierte, Texte edierte, Übersetzungen anfertigte. Seine Interessen waren breit gestreut. Er übersetzte nicht nur – wahrscheinlich im Auftrag der Markgräfin Karoline Luise – ein französisches Fachbuch über den Flachdachbau ins Deutsche (1760), sondern auch ein französisches Lexikon (1762), von dem drei Auflagen erschienen, ein historisches Fachbuch über Frankreich zur Zeit der Fronde 1648–1653 (1777) eine englische Cicero-Biographie (1784) und lateinische Klassiker wie das Landwirtschaftsbuch des Lucius Iunius Moderatus Columella (1769), wovon sich sein Manuskript erhalten hat (Cod. Karlsruhe 117), oder Tacitus' Biographie seines Schwiegervaters Agricola (1785). Er kümmerte sich um den historischen Buchbestand und machte die Quellen des Mittelalters in einschlägigen Veröffentlichungen bekannt. Altbestand der Hofbibliothek betrafen Molters Übersetzung des Walthari-Liedes nach einer Handschrift des 12. Jahrhunderts (Cod. Rastatt 24, Verlust), seine Veröffentlichungen zu einer Handschrift des Liber ad Gebehardum des Manegold von Lautenbach aus dem 12. Jahrhundert (Cod. Rastatt 27), zur Beschreibung eines Schützenfestes des badischen Markgrafen Karl II. von 1562 (Cod. Durlach 4) und zu den Codices Reuchliniani, aber auch eine Ausgabe von Briefen des Kardinals Mazarin aus der Jugendzeit von König Ludwig dem Vierzehnten (Cod. Rastatt 76).

Zu sehen ist das Nebengebäude des Schlosses mit zwei Etagen und Mansarddach.

Östliches Nebengebäude des Karlsruher Schlosses. Fotografie, um 1930. © Museum für Literatur am Oberrhein, Scheffel-Archiv 1366

Besucher der Bibliothek beschreiben Molter als überaus gefälligen und hilfsbereiten Menschen. Gästen aus aller Welt zeigte er bereitwillig besondere Kostbarkeiten. Und er machte Eindruck als kompetenter Gesprächspartner, wenn Experten und Spezialisten ins Haus kamen. Damals, vor der Digitalisierung, mussten die Forscher noch zu den Büchern reisen, da reisten nicht die Bücher zu den Forschern. Auch das machte Molter der Bibliothek zunutze. Der schwedische Gelehrte Johann Jacob Björnståhl, der sich von Mitte Dezember 1773 bis Ende Januar 1774 in Karlsruhe aufhielt, half mit seinen Arabisch-Kenntnissen dabei, die orientalischen Handschriften zu erschließen, und Molter ließ Björnståhls eigenhändiges Gutachten zum Codex Durlach 142, einer arabischen Universalgeschichte, der Handschrift selber beibinden, so dass sie bis heute erhalten blieb. Friedrich Leopold Brunn urteilte über Molter, er sei „ein Mann, der alle zum Aufseher einer Bibliothek erforderlichen Eigenschaften besitzt. Er vereinigt die genaueste Kenntniß der gesammten alten Litteratur mit der feinsten Bekanntschaft der neuern Litteratur der Engländer, Franzosen, Italiener, Spanier und Deutschen. Er läßt sich dabey dieses Geschäft außerordentlich angelegen seyn, und ist täglich Vor- und Nachmittags einige Stunden auf der Bibliothek. Mit dem lebhaftesten Vergnügen erinnere ich mich noch der lehrreichen Unterhaltungen, die ich mit diesem vortrefflichen, gegen Jedermann so gefälligen, Mann gehabt habe.“

Der Markgraf schätzte seinen Mitarbeiter sehr, aber er hielt ihn knapp. Molters Einkünfte waren zeitlebens unauskömmlich, auf die Nebeneinnahmen aus seiner Publikationstätigkeit war er wohl dringend angewiesen. In den Akten des Generallandesarchivs Karlsruhe tritt uns Friedrich Valentin Molter immer wieder als Bittsteller entgegen, der um Vorschuss, Gehaltserhöhung und Gnadengeschenke bitten muss, um seine fünfköpfige Familie zu ernähren.

Am 6. Februar 1808 ist Friedrich Valentin Molter in Karlsruhe gestorben. Er hinterließ eine Hofbibliothek mit hochkarätigem Bestand und exzellenter Nutzungsqualität, hatte aus ihr ein der gelehrten Öffentlichkeit wirklich dienstbares Instrument gemacht und auch die Altbestände in den Fokus der Wissenschaft gerückt. Diesem aufgeschlossenen und fortschrittlichen Bibliothekschef verdankt Karlsruhe, dass es nun seit über 250 Jahren eine gut funktionierende Landesbibliothek hat, die alle Bedürfnisse von Bildung und Wissenschaft erfüllen kann – eine Bibliothek, die heute 3 Millionen Bände umfasst, das ganze Spektrum elektronischer Dienstleistungen anbietet und täglich von bis zu 2.000 Besuchern genutzt wird.

Literatur:

  • Fürst, Rainer: Friedrich Valentin Molter und seine Söhne : ein Beitrag zur Bibliotheks- und Gelehrtengeschichte Südwestdeutschlands. - In: Der badische Hofkapellmeister Johann Melchior Molter (1696–1765) in seiner Zeit. - Karlsruhe : Badische Landesbibliothek, 1996. - S. 263–301. – Unter Verwendung des Quellenmaterials im Generallandesarchiv Karlsruhe.
    Ausleihbar: 96 A 4601, 115 A 2300, 115 A 2542 - im Lesesaal: Oa 237, Tz 1535 - im Shop
  • 250 Jahre ÖFFENTLICH : die Badische Landesbibliothek 1771–2021 / herausgegeben von Julia Freifrau Hiller von Gaertringen in Verbindung mit Veit Probst, Annika Stello und Ludger Syré. - Bretten : Lindemanns GmbH ; [Karlsruhe] : Badische Landesbibliothek, 2021.
    Ausleihbar: 121 A 14467 - im Shop - Online 

Vgl. auch die Ausstellung, die die Badische Landesbibliothek zum Jubiläum „250 Jahre ÖFFENTLICH. Die Badische Landesbibliothek 1771–2021“ erarbeitet und ins Netz gestellt hat. Hier finden sich alle Zeugnisse, die sich im Haus von und zu Friedrich Valentin Molter erhalten haben.

 

Molter, Friedrich
Badische Landesbibliothek

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