Straube und die Nachwelt

Karl Straube nach 1916

Karl Straube 1949. Fotografie aus dem Archiv des Thomanerchors Leipzig.

Nach Regers Tod wurde Straube 1918 Leipziger Thomaskantor. In dieser Stellung pflegte er ein großes Repertoire an Chormusik, zog sich aber als Interpret verstärkt von der Orgelmusik Regers zurück (diese Aufgabe oblag nun seinem Nachfolger als Thomasorganist Günther Ramin). Im Gegensatz zu Zeitgenossen, deren Namen heute nahezu vergessen sind (Walter Fischer, Alfred Sittard) hat Straube auf keinerlei Medium (Reproduktionsrolle, Schallplatte, Rundfunk) Reger-Interpretation hinterlassen.

Weit besser dokumentiert ist Straubes Einsatz für die Musik Bachs. Zwar legte er nur eine Handvoll neuer Editionen von dessen Werken vor, doch hat sich ein Teil seiner Gesamtaufführung der Bach-Kantaten mit den Thomanern von Ostern 1931 bis kurz vor Weihnachten 1937, die vom Mitteldeutschen Rundfunk mitgeschnitten wurden, erhalten; im Bach-Archiv Leipzig findet sich außerdem ein Mitschnitt von Bachs h-Moll-Messe.

Regers Musik gab Straube in einigen Neueditionen heraus, darunter die erste Choralphantasie op. 27 über »Ein‘ feste Burg ist unser Gott« und eine Auswahl an Präludien und Fugen für Orgel. Er wandte sich schon bald nach dem Ersten Weltkrieg verstärkt dem barocken Klangideal zu und beeinflusste damit nachhaltig die sogenannte Orgelbewegung in Deutschland; auch seine pädagogische Tätigkeit am Leipziger Landeskonservatorium und dem von ihm 1919 gegründeten angegliederten Kirchenmusikalischen Institut war durch diesen ästhetischen Wandel geprägt. Er hatte eine starke Ausstrahlung auf mehrere Generationen von Orgelstudenten, denen er seine Sicht auf Reger vermittelte.

Sein Nachfolger als Thomaskantor wurde Günther Ramin erst 1940; Straube blieb bis 1949 als Orgelpädagoge tätig.

Max Reger, Phantasie über den Choral »Ein’ feste Burg ist unser Gott« op. 27, Rob. Forberg 1899, Neue Ausgabe von Karl Straube, C. F. Peters 1938

Karl Straube, späte 1930er-Jahre, Fotografie E. Hoenisch, Leipzig, Reproduktion

In seiner Eigenschaft als Thomaskantor und Chordirigent des Leipziger Bach-Vereins stand das Schaffen Bachs seit 1918 weit stärker im Zentrum von Straubes Tätigkeit als das Regers. Straube verbreitete den Ruhm der Thomaner durch Konzertreisen und vor allem Rundfunkübertragungen, die teilweise auf CD veröffentlicht worden sind.

Nachdem Straube, autorisiert durch Reger, 1912 drei der Zwölf Orgelstücke op. 59 in einer revidierten aufführungspraktischen Ausgabe vorgelegt hatte, gingen seine Eingriffe im Fall seiner späteren Editionen von Reger-Werken deutlich weiter. Besonders klar werden die Eingriffe in einer kleinen Forschungsanalyse aus den Beständen des Max-Reger-Instituts, in der alle Abweichungen zwischen der Originalausgabe und Straubes Edition (bis hin zu stark veränderten Tempo- und Dynamikangaben) hervorgearbeitet sind.

 

Gründung der Max Reger-Gesellschaft in Leipzig

Am 9. Juli 1916 wurde zu Regers Gedächtnis in Leipzig die Max Reger-Gesellschaft gegründet; zu den sieben Gründungsmitgliedern zählten neben Edith Mendelssohn Bartholdy, August Schmid-Lindner und Fritz Stein als Vorsitzender Fritz Steinbach und als dessen Stellvertreter Karl Straube. Elsa Reger gehörte nicht zum engeren Zirkel, und auch wenn diverse Querverbindungen zunächst gemeinsames oder zumindest komplementäres Agieren möglich erscheinen ließen, blieb die Witwe, die es als ihr ureigenes Privileg ansah, über die Pflege und Würdigung ihres verstorbenen Mannes zu walten, dem Verein fern. Straubes Aufgabe lag darin, einerseits im Verein für Regers Sache einzutreten, andererseits mit Elsa Reger in Kontakt zu bleiben. Es gelang ihm, anders als anderen Vorstandsmitgliedern, sich in dieser Doppelposition nicht aufzureiben; noch 1936 erfolgte der Nachdruck eines erstmals 1924 veröffentlichten Textes in den Vereinsmitteilungen.

Der lange Anlauf.
Von der Gründung der Max Reger-Gesellschaft 1916
bis zu ihrem ersten Max Reger-Fest in Breslau 1922
Susanne Popp in Reger Studien
Aufsatz (PDF)

 

Reger in der Schule des »Organistenmachers«

Das Konservatorium in Leipzig; Ansichtskarte vor 1924

Bis heute zeigt sich Straubes Einfluss auf die Reger-Rezeption im pädagogischen Wirken seiner Schüler und Enkelschüler. Ihr Einsatz für Reger zeugt – bei allen Unterschieden der Auslegung – stets von hoher Kennerschaft der Materie.

Unter den einflussreichsten Straube-Schülern sind Arno Landmann (1887–1966), Fritz Heitmann (1891–1953), Karl Hoyer (1891–1936), Friedrich Högner (1897–1981), Günther Ramin (1898–1956), Erhard Mauersberger (1903–1982), Michael Schneider (1909–1994) und Karl Richter (1926–1981) zu nennen, Ramin durch seine Position als Thomasorganist auch wiederum als Pädagoge am Kirchenmusikalischen Institut der Leipziger Musikhochschule. Mit den bedeutendsten Anteil an der Vermittlung von Straubes Reger-Verständnis hat wohl Heinz Wunderlich (1919–2012) geleistet, dessen Schüler teilweise bis heute als Organisten tätig sind. Wunderlich hat eine neue Edition von Regers Symphonischer Phantasie und Fuge op. 57 vorgelegt, die in starkem Maße Straubes damaliges Reger-Verständnis reflektiert.

Eine wachsende Anzahl an Schallplattenaufnahmen zahlreicher Straube-Schüler, -Enkelschüler und -Urenkelschüler bewirkte eine eigene Aufführungs- und Hörtradition, in der bei allen Unterschieden gewisse Gemeinsamkeiten zu erkennen sind.

Erst nach Straubes Tod änderte sich langsam die Sicht vieler Organisten auf Regers Schaffen – doch stellen wir im Max-Reger-Institut oft fest, dass noch viel Aufklärungsarbeit erforderlich ist und die »Straube-Tradition« bis heute häufig als eine zentral wichtige Reger-Lesart angesehen wird.

 

Arno Landmann

Arno Landmann, Fotografie um 1920, vergrößerte Reproduktion

Von April 1910 bis April 1911 studierte Arno Landmann (1887–1966) am Leipziger Konservatorium bei Karl Straube Orgel und bei Max Reger Komposition. Mit besten Zeugnissen ausgestattet, erhielt er im Mai 1911 die Organistenstelle an der neu erbauten Christuskirche in Mannheim. Hier er setzte sich bis 1942 unermüdlich für Regers Orgelwerke ein und spielte sie nahezu alle in unzähligen Konzerten.

Christuskirche Mannheim, zeitgenössische Ansichtskarte, vergrößerte Reproduktion

Die Christuskirche in Mannheim wurde 1907–11 erbaut und überstand den Ersten Weltkrieg nahezu unbeschadet. Die Steinmeyer-Orgel (von Sigfried Karg-Elert als »Mannheimer Wunderwerk« bezeichnet) entspricht im Kern immer noch der historischen Disposition und steht heute unter Denkmalschutz.

Zu Landmanns Dokumentation des eigenen kompositorischen Schaffens und seiner Tätigkeit als Organist zählen Autographen und Erstdrucke, Vorlesungsmanuskripte, Programmzettel, Rezensionen, Zeitungsartikel, Rundfunkmitschnitte, Tonbänder, ein Werkverzeichnis, das Verzeichnis der aufgeführten Orgel- und Chorliteratur sowie seiner Gastspiele im In- und Ausland, private Aufzeichnungen und amtliche Dokumente. Landmanns umfangreicher Nachlass befindet sich seit Ende des Jahres 2001 als Schenkung der Familie im Max-Reger-Institut.

 

Archiv von Arno Landmann mit Akten und Programmzetteln (unten) sowie Tonträgerbestände des Max-Reger-Instituts (oben) mit Einspielungen der Straube-Schüler Günther Ramin, Michael Schneider, Friedrich Högner und Heinz Wunderlich.

Heinz Wunderlich

Heinz Wunderlich, 1980, Fotografie, vergrößerte Reproduktion

Kaum ein Straube-Schüler hat ähnlich starken Einfluss auf ganze Organistengenerationen ausgeübt wie Heinz Wunderlich (1919–2012). Er war Schüler Straubes von 1935 bis 1940, wurde 1943 Kirchenmusikdirektor an der Moritzkirche in Halle an der Saale und Dozent für Orgel an der Evangelischen Kirchenmusikschule sowie an der Staatlichen Hochschule für Musik und hatte dieselbe Position von 1958 bis 1982 an der Hauptkirche St. Jacobi in Hamburg inne. Von 1959 bis 1989 war er außerdem an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater Professor für Orgelspiel und Improvisation.

Heinz Wunderlichs Musikalien-Nachlass, der sich seit 2012 zu großen Teilen im Max-Reger-Institut befindet, spiegelt seine vielfältigen Interessen, von Palestrina bis zur zeitgenössischen Musik, und auch Wunderlichs eigene Kompositionen machen einen beachtlichen Teil seiner Musikaliensammlung aus. Besondere Schwerpunkte bilden u. a. Johann Nepomuk David, Wunderlichs Kompositionslehrer, oder Reubke, Liszt, Gabrieli, Buxtehude und zahlreiche Vertreter der französischen Orgelmusik, unter ihnen Franck, Widor, Dupré und Messiaen. Die zwei Fixpunkte in Heinz Wunderlichs musikalischem Denken waren Bach und (mit deutlichem Abstand) Reger. Die Schülerschaft Wunderlichs bei Straube war von formativem Einfluss, sowohl was Wunderlichs Bach-Verständnis anging, als auch in Bezug auf seine Sicht auf Reger.

Nicht nur als Lehrer und Interpret setzte sich Wunderlich intensiv mit Regers Schaffen auseinander, er veröffentlichte auch eine neue Edition von Regers Symphonischer Phantasie und Fuge op. 57, die in starkem Maße Straubes damaliges Reger-Verständnis reflektiert.

 

Wunderlichs Reger-Noten

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